Süddeutsche Zeitung

Digitalkameras:Die Pixel-Lüge

Mehr Megapixel verheißen nicht unbedingt schärfere Fotos: Neue digitale Kompaktkameras machen oft schlechtere Bilder als ihre Vorgänger.

Helmut Martin-Jung

Digitalkameras sind der Renner unter den Fotoapparaten. 106 Millionen Apparate wurden allein im Jahr 2006 weltweit verkauft, herkömmliche Kameras, die noch mit Film arbeiten, werden kaum mehr nachgefragt. Innerhalb von nur zehn Jahren haben kompakte Digitalkameras erstaunliche Leistungen entwickelt. Geräte, die locker hinter einer flachen Hand verschwinden, liefern gestochen scharfe Abzüge, die auch auf weit größerer Fläche als Postkartenformat noch überzeugen können.

Und die Elektronik beginnt mitzudenken: Erste Geräte können nicht nur Gesichter erkennen, sondern auch, ob die anvisierte Person lächelt. Vor allem aber haben die Hersteller an einer Schraube kräftig gedreht: An der Zahl der Bildpunkte, die die Kameras pro Foto aufzeichnen können, den sogenannten Picture elements, landläufig als Pixel bekannt.

Dem Kunden wird suggeriert, die Zahl der Pixel sei das oberste Qualitätsmerkmal und Kenngröße der modernsten Modelle. Doch bei genauem Hinsehen wird klar: Der Pixelwahn hat die Grenze der Vernunft überschritten. Viele moderne - und pixelstärkere - Kameras sind schlechter als ihre Vorgänger.

Der Grund dafür, warum die Hersteller im Halbjahrestakt immer mehr Megapixel in die Kompaktkameras packen, kommt aus der Historie der digitalen Kameras. Die ersten Modelle konnten tatsächlich nur so wenige Bildpunkte erfassen, dass schon Abzüge auf Postkartengröße wie Grafiken eines Pointillisten wirkten und jede gerade Kante wie ein Treppchen aussah.

"Zu Beginn der Digitalzeit brachten mehr Pixel mehr Qualität", sagt der Fotoingenieur Uwe Artmann, "das das hat sich bei den Käufern im Kopf festgesetzt." Artmann arbeitet bei der Frechener Firma Image Engineering, die seit zehn Jahren Kameras testet, im Auftrag von Fachzeitschriften und Herstellern.

Grüner Matsch statt Grashalme

Die unabhängigen Fachleute haben registriert, dass die Qualität kompakter Digitalkameras abnahm, nachdem die Hersteller begannen die lichtempfindlichen Bildsensoren mit mehr als sechs Millionen Pixel vollzupacken. Anstatt, wie in der Werbung verkündet, noch mehr Details zu liefern und größere Ausschnitte zu erlauben, ist die Qualität der Pixelmeister in Wahrheit oftmals schlechter. Feine Details wie Gras auf einer Wiese werden nicht feingezeichnet dargestellt, sondern als grüner Matsch. Einfarbige Flächen erscheinen schon bei geringen Ausschnittvergrößerungen grieselig.

Um die Verbraucher aufzurütteln, haben Mitarbeiter der Firma Image Engineering die Webseite 6mpixel.org ins Netz gestellt. Dort wird versucht, gegen den überhand nehmenden Pixelwahn anzugehen. Auch bei der Stiftung Warentest ist schon von dem Problem die Rede.

Allzu logisch erscheint vielen Kunden die Gleichung, wonach mehr Bildpunkte mehr Auflösung bedeuten. Der Grund für den Qualitätsschwund liegt in der gleichbleibenden Fläche der lichtempfindlichen Sensor-Chips hinter dem Objektiv. Diese Silizium-Plättchen sind sehr viel kleiner als etwa das Format eines herkömmlichen Kleinbildfilms. Die lichtempfindlichen Zellen sind in extremer Dichte aufgebracht. Eine gängige Größe von Sensoren in Digitalkameras für Normalanwender ist beispielsweise ein Chip von 5,76 mal 4,29 Millimeter.

