Dubiose Datenhändler:Adressen im Angebot

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Lotterielose, Wetterinfos, Tierschutz-Clubs: Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft zeigen, wie dubiose Firmen arglose Verbraucher ködern.

Klaus Ott

Adressen sind eine heiße Ware, aber gleichwohl billig zu haben. Lediglich 37 bis 60 Cent pro Person samt Anschrift und Telefonnummer verlangte eine Firma aus Hessen, die mit solchen Daten handelte, vor ein paar Jahren von einer Gesellschaft aus Leipzig.

Eine Kopie der sichergestellten Original-CD, die der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein zugespiellt wurde. Sie enthält Daten von 17.000 Bundesbürgern. (Foto: Foto: dpa)

Diese wollte per Anruf möglichst viele Leute für Lotterieeinsätze ködern. Adressen, die aus dem Internet und aus Gewinnspielen stammten, waren vergleichsweise günstig. Daten aus früheren Telefonaktionen kosteten schon etwas mehr. Insgesamt berechnete die hessische Firma der sächsischen Gewinnspielgesellschaft für 987.865 Adressen 520866,29 Euro, zu zahlen innerhalb von acht Tagen. In diesem Geschäft zählt die pure Menge.

Die 17.000 Datensätze inklusive Kontoverbindungen, die ein Anonymus dieser Tage der Verbraucherzentrale in Schleswig-Holstein zugespielt hat und die nun für große Aufregung sorgen, dürften also nicht besonders teuer gewesen sein. Dennoch ist die CD, auf der diese Informationen gespeichert sind, viel wert. Sie lenkt den Blick auf eine Branche, in der mit mutmaßlich auch kriminellen Methoden arglose Bürger ausgenommen werden.

Verdacht gegen Marketingfirma

Woher die Daten auf der CD stammen, versucht die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft zu rekonstruieren. Sie ermittelt wegen versuchten Betrugs sowie Datenschutzverstößen und durchsuchte am Mittwoch eine in Verdacht geratene Marketingfirma in Viersen. Verbraucher, die sich auf Kundengespräche am Telefon eingelassen haben, sollen abgezockt worden sein.

Manchmal ist auch arm dran, wer bei einem Gewinnspiel mitgemacht und dabei den Passus übersehen hat, er sei mit der Weitergabe seiner Adressen einverstanden. Plötzlich wird für Reisegutscheine oder andere Angebote, die man nie bestellt hat, per Lastschrift Geld vom Konto abgebucht.

So soll es auch in einem Fall geschehen sein, den die Münchner Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht hat. Drei Geschäftsleute aus dem Rheinland hatten Ende 2005 über Firmen wie Lotto Tipp und Glücksmillion bei 368288 offenkundigen Opfern jeweils 39 Euro für eine "Travel Card" kassiert. Die Gegenleistung: "Gratis Tourenplanung, Wetterinfo" und mehr.

Die Postbank zog das Geld ein. Anders als sonst wehrten sich viele Betroffene, ließen sich die 39 Euro zurücküberweisen, und schalteten sogar die Polizei ein. Mehrere Landeskriminalämter warnten vor "unberechtigten Abbuchungen durch dubiose Firmen". Schlagzeilen in der Presse ("Betrüger zocken Bankkunden ab") folgten, die Strafverfolger ermittelten, die drei Geschäftsleute kamen in Untersuchungshaft.

Seit Ende 2006 liegt die Anklage beim Münchner Landgericht. Den Beschuldigten wird "gemeinschaftlicher gewerbsmäßiger Betrug" zu Lasten von 84000 Personen vorgeworfen, die wohl die Lastschrift übersehen und deshalb nicht widersprochen hatten. Auch die Postbank sei getäuscht und geschädigt worden, so die Anklage. Verhandelt wird in München noch nicht.

Die drei Geschäftsleute, die sich in Untersuchungshaft befinden, stehen wegen Steuerhinterziehung in Höhe von angeblich 18 Millionen Euro in Limburg in Hessen vor Gericht. Der Ausgang des dortigen Verfahrens soll abgewartet werden, bevor der mutmaßliche Betrug an die Reihe kommt. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe.

Die Münchner Ermittlungen ermöglichen tiefe Einblicke, mit welchen Methoden offenbar die Szene agiert. Früher grasten Drückerkolonnen eine Region nach der anderen ab, um Zeitschriften-Abonnements zu akquirieren oder Haushaltsartikel zu verkaufen. Heute wird meist per Telefon geworben, von Call-Centern aus, die sogar für staatliche Glücksspielgesellschaften wie die Süddeutsche Klassenlotterie (SKL) auf Kundenfang gingen.

"Ankauf-Aktion von Lotto-Kundenbeständen"

Die nötigen Daten stammen aus alten Kundenbeständen oder werden einfach gekauft. Firmen, die freizügig mit Adressen und Telefonnummern handeln, gibt es inzwischen ja genug. Einer der vielen Zeugen in dem Verfahren um die "Travel Card" berichtete den Ermittlern, in dem Firmennetz der drei einfallsreichen Geschäftsleute habe es einmal sogar eine "Ankauf-Aktion von Lotto-Kundenbeständen" gegeben. Es sei auch möglich gewesen, Kundenbestände von Call-Centern aufzukaufen.

Der Zeuge war nebenbei Datenschutzbeauftragter einer der Firmen, die in den Fall "Travel Card" verstrickt sein sollen. Er erzählte den Fahndern von einem arglosen Umgang mit dem wertvollen Material. Die Daten seien auf Bänder gespeichert und vom Geschäftsführer oder einem "vertrauenswürdigen Mitarbeiter" mit nach Hause genommen worden.

Wer in dieser Branche arbeitet, muss Umsatz bringen, auch wenn die Kundschaft das gar nicht hergibt. 10000 bis 14000 Euro seien monatlich von ihm gefordert worden, sagte ein Vertriebsleiter aus. Tatsächlich habe er nur 1000 Euro im Monat erlöst. Da werden dann offenbar alte Kunden schnell mal zu neuen Käufern von Losen und Tippscheinen, ohne überhaupt einen Auftrag erteilt zu haben.

Wer nicht mehr mitspielen mag und deshalb kündigt, dessen Daten würden keineswegs gelöscht, gestand eine Ex-Geschäftsführerin aus dem mutmaßlich kriminellen Firmennetz. Tauchten solche Kunden nach kurzer Zeit wieder als Lottospieler auf, dann sei da wohl "gemauschelt" worden. Es sei jederzeit möglich, auf alte Daten zurückzugreifen.

Sehr beliebt sind auch Aktionen für den Tierschutz. Einer der drei rheinländischen Geschäftsleute mit der "Travel Card" beauftragte vor Jahren eine Werbeagentur mit der Mitgliederwerbung für einen Tier- und Umweltklub. Ein großer Teil der Erlöse sollte als Provision bei den handelnden Akteuren verbleiben. Den erhofften Mitgliedern wurde viel versprochen. Eine "24-Stunden-Tierassistance" etwa, inklusive "sechs Assistancemarken". Und eine CD mit dem Titel, "Rettet den Elefanten e.V."

© SZ vom 14.08.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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