Doku-Reihe "Homo Digitalis":Warum wir keine Angst vor Cyborgs haben sollten

  • Die SZ präsentiert in Kooperation mit Bayerischem Rundfunk, Arte und ORF die Doku-Reihe "Homo Digitalis". In dieser Woche geht es um die Zukunft des Menschen. Sehen Sie oben die Episode und lesen Sie hier den Artikel zum Thema.
  • Ist es gefählich, wenn der Mensch sich mit technischen Implantaten optimieren will? Oder sind Cyborgs gar die Zukunft?

Von Mirjam Hauck

Wer hat Angst vorm neuen Menschen? Vor gefühllosen Mensch-Maschinen, die terminatorgleich die Welt erobern? Vor Cyborgs mit implantierten Chips, Cyborgs, die glauben, Neurotechnologie wie Schnittstellen zwischen Hirn und Computer könne dem Menschen mehr mitgeben als die Evolution (oder Gott)?

Scheinbar unversöhnlich und mit nahezu religiöser Inbrunst stehen sich hier zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite sogenannte Transhumanisten wie beispielsweise Googles "Chief engineer" Ray Kurzweil. Er prophezeit, dass menschliche Vernunft und künstliche Intelligenz einmal eins werden. Der Futurologe aus dem Silicon Valley ist sich sicher, dass Computer in naher Zukunft Gehirne nachbauen können. Seine Bücher heißen "Homo S@piens" oder "Menschheit 2.0".

Andere dagegen wollen verhindern, dass der Mensch sich selbst technisch verbessert. In ihrem Manifest "Wider den Transhumanismus", das Professoren wie die Wirtschaftethikerin Sarah Spiekermann (Wien) oder der Theologe Peter Hampson (Oxford) kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht haben, schreiben sie vom "Gespenst des Transhumansimus". Sie warnen vor blindem Vertrauen in wissenschaftliche Heilsversprechen. Von empathieloser Verachtung, die die Werte des Lebens übergehe, die unsere Welt sinnhaft und lebenswert machen. Der Mensch strebe nach dem Wahren, Stimmigen und Schönen. Wenn der Mensch sich in Eigenregie evolutionär weiterentwickle, sich mit Hilfe der Technik selbst optimiere, dann sei das gefährlich. Der Cyborg, der böse Maschinenmensch, erscheint den Autoren als Gegner des wahren und guten Menschen.

Doch gibt es diesen Gegensatz? Ist die technische Aufrüstung des Körpers der Feind des Menschen? Oder sind wir nicht alle längst Cyborgs?

"Cyborgs and Space"

Erstmals taucht der Begriff "Cyborg" im Jahr 1960 im Aufsatz "Cyborgs and Space" für die Fachzeitschrift "Astronautics" auf. Geschrieben haben diesen die Wissenschaftler Manfred Clynes und Nathan Kline. Sie arbeiten zu dieser Zeit in einem Nasa-Programm, der Wettlauf um die Vorherrschaft im All läuft. Die Russen haben drei Jahre zuvor mit Sputnik den ersten Satelliten und kurz darauf die Hündin Laika ins All geschossen. Clynes und Kline diskutieren in ihrem Text die Frage, wie der Mensch beschaffen sein muss, damit er in der radikal anderen Umgebung des Weltalls überleben kann. Mit welchen zusätzlichen Funktionen sein Körper ausgestattet werden könnte. Und wie diese mit seinem Körper verschmelzen könnten.

Die Doku-Reihe „Homo Digitalis“

Wie werden wir in Zukunft leben und lieben, denken und spielen? SZ.de präsentiert als Medienpartner die aufwendig produzierte Web-Doku-Reihe "Homo Digitalis" von Bayerischem Rundfunk, ARTE und ORF. Von Mittwoch an bis Dezember veröffentlichen wir im Wochenrhythmus sieben Videos und sieben Artikel zu Themen, die unser digitales Leben in der Zukunft betreffen. SZ-Autoren haben recherchiert: Wie sehen Beziehungen, Arbeit, Freizeit, Denken und Sex in der Zukunft aus? Eine Reise zu Sex-Robotern, Geliebten, die nur in sozialen Medien existieren, und zum neuen Menschen, der mit den Maschinen verschmilzt. Außerdem können unsere Leser testen, wie digitalisiert ihr eigenes Leben schon ist.

