Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Die Furcht, durch eine Maschine ersetzt zu werden

Die einen müssen ständig erreichbar sein, die anderen werden überflüssig: Digitalisierung verunsichert vor allem Arbeitnehmer. Sie haben Angst - aber die Politik hat bislang keine Antworten.

Von Markus Balser und Stefan Braun, Berlin

Der Mann liebt seine Arbeit. Eine Arbeit mit Hammer, Holz und Hobel. An diesem Morgen steht er in einer zugigen Halle in Berlin; sein Verband, der Landesinnungsverband des Bayerischen Zimmererhandwerks, hat einen Stand beim FDP-Bundesparteitag gemietet. Stolz spricht der etwa 40-Jährige über seine Arbeit. Dann wird er gefragt, wie die Digitalisierung seine Arbeit verändert habe. Na ja, erzählt er, einfach sei das alles nicht. Bei "sehr vielem" werde man sich radikal umstellen müssen. Auch er habe es nicht für möglich gehalten, die Balken für den Dachstuhl vom Computer sägen zu lassen. Heute gebe ihm das immerhin mehr Zeit, um auf dem Dach alles besser einzupassen. Angst habe er also nicht, ein "bisschen Schiss" aber schon.

Manchmal nützlich, manchmal bedrohlich - so ändert sich die Welt für einen, der vor allem ein Zimmermann sein möchte. Dann kommt eine Dame vom Verband angeflitzt, unterbricht ihn und erklärt, bei ihnen gebe es überhaupt keine Probleme. Alles sei gut, alles sei zu schaffen. Ein Auftritt, der vor allem zeigt, dass der Optimismus der PR-Sprecherin und die reale Welt manchmal doch auseinanderklaffen.

Die Digitalisierung - das ist ein großes Schlagwort. Die, die es gern in den Mund nehmen, meinen damit vor allem die großen Vorteile, die Geschäftschancen und die Möglichkeit, auch große Industrieunternehmen noch moderner, schneller, erfolgreicher zu machen. Über die Schattenseiten spricht kaum jemand.

Kaum jemand mag erzählen, dass es Angst macht, wenn Bankfilialen schließen, wenn Maschinen den eigenen Job ersetzen oder wenn das Smartphone dazu führt, dass man Tag und Nacht erreichbar ist. Digitalisierung hat eine zweite, schwierigere Seite, vor allem für ältere Menschen, für Kinder aus ärmeren Familien, aber auch für Arbeiter, Angestellte und Handwerker. Für sie kann sich alles auf den Kopf stellen. Was auch empfänglich für Populisten macht, die eine schöne alte Welt versprechen.

Die Parteien geben darauf noch keine ausreichende Antwort. Sie verlangen zwar, dass alle Menschen den gleichen, also gleich schnellen und sicheren Zugang zum Internet erhalten. Ansonsten aber vermitteln sie nicht den Eindruck, dass sie ernst nehmen, wie viel da für Schwächere und Ältere auf dem Spiel steht. Gerhard Schröders früherer Wahlkämpfer Frank Stauss hat in seinem Buch "Höllenritt" beschrieben, welche Bedeutung das bekommen kann. Er spricht von einer "doppelten Falle", in der Deutschland stecke, weil die Digitalisierung auf eine alternde Gesellschaft treffe. "Eine solche Gesellschaft braucht eine Führung, die dieses Problem offen anspricht und das Volk nicht den Angstmachern überlässt", schreibt Stauss. Seine Botschaft: Genau das fehlt bis heute.

60 Prozent der Beschäftigten, die von Digitalisierung betroffen sind, klagen über Zeitdruck

Noch älter sind die Mahnungen des Sozialforschers Jeremy Rifkin, eines wichtigen Vordenkers der Digitalisierung. "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft", heißt sein bekanntestes Buch. Die digitale Revolution mache viele Jobs überflüssig, so Rifkin. Die Arbeitswelt verändere sich rasant und radikal. Bald werde nur noch ein Bruchteil der Weltbevölkerung in der Produktion arbeiten. Immer mehr würden von Maschinen ersetzt werden.

Andere Jobs, mehr Druck, höheres Tempo: die Angst wächst an Werkbänken und in Büros, auch in Deutschland. "Was Unternehmen als Flexibilisierung feiern, übt Druck auf Beschäftigte aus - von ständiger Erreichbarkeit bis hin zu Ausgliederungen", sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Arbeitnehmer wollen nicht nur Freiheit, sie wollen auch Schutz. Die Bundesregierung tut aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes nicht genug. "Es fehlt ein konsistentes Konzept für die Entwicklung der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter", warnt Buntenbach.

