Doku-Reihe "Homo Digitalis":In Zukunft gesund bleiben: Mit Exoskeletten und Genscheren

  • Die SZ präsentiert in Kooperation mit Bayerischem Rundfunk, Arte und ORF die Doku-Reihe "Homo Digitalis". In dieser Woche geht es um die Zukunft der Gesundheit. Sehen Sie oben die Episode und lesen Sie hier den Artikel zum Thema.
  • Darin geht es um Technologien und Ideen rund ums Thema Gesundheit der Zukunft, von denen Sie gehört haben sollten. Ein Überblick von "Augmented Reality" bis "Patient Z".

Von Johannes Kuhn

Digitale Vernetzung, höhere Rechenkraft und neue Technologien werden in Gesundheitsfragen künftig nicht nur eine große Rolle spielen, sondern einige Felder der Medizin grundlegend verändern. Ein kurzer Überblick zu Technologien und Konzepten. Von A bis Z.

Augmented Reality Der Chirurg blickt im Operationssaal auf den Patienten und hat alle Informationen im Blick - in seiner Digitalbrille erscheinen Vitalparameter und Informationen über den Eingriff. Das Arbeiten mit "Augmented Reality" hat er schon im Studium gelernt, in dem er an Hologrammen virtuell erste Schnitte setzte. Derzeit wird in Prototypen-Tests erarbeitet, ob diese "Vision" überhaupt nützlich ist - bereits jetzt sind Operationssäle hochtechnisiert und nicht jeder Arzt mag Einblendungen in seinem Gesichtsfeld.

Big Data für Patienten Die Auswertung großer Datenmengen für bessere Diagnosen, genauere Abrechnungen (zum Beispiel nach dem Heilungsverlauf) oder Prophylaxe-Behandlungen, am besten noch mit Hilfe künstlicher Intelligenz, also sich selbst ständig verbessernder Software: Diese Vision für das Gesundheitswesen wird derzeit gerne auf Konferenzen und Podien verkündet.

Die Wahrheit ist aber auch: Das Gesundheitswesen ist bislang kaum digitalisiert und in Sachen Datenschutz stark reguliert. Große Datenmengen mögen in Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen eine wichtige Rolle spielen. Bis der Patient als Anwender den Fortschritt selbst spürt, wird noch einige Zeit vergehen.

Crispr/Cas9 Das Erbgut eines Menschen verändern, um Krankheiten "abzuschalten" oder bestimmte Fähigkeiten zu verbessern: Diese Genschere ist das bislang effektivste Instrument, Gene zu verändern und könnte die Biomedizin revolutionieren.

Derzeit noch im Stadium der Grundlagenforschung, hat Crispr/Cas9 schon eine laute Debatte über Ethik ausgelöst: Sollte in Deutschland das Embryonenschutzgesetz verändert werden, wenn sich Erbkrankheiten wie Mukoviszidose in der Keimbahn besiegen lassen? Wird die Entwicklung zwangsläufig bei "Designer-Babys" enden, deren Eltern sich besondere Merkmale per Gen-Veränderung bestellen? Dabei muss man aber auch bedenken, dass sich nicht alles "reparieren" oder "designen" lässt: Viele Gen-Zusammenhänge sind komplex, und viele menschliche Krankheiten des 21. Jahrhunderts das Ergebnis von Umweltfaktoren.

Die Doku-Reihe „Homo Digitalis“

Wie werden wir in Zukunft leben und lieben, denken und spielen? SZ.de präsentiert als Medienpartner die aufwendig produzierte Web-Doku-Reihe "Homo Digitalis" von Bayerischem Rundfunk, ARTE und ORF. Von Mittwoch an bis Dezember veröffentlichen wir im Wochenrhythmus sieben Videos und sieben Artikel zu Themen, die unser digitales Leben in der Zukunft betreffen. SZ-Autoren haben recherchiert: Wie sehen Beziehungen, Arbeit, Freizeit, Denken und Sex in der Zukunft aus? Eine Reise zu Sex-Robotern, Geliebten, die nur in sozialen Medien existieren, und zum neuen Menschen, der mit den Maschinen verschmilzt. Außerdem können unsere Leser testen, wie digitalisiert ihr eigenes Leben schon ist.

