Süddeutsche Zeitung

Angeblicher Trend Dopamin-Fasten:Schön das Gehirn entrümpeln

  • Im Silicon Valley ist es angeblich in, auf externe Reize wie Streams, Likes oder Bildschirmzeit zu verzichten, um zur Ruhe zu kommen.
  • Nach einer Dopamin-Kur soll das Gehirn entrümpelt, der Verstand hyperfokussiert und jeglicher Gedanke an Prokrastination verflogen sein.

Von Michael Moorstedt

Woche zwei im neuen Jahr und die guten Vorsätze wackeln bereits wieder. Dabei ist es doch eigentlich recht simpel: mehr bewegen, weniger trinken, gesünder leben - die übliche Trias der Tugenden eben. Wer da schon ächzt und hadert, dem sei gesagt, dass es die Bewohner des Silicon Valley noch viel härter trifft.

Dort grassiert seit einiger Zeit ein neuer Selbstkasteiungstrend namens Dopamin-Fasten - eine freiwillige Dämpfung jenes körpereigenen Botenstoffs, der im Volksmund auch Glückshormon genannt wird. Die Fastenfans versagen sich also weitestgehend all jene externen Stimuli, die ja gerade die Techszene überhaupt erst auf die Welt losgelassen hat. Keine Streams, keine Likes, keine Bildschirme. So soll das stetig überforderte Hirn, um im Branchenjargon zu bleiben, auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt werden.

Erlaubt sind Tagebuchschreiben und Wassertrinken

Mal davon abgesehen, dass Dopamin mit Glücksmomenten wahrscheinlich relativ wenig zu tun hat - die Medizin vermutet seine Bedeutung vor allem im Bereich der Antriebssteigerung und Motivation -, kann es sicherlich nicht schaden, ein bisschen Abstand zum Geschehen im Netz zu gewinnen. Stundenlang das schöne Leben der Mitmenschen auf Instagram zu begutachten oder sich auf Youtube in die Häschenbauten von allerhand Verschwörungstheorien zu verlieren, hat nachweislich negative Auswirkungen auf die Psyche. Nicht umsonst gibt es in der Ratgeberecke des gut sortierten Buchhandels inzwischen zahlreiche Selbsterfahrungstitel, in denen die Autoren ihre Abenteuer während des Offline-Daseins schildern.

Fatalerweise neigt man in der Bay Area jedoch dazu, die Dinge ein bisschen zu übertreiben, deshalb entsagt ein Dopamin-Asket, der etwas auf sich hält, auch analogen Gesprächen, ja sogar Körper- und Augenkontakt mit seinen Mitmenschen. Erlaubt sind dagegen Tagebuchschreiben, Spazierengehen oder Wassertrinken. Herzlichen Glückwunsch, könnte man jetzt sagen, die Techbranche hat eine alte Kulturpraktik namens Meditation entdeckt. Was Ordensgemeinschaften sämtlicher Glaubensrichtungen schon seit Jahrtausenden praktizieren, findet nun seine zeitgemäße Entsprechung in der Dopamin-Fastenkur. Unter dem neuen Label lässt sich die Entsagung bei gestressten Start-up-Menschen sicherlich besser vermarkten, als wenn man von Mönchsklausur spricht.

Am Ende dient alles dem Zweck, nach der Neurotransmitterabstinenz wieder voll angreifen zu können, wie man so sagt. Danach, so erzählen es überzeugte Anhänger, sei das Gehirn entrümpelt, der Verstand hyperfokussiert und jeglicher Gedanke an Prokrastination verflogen. Schon gibt es zahlreiche Blogs und Selbsthilfevideos mit Millionen Aufrufen, die lehren wollen, wie man sich den Reizen der Gegenwart konsequent entzieht. Zudem streiten mindestens ein Dutzend Influencer und smarte Geschäftsmänner darüber, wer den Trend denn nun wirklich ins Leben gerufen hat.

Das Dopamin-Fasten ist jedoch nicht nur der neueste Ausdruck des in der Start up-Szene grassierenden Hangs zu einfachen technischen Lösungen: Der Körper wird also gehackt, selbst Schlaf und Ernährung sind vor Disruption nicht mehr sicher. Es geht auch um eine tiefer sitzende Sehnsucht nach Transzendenz, immerhin hat das Silicon Valley ja seine Wurzeln in der Hippiebewegung. Früher merkte man das an Yogasitzungen für die Angestellten zwischen anstrengenden Programmiereinheiten, später an kontrollierten LSD-Mikrodosierungen, um die schwächelnde Kreativität neu zu starten. Leider gibt es jedoch auch hirnphysiologische Zweifel an der Fastenkur. Auch Mönche, die sich in ihren Meditationen verlieren, erleben teilweise euphorische Momente in der Stille, das haben Studien gezeigt - und ihre Gehirne setzten dabei Dopamin frei. Es scheint fast so, als sei man nirgends mehr sicher.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2020/hij
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