Fast 60 Jahre später haben Weltall-Fantasien wieder Konjunktur, wie Tesla-Gründer Elon Musk und seine Pläne zur Marsbesiedlung zeigen. Und auch Amazon-Milliardär Jeff Bezos hat hier ambitionierte Pläne. Er will den Weltraum als Touristenziel attraktiv machen.

Doch sind Cyborgs, also Hybriden aus Mensch und Technik tatsächlich Science-Fiction? Oder sind sie einfach Künstler, wie der selbst ernannte Cyborg-Aktivist Neil Harbisson, der sich eine Antenne in den Schädel hat pflanzen lassen, die elektromagnetische Strahlung in Klänge übersetzen soll? Was ist mit Menschen, die dank eines Herzschrittmachers weiterleben, dank Hörgeräteimplantaten wieder hören oder mit Titanhüften oder Beinprothesen wieder laufen? Sind das Cyborgs? Wo die Grenzen liegen ist unklar, wenn es sie denn gibt.

Der Mensch, schon immer mit Technik verschmolzen

In Deutschland gibt es einen Verein, der sich dieses Themas angenommen an: Cyborg e.V in Berlin. Er versteht sich als "Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik". Die Mitglieder halten sich selbst für ziemlich normal. Sie wollen einen "sachlich-realistischen Tonfall" in diese Debatte bekommen, sagen sie. Ein Gründer des Vereins ist Enno Park. Nach einer Masernerkrankung verlor er als Kind das Gehör, mit einem Cochlea-Implantat hat er diese Fähigkeit wieder zurück gewonnen. Auch Jan Claas van Treeck ist bei Cyborg e.V. aktiv. Der 42-jährige Medienwissenschaftler lehrt an der Humboldt-Universität. Er sagt, dass Menschen immer schon mit Technik verschmolzen seien, dass erst der Gebrauch von Technik uns zum Menschen mache. Dass der Mensch zum Beispiel verstanden habe, dass er mit Holz Feuer machen könne, um Essen zu kochen. Das habe er dem Schimpansen voraus.

Van Treeck hat sich einen NFC-Chip unter die Haut pflanzen lassen - zwischen Daumen und Zeigefinger. Für ihn ist das nicht anders, als wäre der Chip an einem Ring oder einem Armband befestigt. "Seine Funktionalität ändert sich nicht - egal ob ich ihn nun auf oder unter der Haut trage." Die Funktionalität beschränkt sich darauf, dass er auf dem Chip Visitenkarteninformationen gespeichert sind. "Ich kann nachvollziehen, dass andere die Haut für eine Grenze halten", sagt van Treeck. "Ich halte das aber für ziemlich unreflektiert. Schließlich durchbrechen Menschen beispielsweise ständig mit Schmerztabletten diese Grenze." Und Haustiere seien zu 80 Prozent gechippt. Es handele sich also wohl um eine ausgereifte Technik.

Im Alltag wird der Mensch schon längst von Technik gesteuert

Woher also das Unbehagen? Die Angst vieler Menschen, dass Technik Besitz von ihnen ergreift? Für die Berliner Cyborgs ist eine Antwort auf diese Frage, dass Technik den Menschen zeigt, dass sie eben doch nicht die Krönung der Schöpfung seien. Der Mensch als Ebenbild Gottes, als Maß aller Dinge, verstelle den Blick darauf, was er wirklich sei: ein defizitäres Wesen. Viel näher ist ihnen der griechische Schöpfungsmythos, in dem die Menschen zunächst nichts können, und erst Prometheus ihnen den Verstand und das Feuer schenkt.

