E-Book und Urheberrecht:Kampf den Schwarzlesern

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Das E-Book steht vor dem Durchbruch, doch die entscheidende Schlacht steht der Buchbranche noch bevor. Was tun, wenn kein Leser zahlen will? Urheberrechtsexperte Till Kreutzer über die Konsequenzen.

Ilja Braun

Das E-Book hat, anlässlich des in den USA erhältlichen, in Europa angekündigten Lesegeräts "Kindle" von Amazon, gerade erst den Sprung ins öffentliche Kulturbewusstsein geschafft. Damit bricht auch wieder die Debatte um den Schutz des Urhebers im Download-Zeitalter aus. Dabei haben Buchverlage in der Regel kein Problem, mit dem Urheberrecht der Autoren und Übersetzer fertig zu werden: Das Recht, ein Buch zusätzlich zur Printausgabe auch als E-Book zu veröffentlichen, lassen sie sich im Kleingedruckten der Verträge abtreten.

Elektronische Literatur auf Amazons Kindle. (Foto: Foto: ddp)

Und doch stehen die entscheidenden Schlachten der Buchbranche noch bevor: Was tun, wenn die Leser ihrerseits nicht zahlen wollen? Was tun gegen illegale Downloads? Man kennt das Ungemach aus der Musik- und Filmindustrie, und die Buchbranche selbst kennt es vom Hörbuch, das längst in den Tauschbörsen angekommen ist. Ein Gespräch mit dem Juristen Till Kreutzer, der soeben das Buch "Das Modell des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen" veröffentlicht hat (Nomos Verlag, Baden-Baden 2008, 528 Seiten, 98 Euro) und der an dem Urheberrechts-Informations-Portal www.iRights.info mitwirkt.

SZ: Das Wort "Piraterie" taucht neuerdings auch in Diskussionen über das E-Book auf. Nicht nur Musik- und Filmliebhaber, auch Literaturbegeisterte können anscheinend zu Kriminellen werden. Kann man geistiges Eigentum im Internet überhaupt wirksam schützen?

Till Kreutzer: Das hängt davon ab, was man unter "schützen" versteht. Wenn Sie damit meinen, ob man wirksam verhindern kann, dass Nutzer im Internet urheberrechtlich geschützte Inhalte ungefragt benutzen, lautet meine Antwort: Nein, jedenfalls nicht mit rechtlichen oder technischen Mitteln. Das Internet basiert auf zwei Grundprinzipien, die einer rechtlichen Kontrolle per se entgegenstehen: Anonymität und Dezentralität.

Nutzer, die man nicht identifizieren kann, kann man auch nicht haftbar machen; und Inhalte, die einmal im Netz verfügbar sind, verbreiten sich blitzschnell weiter. Alle Versuche, das durch rechtliche oder technische Mittel zu verhindern, müssen scheitern, will man nicht das Internet "abschalten" oder völlig neu ordnen und dabei zentralisieren, zensieren und kontrollieren.

Wenn Sie aber fragen, ob es denkbar erscheint, aus der Nutzung von geschützten Werken im Internet Einnahmen zu erzielen, lautet meine Antwort: Ja, das ist sicher möglich. Es gibt von namhaften Wissenschaftlern erarbeitete ökonomisch-juristische Modelle, die darauf abzielen, die unkontrollierbaren Nutzungen im Netz zu legalisieren und im Gegenzug pauschal vergütet zu bekommen - man spricht hier von "Content-Flatrates". Hier könnte durchaus ein Ansatz liegen, geistiges Eigentum im Internet zu schützen: indem zumindest neue Einnahmequellen geschaffen werden.

SZ: E-Books werden sich künftig einer immer größeren Beliebtheit erfreuen, heißt es. Wird den Lesern denn überhaupt bewusst sein, dass sie etwas Verbotenes tun, wenn sie sich irgendwo ein "raubkopiertes" Buch herunterladen, ohne dafür zu bezahlen?

