Digitalkonferenz Re:publica:"Lasst unser Internet in Ruhe, oder wir nehmen euch die Faxgeräte weg"

Zetsche bei Internetkonferenz re:publica

Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der Re:publica in Berlin

(Foto: dpa)

700 Nerds trafen sich 2007 auf der Re:Publica, um das Netz zu diskutieren. Dieses Mal kommen 5000 Gäste - längst nicht nur digitale Denker. Die Konferenz ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Von Johannes Boie

Montag, 21.15 Uhr. Drei Menschen sitzen auf Pappkartons in einer Fabrik in Berlin Kreuzberg, hundemüde. Vor der Fabrik stehen ein paar andere Menschen, dort ist die Stimmung ausgelassen. Es gibt Bier. Wiebke Herger, 32, eine von den drei in der Halle, lächelt, seufzt. "Ich kann nicht", sagt sie beim Gedanken ans Feiern, "ich muss noch bis ein Uhr morgens arbeiten." Sie hat vier Tage kaum geschlafen. Eine junge Frau kommt auf die drei zu, sie verteilt Energy-Drinks mit dem Logo einer Bank. "Wollt ihr welche?" Was für eine Frage. Herger, Johnny Haeusler, 48, und Markus Beckedahl, 36, greifen zu.

Die Halle, in der sie sitzen, leert sich langsam. 5000 Menschen schlendern nach draußen zum Feiern, nach Hause oder ins Hotel, 5000 Menschen, die die Konferenz Re:Publica besuchen, die bis Mittwoch in Berlin tagt.

Wiebke Herger ist Projektmanagerin, sie hat die Re:Publica organisiert. Johnny Haeusler ist einst als Betreiber des Blogs Spreeblick bekannt geworden, Markus Beckedahl ist ein bekannter Aktivist im Bereich Digitale Politik. Die beiden haben die Re:Publica gegründet, zusammen mit Haeuslers Frau Tanja und Beckedahls Geschäftspartner Andreas Gebhard.

Diese siebte Re:Publica-Konferenz hatte erneut tausend Besucher mehr als die sechste im Jahr 2012. Beim ersten Treffen 2007 kamen 700 Gäste. Die Konferenz wächst und wächst. Aus dem Klassentreffen der Blogger, Nerds und Netzaktivisten ist längst eine Großveranstaltung geworden.

Am Dienstag spricht Dieter Zetsche, Chef von Mercedes Benz. Unter den Sponsoren der Konferenz sind Daimler, die Comdirect-Bank und Microsoft. Zum Auftakt der Re:Publica verlesen die Gründer am Montagmorgen minutenlang eine Liste von Sponsoren und Unterstützern. Die Szene, die kritisch ist, kommt trotzdem. Die Re:Publica ist zu wichtig, als dass man sie als Netzmensch verpassen dürfte. Ein Besucher übermalt allerdings ein Microsoft Logo, aus Protest.

In diesem Jahr werden 350 Sprecher erwartet. Sie reden über Medien und Kultur, über Wissenschaft und Forschung, neue Geschäftsmodelle, Technologie und darüber, was all die Ideen, die sie mitgebracht haben, all die Geschichten, die sie erzählen, mit der Gesellschaft anstellen können oder werden.

Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez, die erst seit Anfang des Jahres überhaupt ihr Land verlassen darf, spricht darüber, wie man in der sozialistischen Diktatur ihrer Heimat twittert. (Man versendet mehr oder weniger heimlich vier SMS mit Computerbefehlen an eine spezielle ausländische Telefonnummer.) Aktivisten denken laut über die Daten des Staates nach, und wie man sie nützen könnte. Der großartige Autor Wolf Lotter erzählt seine Ideen. Max Schrems, der junge Österreicher, der Facebook verklagt, spricht über seinen Kampf. Daimler-Chef Dieter Zetsche spricht über vernetzte Autonutzung, und darüber, wie sich künftig Mietwagen, Car-Sharing und Öffentlicher Nahverkehr kombiniert mitnutzen lassen.

Natürlich sind auch die bekannten Gesichter der deutschen Internetszene alle da, so wie die Autorin Kathrin Passig, die über eine Welt spricht, in der Kleidung mit Computerhilfe von den Käufern individuell angepasst werden kann. Und alle zusammen, Besucher wie Vortragende, reden auf Podien oder auch an der Schlange zu den belegten Brötchen über die Pläne der Telekom, Netzneutralität und Flatrates abzuschaffen. Die Gemüter sind dann schnell erhitzt. "Es ist", fasst Beckedahl am Montagabend müde zusammen, "die Konferenz, auf die wir selber gehen wollen."