Selbst Wirtschaftsverbände sind irritiert. Neue Unternehmen wie der Fahrdienst Uber machen längst klar, dass mehr auf dem Spiel steht, als die Verdrängung von einem Geschäftsmodell durch ein neues: Wo sich Selbständige über Plattformen zu Niedriglöhnen anbieten, geht es auch um die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft. Seit Monaten entwerfen die Ministerien für Arbeit und für Wirtschaft in sogenannten Weißbüchern neue Spielregeln für die digitale Wirtschaft. Bisher können sie viele Kritiker der Entwicklung nicht überzeugen.

Immer neue Anforderungen, die Entwertung des Gelernten und die Angst vor dem Jobverlust: viele Beschäftigte spüren den wachsenden Druck. Laut einer DGB-Studie leiden 60 Prozent der Beschäftigten, die besonders von der Digitalisierung betroffen sind, unter hohem Zeitdruck. Der DGB fordert, dass Rationalisierungsprozesse beim digitalen Wandel nicht aus dem Blick geraten. Angesichts von Leiharbeit, befristeten Jobs und missbräuchlichen Werkverträgen müssten "Schutzlücken" geschlossen werden. Drohungen von Ausgliederungen und Fremdvergabe dienten vor allem der Disziplinierung nach innen. IG-Metall-Vorstand Jürgen Urban betont, dass digitale Technologien bislang "eher für die Rationalisierung von oben genutzt werden als für die Humanisierung von unten".

Das Schweizer Weltwirtschaftsforum geht davon aus, dass der Wandel in Fabriken und Büros in wenigen Jahren weltweit viele Millionen Jobs kosten könnte, vor allem durch den stärkeren Einsatz von Robotern und 3-D-Druckern. In den wichtigsten Volkswirtschaften würden sieben Millionen herkömmliche Arbeitsplätze überflüssig; zugleich würden zwei Millionen mit neuem Anforderungsprofil entstehen.

Der Strukturwandel wird Millionen Jobs kosten, schätzt das Weltwirtschaftsforum

Andere Wissenschaftler warnen freilich vor "Horrorszenarien" und einer zu negativen Sicht auf die Digitalisierung. Dass aber ein Strukturwandel im Gange ist, wird nicht bestritten. Der macht auch dem Zentralverband des Deutschen Handwerks Sorgen. Die Digitalisierung greife in nahezu sämtliche Lebensbereiche ein. Arbeit, Wirtschaft, Soziales, Forschung, Bildung und Familie - alle seien einem tief greifenden Wandel ausgesetzt, heißt es beim Verband. Vor diesem Hintergrund erwarteten Unternehmerinnen und Unternehmer, Betriebe und Beschäftigte eine Politik, die Sicherheit gebe.

Bisher aber bleiben entsprechende Versuche der Parteien Bruchstücke, obwohl eine Bundestagswahl ansteht und es keineswegs "nur" um die Arbeitswelt geht, sondern auch darum, wie Kinder und Senioren auf all das vorbereitet werden. Der Geschäftsführer der CDU-Seniorenunion, Jan Luther, sagt: "Wir sollten nicht Opfer oder Sklaven der technischen Entwicklung werden, sondern diese in den Dienst des Menschen stellen, getreu der alten Devise Martin Luthers: Die Kirche ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Kirche."

Das ist ein hoher Anspruch, doch selbst bei der Seniorenunion bleiben die Überlegungen, wie das sichergestellt werden soll, bislang dünn. In ihrem Grundsatzprogramm findet sich zu all dem genau eine halbe Seite sehr allgemeiner Willenserklärungen. Nicht viel anders sieht es bei der SPD aus. "Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt grundlegend", heißt es im SPD-Entwurf. "Sie eröffnet Chancen und birgt Risiken." Es sei eine politische Aufgabe, die Digitalisierung der Arbeitswelt zu gestalten. Wie, das bleibt auf der gut halbseitigen Passage vage. Jedenfalls soll es eine "Ausbildungsstrategie für die Arbeitswelt 4.0" geben, um mit Veränderungen Schritt zu halten. Reicht das?

Die Linken werden ein bisschen konkreter. Sie stellen die Frage ins Zentrum, ob jeder den gleichen Zugang zum Netz hat - und schreiben in ihrem Wahlprogramm, dass der Zugang nicht nur eine technische Frage, sondern vor allem eine der sozialen Herkunft und Stellung sei. Sie wollen, dass sich das grundlegend ändert. Wie sie das erreichen möchten, das bleibt leider offen.

Umfassender denken die FDP und die Grünen. Beide fordern ein Digitalministerium; beide verlangen, bei der Aus- und Fortbildung - von Schülern bis Senioren - viel Geld in die Hand zu nehmen. Die Liberalen plädieren für ein 1000-Euro-Programm, das jedem Schüler zugute kommen soll. Grünen-Chef Cem Özdemir fordert gar ein "Volksbildungsprogramm" und sagt: "Schulen, Volkshochschulen, Handwerkskammern, Betriebe, Unis - überall müssen wir die Menschen fit machen." Milliarden will er dafür ausgeben; das erzählt viel über die Dimensionen.

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SZ vom 24.05.2017/jab
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