Kreutzer: Dass jemand geschützte Inhalte widerrechtlich herunterlädt, weil er denkt, das sei legal, kommt ständig vor. Die Nutzer wissen über die Rechtslage wenig und sind häufig verwirrt. Viele Downloads sind ja aufgrund der Privatkopieregelung völlig legal: Nicht nur, aber auch von Online-Inhalten dürfen Kopien zu privaten Zwecken angefertigt werden. Nur wenn die Quelle "offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht wurde", gilt dies nicht.

Wie diese Regel auszulegen ist, ist derzeit aber noch unklar. Hinzu kommt, dass die meisten Nutzer diese Regel ohnehin entweder nicht kennen oder sich keinen Reim darauf machen können. Und so tun viele Nutzer Dinge nicht, die sie eigentlich dürften, weil sie sie für verboten halten, während sie andererseits durchaus Verbotenes tun, im Glauben, es sei erlaubt. Oft weichen auch die urheberrechtlichen Regelungen von dem ab, was nach dem moralischen Empfinden der Nutzer erlaubt sein müsste.

SZ: Dafür werden die Verlage aber wenig Verständnis haben. Wahrscheinlicher ist doch, dass nach effektiven Möglichkeiten gesucht wird, "Schwarzleser" wegen E-Book-Piraterie zu verfolgen und zu bestrafen - um Rechtsverstöße gar nicht erst einreißen zu lassen.

Kreutzer: Zunächst finde ich Begriffe wie "Piraten", "Verbrecher", "Schwarzleser" in diesem Zusammenhang äußerst problematisch. Die meisten, die sich Dateien von Tauschbörsen herunterladen, statt im Laden "Originale" zu kaufen oder bei einem Online-Händler für den Download zu bezahlen, haben wenig kriminelle Energie.

Sie sehen sich nicht als Diebe, Verbrecher und Piraten, sondern als Musik-, Film- oder Literaturliebhaber. Stellt man sie nun in öffentlichen Kampagnen als Verbrecher an den Pranger, läuft man Gefahr, sich schwere Imageverluste einzuhandeln. Das zeigt sich am Beispiel der Musikindustrie, die in der Internet-Community und weit darüber hinaus extrem unbeliebt geworden ist: Viele haben auf diese Weise eine Anti-Musikindustrie-Haltung eingenommen, die wiederum in einer Anti-Urheberrechtshaltung ihren Ausdruck findet.

SZ: Was also raten Sie den Rechte-Inhabern? Ist so etwas wie eine Bagatell-Grenze sinnvoll?

Kreutzer: Schon im eigenen Interesse sollten die Rechteverwerter Art und Qualität des Rechtsverstoßes abwägen, bevor sie rechtliche Schritte tun. In manchen Branchen geschieht das auch heute schon, in anderen nicht. Von der Musikindustrie weiß man, dass sie nicht davor zurückschreckt, massenhaft Privatpersonen abzumahnen und zu verklagen. Dabei trifft es übrigens meist die Inhaber von Internet-Anschlüssen, die mit dem Nutzer, der eine rechtswidrige Handlung begangen haben soll, nicht einmal identisch sein müssen.

Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), die die Rechtsverfolgung für die Film- und Computerspiele-Industrie unternimmt, geht anders vor. Sie versucht gezielt, "heavy users" aufzuspüren, wie etwa Release-Groups oder gewerblich agierende Raubkopierer. Privatnutzer werden hingegen eher in Ruhe gelassen. Entsprechend scheint hier der Imageverlust längst nicht so gravierend zu sein wie bei der Musikindustrie.

SZ: Die Raubkopierer haben aber doch bisweilen geradezu ein Sendungsbewusstsein. "Free Content" wird von manchen zu einem heiligen Krieg gegen Zensur stilisiert.

Kreutzer: Ja, in der Tat gibt es gerade bei Internet-affinen Leuten dieses Klassenkampf-Denken: "Wir gegen die bösen Konzerne!" Dann braucht man sich über Urheberrechte natürlich keinerlei Gedanken mehr zu machen, und das schadet dem Ansehen solcher Rechte enorm. Dem könnte man zum Beispiel entgegenwirken, indem man die Künstler, die Autoren und Musiker selbst, mehr in den Vordergrund treten lässt. Deren kulturelle Leistungen entstehen schließlich oft genug auf der Basis äußerst prekärer Einkommensverhältnisse.