Dimension verpflichtet

Eine Gesellschaftskonferenz also. "Über 50 Nationen sind hier", sagt Haeusler, "unsere Themen rücken immer mehr in die Mitte der Gesellschaft, weltweit." Und: Die Dimension und Relevanz des Treffens seien mittlerweile so groß, dass er, Haeusler, nun reden könne wie Merkel, nämlich "vom Wirtschaftsstandort Deutschland". Er lächelt jetzt, ausgerechnet er, der Kreuzberger Musiker und Autor, redet wie die Kanzlerin. Die Dimension verpflichtet. "Natürlich diskutieren wir über jeden Sponsor", sagt Beckedahl. Aber: "Ab der Größe und den Kosten, die wir erreicht haben, muss man mit den großen Unternehmen reden", sagt Haeusler.

Denn die Re:Publica kostet ordentlich Geld, zirka eine Million Euro. Mit etwas Glück kommt die Re:Publica-GmbH, die von Haeuslers und Beckedahls Firmen zu je 50 Prozent getragen wird, nach der Konferenz auf eine schwarze Null. Vergangenes Jahr allerdings schrieb man Verlust. Das liegt auch daran, dass die Gründer die Eintrittspreise gering halten, damit die Szene kommen kann. Die Einnahmen, die die verkauften Tickets generieren, gleichen nur ein Drittel aller Kosten aus.

Dass die Themen in der Mitte der Gesellschaft angelangt sind, bedeutet aber noch nicht, dass auch die Debattenkultur der Re:Publica mehrheitsfähig wäre. Noch immer ist die Szene gerne radikal und in ihren Forderungen absolut. Da wird zum Beispiel einerseits äußerst klug über das Konzept offener Regierungsdaten gesprochen. Die Kritik an der Bundesregierung, die sich ja durchaus bemüht, offene Daten anzubieten, entzündet sich auch an wichtigen Punkten, die aber für Menschen, die sich nicht im Detail auskennen, wie Kleinigkeiten wirken. Das ist nur ein Beispiel für viele ähnliche Situationen. Auch auf der Re:Publica 2013 kursiert der alte Spruch "Lasst unser Internet in Ruhe, oder wir nehmen euch die Faxgeräte weg". Das ist lustig, heißt aber unterm Strich auch: Wer das Netz gerne anders hätte als die Aktivisten, ist ein unwissender Idiot, der Technik von vorgestern verwendet.

Das alles wirkt gelegentlich besserwisserisch, ein wenig von oben herab. Noch immer konstruiert die Szene gerne ein Wir und ein Ihr. Die anderen, das sind konservative Politiker, Telekom-Vorstände, im Jargon der Konferenz-Besucher: Menschen, die sich E-Mails ausdrucken. Die Kritik ist oft wirklich humorvoll, aber sie hilft selten, wenn es darum geht, Ziele durchzusetzen. Denn erfolgreich war das vorige Jahr kaum für die Aktivisten. Vor allem, dass das Leistungsschutzrecht verabschiedet wurde, ist für sie eine große Niederlage.

Dementsprechend redet am Montagabend auch Sascha Lobo der Szene ins Gewissen. Lobo ist vermutlich der Einzige, der in der deutschen Netzszene das Zeug zum Star hat. Großes Mundwerk, wenig Hemmungen. Schlagfertig, humorvoll und dazu meistens auch nicht dumm. Lobo hält in diesem Jahr den Überraschungsvortrag, eine "langjährige Tradition seit 2012", wie er sich ausdrückt. Hauptthema seines Vortrags seien Hunde, sagt Lobo erst, aber dann spricht er doch lieber über das Versagen der Netzgemeinde in der Netzpolitik. Immerhin: Er untermalt seinen Vortrag mit Hundebildern. Wenn er eine Situation als hilflos bezeichnet, zeigt er einen Hund, der in einem Gitter feststeckt. Netzpolitik, sagt Lobo, sei zu allererst Politik und nur ein "ganz, ganz kleines bisschen Netz". Er wirbt für Kompromissbereitschaft als Teil politischer Prozesse. "Ich fürchte, man wird sich überlegen müssen, wie man Angela Merkel überzeugen kann."

So soll auch das Motto der Konferenz, "In/Side/Out", dieses Jahr dafür stehen, dass die Szene sich nach außen kehrt, über die eigenen Grenzen hinaus aktiv wird. Die Idee ist charmant, denn die da draußen, die Faxgeräte statt E-Mails verwenden, sind darauf angewiesen, dass sich irgendjemand um das Netz kümmert, der etwas davon versteht.

Ein paar Menschen haben deshalb die Arbeit schon vor Jahren aufgenommen. Zurück in der Halle bleiben sie sitzen, drei müde Gestalten. Sie werden arbeiten bis spät in die Nacht, und am Mittwochmorgen wird die Re:publica weitergehen. Und, natürlich, auch im kommenden Jahr.

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