Digitales Leben:"Dann verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Privatleben"

Digitales Leben: Ist es gut oder schlecht, dass wir ständig erreichbar sind? Eine Forschungsgruppe untersucht, wie Digitalisierung sich positiv auswirken kann. Collage: Claudia Klein

Ist es gut oder schlecht, dass wir ständig erreichbar sind? Eine Forschungsgruppe untersucht, wie Digitalisierung sich positiv auswirken kann. Collage: Claudia Klein

Was das digitale Leben mit uns macht, erforscht Jura-Professor Thomas Fetzer. Ein Gespräch über abendliche Arbeits-E-Mails auf der Couch und die Angst der Menschen vor der Dampfmaschine.

Interview von Helmut Martin-Jung

Die Digitalisierung verändert fast alles, aber wie genau? Für das Land Baden-Württemberg sollen Forschungseinrichtungen herausfinden, wie sich das Internet auf die Menschen auswirkt. Sprecher des Verbundes ist der Mannheimer Juraprofessor Thomas Fetzer.

SZ: Professor Fetzer, Sie leiten einen Forschungsverbund, der herausfinden soll, was die Digitalisierung mit uns macht. Wie geht man da vor?

Thomas Fetzer: Wir arbeiten stark empirisch, machen also Studien und Experimente und befragen Menschen. Und dazu wollen wir auch den theoretischen Unterbau liefern. Ist es zum Beispiel gut oder schlecht, dass wir permanent erreichbar sind für unseren Arbeitgeber?

Wie erforschen Sie das?

Eine Psychologin wird in Experimenten untersuchen, ob sich die ständige Verfügbarkeit positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Ich kann morgens um sieben noch die Kinder in die Krippe bringen, weil ich nicht um Punkt acht im Büro sein muss, sondern im Zug schon E-Mails abarbeiten kann. Das entlastet mich. Oder ist der Effekt, dass ich abends um acht noch auf dem Sofa sitze und E-Mails schreibe? Dann verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Privatleben.

Sie erforschen aber nicht nur den Ist-Zustand ...

Viele digitale Technologien sind sehr ambivalent, können also gute oder schlechte Auswirkungen haben. Man kann mit einem Messer sowohl Butter aufs Brot streichen als auch jemanden erdolchen. Uns geht es darum, wie wir einen rechtlichen oder gesellschaftlichen Rahmen schaffen können, damit die positiven Effekte die negativen überwiegen.

Was ist ihr Ziel?

Der Forschungsverbund ist vom Land erst einmal auf drei Jahre angelegt. In drei Jahren werden wir nicht die Welt erklärt haben. Wir werden auch nicht dafür gesorgt haben, dass im Internet und in der Digitalisierung alles gut läuft. Das Thema ist nicht mit einem Kommissionsbericht erledigt, das bedarf dauerhafter Begleitforschung. Wir wollen auch nicht drei Jahre lang forschen, einen Bericht vorlegen und sagen, das ist die gesammelte Weisheit.

Was wollen Sie dann?

Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern in Dialog treten und aufnehmen, herausfinden: Was sind Ängste, Befürchtungen, Hoffnungen? Es geht auch darum, Dinge empirisch besser zu verstehen.

Wie grenzen Sie Ihr Gebiet ab?

Wir untersuchen drei Bereiche: Autonomie, Wissen und Partizipation. Im Hinblick auf Autonomie bietet das Internet einerseits viel Transparenz, verbessert also meine Entscheidungsgrundlagen. Es kommen aber andererseits neue Vermittler dazu, und wir stellen fest, dass zum Beispiel Vergleichsportale ganz eigene Interessen verfolgen können, mich also nicht unbedingt neutral informieren. Auch wenn es um Wissen geht, ist es so: Allein die Verfügbarkeit von Wissen macht den Einzelnen nicht klüger. Der Abgesang auf Tageszeitungen etwa ist verfrüht, denn sie filtern Informationen, die für mich relevant sind. Beim Thema Partizipation geht es beispielsweise darum, wie das Internet sich auf die Teilnahme an politischen Debatten auswirkt.

Was sind für sie die beiden wichtigsten Auswirkungen des Internets?

Ich glaube, dass sich in vielen Dingen die Geschwindigkeit des Handelns, aber nicht die des Denkens verändert hat. Wie schnell haben wir eine E-Mail geschrieben, und wie ist dann unsere Erwartungshaltung? Wenn der andere nicht innerhalb von zehn Minuten antwortet, wundert man sich ja schon, ob der die E-Mail bekommen hat. Andererseits: Mit Freunden in Asien oder den USA kommuniziere ich heute viel häufiger und selbstverständlicher als vor zehn Jahren.

Und die zweite?

Auf die Informationsflut, die uns begegnet, ist das menschliche Hirn noch nicht so gut eingestellt. Wir sind noch nicht so richtig gut darin, zu selektieren: Was ist wichtig? Was ist unwichtig?

Aber kann man das je lernen?

Das glaube ich schon. Die Menschen haben sich auch an frühere Entwicklungen angepasst, etwa dass Dampfmaschinen menschliche Arbeit ersetzen können. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Digitalisierung gleichzeitig alle Lebensbereiche erfasst. Staat und Gesellschaft haben die Aufgabe, das positiv zu begleiten.

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