SZ: Aber die Verleger würden jetzt sagen: Der Rechtsstaat darf nicht vor dem Internet kapitulieren. Wir haben investiert, und jetzt wollen wir, dass unser Eigentum geschützt wird. Da darf nicht einfach plötzlich im Internet alles erlaubt sein, auf Kosten der Verlage.

Kreutzer: Es geht weder um eine Kapitulation des Rechtsstaates noch um eine Abschaffung des Urheberrechts. Es geht darum, das Urheberrecht an die Informationsgesellschaft anzupassen, und dabei Strukturen zu schaffen, die funktionieren und Einkünfte generieren, ohne Massenkriminalisierung der Bevölkerung. Was unser Urheberrecht zudem dringend braucht, ist ein neuer Interessensausgleich.

Im Übrigen scheint es mir mittlerweile erwiesen zu sein, dass Massen-Drohungen und Strafanzeigen gegen Privatpersonen weder zum gewünschten Schutz noch zu einem gestärkten (Un-)Rechtsbewusstsein führen. So gibt es keinerlei Beleg dafür, dass solche Maßnahmen der Musikindustrie zu einem Rückgang der Aktivitäten in Tauschbörsen geführt hätten. Der Imageverlust der Branche ist hingegen gravierend.

SZ: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat sich kürzlich für einen konstruktiven Umgang mit dem französischen "Olivennes"-Modell ausgesprochen. Damit könnte man illegalen E-Book-Kopierern und Kopierschutz-Knackern in letzter Instanz den Zugang zum Internet verwehren.

Kreutzer: Es wird Sie nicht überraschen, dass ich davon wenig halte. Kann es gerechtfertigt sein, Bürger einer Informationsgesellschaft vom Internet auszuschließen? Hätte man vor zwanzig Jahren in Erwägung gezogen, jemanden damit zu bestrafen, dass man ihm gleichzeitig Telefon, Fernseher, Radio und die Lektüre von Zeitungen verbietet? Eine solche Einschränkung der persönlichen Freiheit und des Zugangs zu Informationen würde massiven verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Abgesehen davon wüsste ich nicht, wie man eine "Abschaltung" des Internet-Zugangs überhaupt effektiv durchsetzen sollte.

SZ: Repressionen helfen also nicht, sagen Sie. Aber kann man dafür sorgen, dass das Piraterie-Problem gar nicht erst entsteht? Indem man E-Book-Freunde dazu bringt, dass sie für die Lektüre freiwillig bezahlen? Indem man ihnen ein attraktives Einkaufsumfeld bietet: vernünftige Onlineshops mit günstigen Preisen?

Kreutzer: Ja, das wäre schon mal was. Aus meiner Sicht gibt es gute Angebote mit akzeptablen Konditionen bislang hauptsächlich für Audio-Inhalte, also für Musik, Hörbücher et cetera. Im Filmbereich gibt es dagegen meines Wissens bislang kein einziges interessantes Angebot; hier ist man weitgehend noch auf dem Stand der Online-Videothek, bei der man DVDs auf Bestellung leihweise zugeschickt bekommt, die man dann per Post wieder zurückschicken muss. Es liegt auf der Hand, dass moderne Online-Nutzer sich das anders vorstellen.

Wie gut das Angebot bei den E-Books werden kann, wird sich erst noch zeigen. Aber gewiss gilt auch hier, dass attraktive Angebote die Nutzer dazu bewegen könnten, sich weniger umsonst zu bedienen. Je mehr Zeit jedoch vergeht, ohne dass solche Angebote existieren, desto mehr gewöhnen sich die Leute an nicht-legale Quellen und sind dann immer schwerer davon abzubringen.

© SZ vom 10.12.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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