Der Mensch ist für van Treeck und seine Mitstreiter eben gerade kein perfektes und abgeschlossenes System. Das zeige sich, wenn Sportler mit Prothesen schneller laufen oder weiter springen als ihre Konkurrenten, bei denen vermeintlich alles ganz natürlich sei. Das zeigten auch die Diskussionen um Doping. Denn was geschieht "natürlich", aus eigener Kraft? Sind körperliche Voraussetzungen und Training natürlich, die zwei Kaffee am Morgen ebenfalls noch - aber Eigenblutdoping nicht mehr?

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Das Wissen um die Steuerbarkeit des Menschen ist im Alltag längst angekommen: Beim Supermarktbesitzer, der weiss, dass der menschliche Körper die Tendenz hat, sich zu synchronisieren. Wenn langsame Musik im Laden läuft, geht er langsamer durch die Gänge und packt mehr Produkte in den Einkaufswagen - vor allem die hochpreisigen, die in Augenhöhe platziert worden sind. In solchen Fällen interagiert Technik bereits permanent mit dem Menschen.

"Das wird in den technikfeindlichen Debatten häufig vergessen", sagt van Treeck. Genauso, dass vielen Dingen eine Technizität innewohnt, die wir beim Gebrauch verdrängen und sie damit für natürlich und zutiefst menschlich halten. Auch für die "Kulturtechnik" des Schreibens brauchen wir schließlich Stifte, Tastaturen, Computerprogramme.

Leichter den Alltag bewältigen

Dass Technik ohne große Diskussionen genutzt wird und dem Menschen dabei sogar mehr als bildhaft "unter die Arme" greift, ihn sozusagen verbessert, zeigt das Beispiel der Exoskelette. Vom US-Militär einmal erfunden, damit Soldaten schneller laufen, können diese maschinellen Stützapparate mittlerweile Pflegekräfte oder Arbeiter entlasten. Sie federn beim Heben die Hauptlast ab. Und sie helfen selbst Querschnittsgelähmten, wieder zu stehen und laufen zu lernen.

An der ETH Zürich forscht Robert Riener an solchen sensomotorischen Systemen. Er ist auch Initiator des Cybathlons, des "Showdowns der Menschmaschinen" wie es die NZZ nennt. In dem Wettbewerb messen sich Gelähmte oder Menschen mit amputierten Gliedmaßen in alltäglichen Disziplinen wie Wäsche aufhängen mit Armprothese oder Treppensteigen in Exoskeletten. "Gelähmte, Prothesenträger, Forschung und Entwicklung, die Gesellschaft insgesamt - wir wollen alle miteinander verbinden", sagt Riener.

Hier verschmelzen Mensch und Technik, allerdings nicht zum gefürchteten Supermenschen. Die Technik macht es möglich, dass der Mensch leichter seinen Alltag bewältigen kann.

Vom Begriff des Cyborgs hält Riener nichts: "Entweder hat man es mit einer Maschine zu tun oder aber mit einem Menschen. Dazwischen gibt es nichts." Selbst beim Kunstherz bleibe der Mensch ein Mensch und werde nicht zum Cyborg. Auch für ihn muss Technik nicht implantierbar sein, um das Leben zu verbessern: "Jedes Smartphone erweitert unsere Denk- und Gedächtnisleistung; ein Fahrrad macht uns schnell und wir sind heute auch von dieser Technik abhängig."

Wichtig sei, dass die Selbstbestimmung des Menschen erhalten bleibe. Und die Technik müsse überhaupt zugänglich sein: "Die Verfügbarkeit ist heute das größte Problem, vor allem in nicht-industrialisierten Ländern." Dass uns Supermenschen einmal physisch oder kognitiv überlegen sein werden, hält er für einen Mythos. Vielleicht komme es mal so weit in 100 Jahren. Aber heute sollten wir uns lieber um unsere aktuellen Probleme kümmern.

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