Der Vorteil der geringen Größe der Sensoren ist, dass die Objektive kompakter gestaltet werden können. Die Herausforderung liegt nun einerseits in der Herstellung, bei einer Fläche von zwei Dutzend Quadratmillimetern viele Millionen lichtempfindliche Zellen aufzubringen. Die Qualität mindernd kommt noch hinzu, dass Licht nie als physikalisch exakter Strahl einfällt, sondern streut. Je enger aber die lichtempfindlichen Zellen beieinanderliegen, desto eher werden mehrere von ihnen getroffen. Außerdem sind die elektronischen Lichtsensoren nicht so empfindlich wie der gute alte Film, weshalb in jeder Digitalkamera ein eingebauter Minicomputer rechnerisch Hilfe leisten muss.

All diese Faktoren führen zu Fehlern, dem sogenannten Bildrauschen. Die Kameraelektronik erfindet dabei Bildpunkte, die es gar nicht gibt, Fachleute nennen sie Artefakte. Weil diese unschön sind und besonders einfarbige Flächen grieselig machen, versucht die Kameraelektronik, sie mit Anti-Rausch-Filtern zu bekämpfen. Diese verwischen zwar die störenden Pünktchen, legen aber dafür aber einen Schleier über feine Details.

Erbarmungslose Filter

"Schon bei ISO 100 stellt man deutliche Artefakte fest", sagt Fotoingenieur Artmann. Die ISO-Zahl gibt an, wie lichtempfindlich ein Sensor oder ein Film ist. ISO 100 liegt dabei sogar noch eher am unteren Ende der Skala. Für Kleinbildkameras haben sich längst ISO 200-Filme eingebürgert, die doppelt so lichtempfindlich sind wie ISO 100-Produkte. So ist es beispielsweise möglich, die Belichtungszeit auf die Hälfte zu reduzieren und damit auch die Gefahr, die Aufnahme zu verwackeln.

Erheblich schlimmer wird es, wenn man die Empfindlichkeit noch einmal um das Doppelte auf ISO 400 erhöht. Dann entsteht so viel Rauschen, dass die Filter erbarmungslos zuschlagen und massenweise Bildinformationen zerstören. "Die Ingenieure bei den Kameraherstellern sind da selber oft unglücklich'', sagt Tester Artmann, "aber die Marketingleute fordern einfach noch mehr Megapixel."

Offenbar aus gutem Grund. Verkaufsargument Nummer eins ist die Zahl der Megapixel, auch wenn Fachleute schon lange wissen, dass diese Zahl wenig aussagt. Zwar argumentiert etwa Guido Krebs, Produktmanager beim Marktführer Canon, dass mehr Pixelmillionen auch bei Kompaktkameras nicht zwangsläufig schlechtere Qualität bedeuten. Er verschweigt aber auch nicht das Dilemma, in das die Hersteller geraten sind.

"Die Frage ist, was kriege ich dem Endkunden rübergebracht." Im Zweifel würde die Masse der Kunden wohl doch eher zur Kamera mit mehr Pixeln greifen als zu einer, die nicht mehr Bildpunkte sondern mehr Qualität verspricht. "Wenn wir das machen würden, könnten wir unsere Kameras nur noch für unter 150 Euro verkaufen", sagt Krebs.

Große Sensoren sind zu teuer

Eine Lösung wären größere Sensoren. Doch diese würden die bei den Kunden so beliebten Kompaktkameras auf eine unhandliche Größe anschwellen lassen. Schließlich machten kleine Chips es erst möglich, die Kameras so winzig zu bauen, wie sie heute sind, und dabei noch Zoomobjektive einzubauen, wie sie einst nur große Spiegelreflex-Geräte hatten. Hinzu kommt, dass Silizium-Chips massiv im Preis steigen, wenn sie größer sind. Die Sensoren werden wie Computerchips aus Siliziumscheiben hergestellt. Je weniger ein solcher Rohling hergibt, desto teurer wird der einzelne Chip.

Produktmanager Krebs erwartet daher kein schnelles Ende des Pixelrennens. Aber das Wichtigste sieht er ohnehin darin, die vermuteten Bedürfnisse des Normalanwenders zu erfüllen. "Es geht darum, Kameras bauen, die möglichst wenig Ausschuss liefern'', sagt der Mann von Canon. Es wird also eher auf Technik gesetzt, die verhindert, dass Gesichter beim Blitzen käsig aussehen. "Das macht die Leute glücklich. Ob es dabei ein wenig grieselt, spielt doch gar keine so große Rolle."

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Quelle:
SZ vom 21.9.2007
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