3-D-Druck In der Industrie ist 3-D-Druck eine erfolgreiche Nischentechnologie geworden. Und in der Medizin? Bereits heute werden neun von zehn Hörhilfen "gedruckt", Prothesen sind immer häufiger gedruckte Maßanfertigungen. Bei Hautgewebe, Blutgefäßen oder ganzen Organen macht die Forschung Fortschritte, allerdings ist das feingliedrige System der menschlichen Durchblutung schwierig nachzuempfinden. Dennoch werden bereits im kommenden Jahrzehnt erste "gedruckte" Nieren auf dem Massenmarkt erwartet - allerdings auch, weil ihre Funktionsweise recht einfach ist. Tierschützer hoffen ebenfalls auf 3-D-Gewebedruck, weil so bestimmte Tierversuche überflüssig werden könnten.

Exoskelette Maschinelle Stützapparate greifen bereits heute Menschen "unter die Arme": Industriearbeiter und Pfleger tragen "Kraftanzüge", also am Körper angelegte Gerüste mit Elektromotoren, die beim Heben die Hauptlast abfedern und so den Rücken entlasten. Schlaganfall-Patienten oder Menschen mit Rückenmarkschädigungen nutzen das Hilfsmittel, um sonst unmögliche Bewegungen durchzuführen oder wieder zu erlernen. Was bislang fehlt, ist der Durchbruch auf dem Massenmarkt: Senioren könnten maschinell gestützt zum Beispiel länger beweglich bleiben. Dafür müssen die Preise für Exoskelette aber deutlich sinken, was angesichts der technischen Entwicklung mittelfristig zu erwarten ist.

Flüssigbiopsie Krebs mit einer Gewebeprobe zu testen, ist manchmal kompliziert und bei einigen Tumoren sogar gefährlich. Eine neue Alternativmethode heißt "Liquid Biopsy": Dabei werden winzige Mengen des im Blut zirkulierenden Tumor-Erbguts nachgewiesen. Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie sieht bei dieser Methode derzeit allerdings noch zu viele Unsicherheiten, um allein mit ihr verlässliche Aussagen über Therapie und Diagnostik zu treffen.

Gentests In Deutschland ist der direkte Verkauf von Online-Gentests verboten, in den USA gehört eine solche Bestellung in einigen Kreisen schon zum guten Ton: um seine ethnische Herkunft aufschlüsseln zu lassen, Krankheitsrisiken zu erkennen oder den eigenen Diätplan auszurichten.

Allerdings werfen die Ergebnisse oft mehr Fragen als Antworten auf, die Qualität der Tests ist sehr unterschiedlich, das Feld stark reguliert. In den USA darf ein erster Anbieter Screenings für Erbgut-Hinweise auf Parkinson und Alzheimer anbieten. Skeptiker fürchten, dass damit weitgehend unbemerkt das Zeitalter der Standard-Gentests anbricht. Dann könnten Krankenversicherungen bei der Bemessung ihrer Beiträge Genrisiken einbeziehen.

Chips im Gehirn und digitale Liebe - welche Zukunft möchtest du? Mach den Test.

Heimdiagnosen Schon jetzt googelt fast jeder Krankheiten und Symptome, sobald er sich unwohl fühlt. Doch wie realistisch sind tiefergehende Heimdiagnosen, die über die Auswertung des eigenen Fitness-Trackers hinausgehen? Anwendungen wie das Arztgespräch via Videoschalte werden auch angesichts des Ärztemangels auf dem Land gute Chancen eingeräumt.

