Festplatten statt Wlan:So schmuggeln Kubaner das Internet auf ihre Insel

Festplatten statt Wlan: Rares Gut: Nur an wenigen Orten in Kuba kommt man ins Internet.

Rares Gut: Nur an wenigen Orten in Kuba kommt man ins Internet.

(Foto: Desmond Boylan/AP)

Kuba ist fast komplett offline - trotzdem werden die Menschen immer mit den neuesten Informationen versorgt. Dahinter stecken raffinierte Datenhändler.

Von Boris Herrmann, Havanna

Als neulich Barack Obama in Kuba war, als erster US-Präsident nach 90 Jahren, da fragte sich die halbe Welt, ob jetzt die Revolution zu Ende geht. Dem Anlass angemessen hinterließ Obama ein paar schöne Sätze für die Geschichtsbücher, aus denen man, je nach politischer Überzeugung, diese oder jene Antwort herauslesen konnte: "Wir sind alle Amerikaner", "Sí se puede" (Spanisch für: Yes we can) oder "Die Zukunft Kubas hängt von dem kubanischen Volk ab".

Einen nicht ganz so poetischen, aber umso zukunftsweisenderen Satz ließ der US-Präsident eher am Rande fallen: "Google hat einen Deal unterzeichnet, um mehr Wlan und Breitband-Internet auf die Insel zu bringen." Die Revolution der Castros mag in die Jahre gekommen sein; die digitale Revolution könnte demnächst beginnen.

Es wäre an der Zeit. Kuba ist berühmt dafür, einer der letzten besiedelten Flecken der Erde zu sein, wo es praktisch kein Internet gibt. Nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Bevölkerung hat zu Hause einen Anschluss, nicht selten über ein 56k-Modem. Den Klang, wenn das Gerät versucht, eine Verbindung aufzubauen, kennt man in anderen Teilen der Welt aus den Neunzigern.

Surfen für zwei Dollar pro Stunde

In den Straßen von Havanna gibt es neuerdings etwa 50 öffentliche Wlan-Hotspots, dort kann man für zwei CUC pro Stunde surfen, was zwei US-Dollar entspricht. In den Lobbys der großen Touristenhotels kostet es locker das Doppelte. Für normalsterbliche Kubaner ist beides unerschwinglich. Und selbst diejenigen die sich das leisten können, haben keinen freien Zugang zum Netz. Viele Seiten, darunter staatskritische Nachrichtenportale oder auch der Telefonanbieter Skype, sind gesperrt.

Nicht von ungefähr ist dieses extrem gut gebildete Inselvölkchen aber auch für seinen kreativen Umgang mit Mangelwirtschaft und Zensur bekannt. Anstatt auf das digitale Netz zu warten, um ihren Informationsdurst zu stillen, haben sich die Kubaner also ein analoges Netz gebastelt.

In einer Hofeinfahrt in Havannas Stadtteil Vedado sitzen Héctor und Daniel, 24 und 27 Jahre alt, in ihrem kleinen Laden (ihre Nachnamen wollen sie lieber nicht verraten). Was heißt hier Laden? Im Grunde ist es nur ein Schreibtisch unter einem Wellblechdach sowie ein großer Computer. Hinter den beiden an der Hauswand hängt ein Schild mit der Aufschrift "Master Copy HD", auf ihren Visitenkarten steht "Kopierservice und Ausdrucke". Tatsächlich aber haben Héctor und Daniel etwas anderes im Angebot. Einen halblegalen Service, der sich in den vergangenen Jahren in Kuba zu einem großen Geschäftszweig entwickelt hat: "Offline Internet".

Serien, Filme und Spiele werden per USB-Kabel weitergegeben

Jeden Sonntag bekommen die beiden von ihrem Informations-Dealer eine mobile Festplatte mit 900 Gigabyte an frischen Daten: amerikanische Fernsehserien, neue Filme aus aller Welt, afrokubanische Hip-Hop-Tracks, PDFs von Zeitungen und Magazinen, aktuelle Sportergebnisse, allerlei Computerspiele und Wikipedia-Seiten. Diese Daten verkaufen Héctor und Daniel dann von Montagfrüh an ihren Kunden, von mobiler Festplatte zu mobiler Festplatte, per USB-Kabel. Es handelt sich sozusagen um eine Momentaufnahme des Internets, in der man dann eine Woche lang offline surfen kann.

Das System ist in Kuba unter dem Namen "paquete semanal" bekannt, Paket der Woche. Montags, wenn die Daten ganz frisch sind, verlangen Héctor und Daniel drei CUC dafür. Im Lauf der Woche fällt der Preis auf zwei und schließlich auf einen CUC. Für ihre Kunden ist das auch deshalb deutlich billiger als die Hotspots, weil sich das Wochenpaket an Freunde und Nachbarn weiterverkaufen lässt. Daten-Sharing auf kubanisch.

Zerstört die Googlelisierung das "Paket der Woche"?

Und kann man damit reich werden im Kuba der Übergangszeit? "Geht so", sagt Daniel, "die Konkurrenz ist groß." Eine Straßenecke weiter sitzen schon die nächsten Verkäufer. In der jüngeren Vergangenheit hat sich in Havanna ein hochkomplexes System entwickelt aus Informations-Beschaffern, Großhändlern, Zwischenhändlern, Kurieren und Zustellern, die Festplatten und USB-Sticks auch nach Hause liefern. Das alles läuft im Prinzip wie im World Wide Web ab, bloß dass in diesem Fall Füße, Mopeds und Lieferwägen jene Wege überbrücken, für die sonst Glasfaserkabel zuständig sind.

In Kuba ist das Staatsfernsehen ein zuverlässiges Schlafmittel und die führende Zeitung, die kommunistische Parteipostille Granma ("Oma"), macht ihren Namen täglich alle Ehre. Es erstaunt trotzdem nur auf den ersten Blick, dass viele Kubaner die neueste Homeland-Folge, das gerade erst veröffentlichte Beyoncé-Album sowie die aktuelle Verletztenlage beim FC Bayern kennen. Das alles findet sich im "paquete semanal".

Das Wochenpaket hat hochrangige Schutzpatrone

Es liegt auf der Hand, dass niemand ein Terabyte an Informationen pro Woche konsumieren kann. Zum Erfolg dieses Angebots gehört auch, dass es den Eindruck der unbegrenzten Freiheit vermittelt. Besser gesagt: der nahezu unbegrenzten Freiheit. Was es nicht gibt, sind Pornos sowie die Zeitungen der Exilkubaner in Florida.

Das führt zu der nicht unerheblichen Frage, wer eigentlich jedes Wochenende das Ursprungspaket zusammenstellt? Das Original für Zigtausende Kopien? Da zucken in Havanna reihenweise die Schultern . Auch die beiden Verkäufer von "Master Copy HD" können oder wollen dazu nicht mehr verraten als dies: "Kommt von oben. Wir sind nur die Verteiler."

Der Verdacht liegt nahe, dass dieses sehr kubanische Selbsthilfeprojekt akut vom Aussterben bedroht sein wird, falls die Insel demnächst tatsächlich googlelisiert werden sollte. Andererseits hat das Wochenpaket offenbar hochrangige Schutzpatrone. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass einflussreiche Kräfte im Staat an der Untergrabung der Informationsunfreiheit ordentlich mitverdienen. Dass sich mithin der Kommunismus aus kapitalistischen Motiven selbst austrickst. Manch einer hält das ja ganz grundsätzlich für das Leitmotiv der neuen kubanischen Öffnungspolitik.

Den Obama-Satz "Wir sind alle Amerikaner", man kann ihn natürlich auch so verstehen.

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