Anbieter für vernetzte Messgeräte werben damit, dass aus dem Krankenhaus entlassene Patienten ihren Gesundheitszustand überprüfen und dann ein Arzt per Video die Daten auswertet. Das ist noch keine Heimdiagnose - doch dass Ärzte von Fitness-Trackern oder Algorithmen abgelöst werden, erwarten ohnehin nur die überzeugtesten Technologie-Gläubigen.

Analysiert von künstlicher Intelligenz, gepflegt vom Roboter

Künstliche Intelligenz Bereits jetzt kann lernende Software Röntgenbilder analysieren (wenn auch noch nicht perfekt). Künftig werden Algorithmen zur Unterstützung bei der Diagnose und die Auswertung von Medizindaten selbstverständlich sein. Im Zeitalter des selbstoptimierten vernetzten Menschen soll künstliche Intelligenz auch irgendwann in Echtzeit Werte wie Herzfrequenz, Blutwerte oder Atem analysieren, um Krankheiten schneller zu erkennen (oder dezente Tipps für einen gesünderen Lebenswandel zu geben). Darauf bauen zumindest die Firmen, die solche Analyse-Systeme entwickeln wollen.

Mensch-Maschine-Schnittstelle Der Traum vom Cyborg lebt, doch wie realistisch ist er? Obwohl Hirnprothesen bereits heute mehr als 100 000 Patienten helfen, die Symptome von Parkinson oder Depressionen zu lindern, liegt die Vernetzung von Mensch und Maschine noch in weiter Zukunft.

Die Herausforderung ist gewaltig: Eine Schnittstelle zwischen Gehirn beziehungsweise Rückenmark und Computer müsste nicht nur Hirnaktivität zuverlässig in Digitalbefehle übersetzen, sie müsste auch klein, tragbar und infektionssicher sein. Am ehesten sind dort Fortschritte zu erwarten, wo ein Implantat bestimmte Signale einfach unterdrücken muss, zum Beispiel in der Schmerztherapie. Mit der Vorstellung vom Cyborg hat das aber nicht viel zu tun.

Nanomedikamente Einige Medikamente der Zukunft arbeiten mit Partikeln in der Größe von einem bis 100 Nanometer (zum Vergleich: ein Menschenhaar hat einen Durchmesser von 10 000 bis 50 000 Nanometern). Diese winzigen Körner können über Oberflächen, die an die Rezeptoren angepasst sind, Wirkstoffe direkter als bislang in Zellen einschleusen und die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Das Resultat: Neue Anwendungen, eine bessere Wirkung und weniger Nebenwirkungen. So die Theorie. In der Praxis gibt es gerade in der Tumor-Behandlung erste Versuche mit Nano-Transportsystemen, aber sowohl Nebenwirkungen als auch ideale Stoff-Wirkstoff-Kombinationen müssen noch erforscht werden. Bis zur Massentauglichkeit wird es dauern.

Open Medicine Der Begriff wird in zwei Zusammenhängen verwendet: Einmal "offene Medizin" im Sinne eines freien öffentlichen Zugangs zu staatlich geförderten Untersuchungen und Studien inklusive Datensätzen. Die zweite Bedeutung beschreibt eine kollaborative, dezentrale Arbeit an pharmazeutischen Entwicklungen, um "Medikamente für alle" ohne die Pharmabranche zu entwickeln - zum Beispiel jüngst das Design für einen Insulin-Pen zum Selberbauen.

Diese Bewegung der "offenen Medizin" nimmt gerade in den USA einen ähnlichen Weg wie die "Do-It-Yourself"-Biotechnologie, die das Labor der Zukunft in der eigenen Garage sieht. Die Risiken sind in einem Feld wie der Medizin riesig, die Chancen auf eine "Revolution" gering: Medizin ist keine Software, teuer zu entwickeln und stark reguliert.

Pflegeroboter Das techikaffine Japan gilt als Vorzeige-Nation der "Assistenzrobotik". In der Altenpflege testet man dort bereits seit Jahren Roboter in der Demenz-Therapie, zur Unterstützung von Pflegern oder als Helfer für gelähmte Menschen.

Das Feld entwickelt sich stetig, doch Roboter sind noch nicht filigran genug, um komplexe, spontane oder feingliedrige Aufgaben zu übernehmen. Eine Pflege-Revolution steht also noch nicht unmittelbar an (und hat auch ethische Fallstricke). Betroffene mit Bewegungseinschränkungen können allerdings schon von der Automatisierung kleiner Aufgaben wie dem Einschenken eines Glases Wasser profitieren.

Regulierung Wenn Berater über künftige Medizintechnologien sprechen, klingt das oft nach "Freigabe erfolgt übermorgen". In Wahrheit sind Medizinprodukte stark reguliert, viele Hype-Themen von heute in Wahrheit noch im Stadium der Grundlagenforschung und mehr als ein Jahrzehnt von größerem Einsatz entfernt.

Allerdings erkennen auch die Zulassungsbehörden die Chancen, die in den neuen Technologien stecken - die US-Gesundheitsbehörde Federal Drug Adminstration (FDA) hat vor einigen Monaten eine eigene Abteilung für Digital Health gegründet, die Tests und Zulassungen beschleunigen soll.

Tricorder Bordärzte auf dem Deck der Star-Trek-Raumschiffe nutzten ein kleines Messgerät, das in Bruchteilen von Sekunden Krankheiten diagnostizieren kann. Zwar spielt die Serie im 23. Jahrhundert, doch bereits seit Jahrzehnten versuchen Bastler, Firmen und die Nasa, die Tricorder-Idee umzusetzen.

Der Chiphersteller Qualcomm unterstützt zwei Firmen, die einen Prototypen vorgelegt haben, der zwölf Krankheiten (von Anämie über Lungenentzündung bis Diabetes) und fünf Vitalwerte (von Blutdruck bis Sauerstoffsättigung) direkt messen kann. Ob das Gerät allerdings jemals massentauglich wird, ist trotz der Science-Fiction-Begeisterung unter Wissenschaftlern noch nicht gesagt.

Umgebungsintelligenz Von der Industrie bis zu den eigenen vier Wänden wird derzeit alles mit vernetzten Sensoren ausgestattet. Das Internet der Dinge wird in diesem Zuge auch Notfall-Systeme und Prävention verändern. Bereits jetzt statten Autohersteller ihre Fahrzeuge mit Systemen aus, die erkennen können, wie schläfrig der Fahrer gerade ist.

Senioren sollen künftig in Zimmern leben, die ebenfalls Alarm schlagen können, wenn sich die Person plötzlich anders verhält (zum Beispiel: eine Person liegt Stunden nach der normalen Aufwach-Zeit noch im Bett). Und selbst Tabletten könnten über ausscheidbare Sensoren Messergebnisse zu ihrer Wirkung aus der Darmflora senden. Die größten Probleme dabei: Preis und Zuverlässigkeit (Senioren-Sensoren) sowie Miniaturisierung (verdaubare Sensoren).

Wearables Vernetzte tragbare Elektronik - wie etwa Smartwatches und Fitness-Bänder - verkauft sich, wenn auch in überschaubarem Rahmen. Die Entwicklung wird nicht stehen bleiben: Textilien mit Sensoren, derzeit vor allem von Sportlern genutzt, sollen künftig immer stärker über die Haut Vital-Daten oder Umwelt-Informationen sammeln. Sie könnten dann zum Beispiel den Insulin-Spiegel messen oder den korrekten Lichtschutzfaktor vorschlagen.

Patient Z Von Marktforschern manchmal abgeleitet von "Generation Z" verwendet, also den zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Mit digitaler Technologie aufgewachsen muss "Patient Z" nicht davon überzeugt werden, für Gesundheits-Prophylaxe Smartphones oder andere vernetzte Tracking-Geräte zu verwenden.

Im Gegenteil: Die Ansprüche bei Themen wie digitaler Portabilität von Krankenakten oder der Bewertung von Ärzten sind höher als die der Vorgänger-Generationen. Das ist zumindest die Theorie der Marktforscher.

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