Süddeutsche Zeitung

Digitale Wirtschaft:Lektionen aus Silicon Valley

EU-Kommissarin Neelie Kroes fordert von der IT-Industrie mehr Tempo und Risikobereitschaft. Die Konkurrenz in Übersee ist hart.

Varinia Bernau und Thorsten Riedl

Hasso Plattner ist einer der erfolgreichsten Deutschen. Mit vier anderen Wagemutigen hat er Anfang der siebziger Jahre die Firma SAP gegründet - und zum größten Softwarekonzern in Europa gemacht. "Wissen Sie, was junge Leute wissen wollen? Sie fragen mich nichts zu Technologien. Das können sie in Büchern nachlesen", erzählt er. "Sie fragen: Wie sind Sie Milliardär geworden?" An deutschen Universitäten bekommen sie selten eine Antwort darauf. Geld zu verdienen, gelte hierzulande als etwas Schlechtes, sagt der SAP-Gründer. "Diese Denke wirft uns zurück."

Das sieht Neelie Kroes ähnlich: "Ich bin nicht besorgt, dass wir zu Innovationen nicht in der Lage wären", erklärt die EU-Kommissarin für Digitales der Süddeutschen Zeitung. "Aber wir müssen aktiver auf der globalen Bühne werden, um unsere Forschungsleistungen in unternehmerische Leistungen einzubringen."

Die Futterkette in der Informationstechnologie (IT) ist klar aufgeteilt. In den USA werden Geräte wie der Musikspieler iPod oder die Notebooks von Hewlett-Packard oder Dell entwickelt, in Asien werden sie bei Auftragsfertigern produziert, in Europa dann gekauft. Das Internet ist in der Hand von amerikanischen Konzernen wie dem Warenhaus Amazon, dem Auktionshaus Ebay, der Suchmaschine Google oder dem Freundestreff Facebook. Ein ganz ähnliches Bild im Softwarebereich: SAP kann mit den ganz Großen noch mithalten, danach kommt lange nichts. Die Software AG, in Deutschland Nummer zwei, hat beim Umsatz zwar die Milliarden-Marke erreicht. Doch das ist nur ein Bruchteil dessen, was Microsoft verdient.

"Produktion in Fernost, Inhalte aus Übersee - das sollten wir nicht als normal hinnehmen", sagt die Europapolitikerin Kroes. Mit Mangel an Talenten habe die Entwicklung wenig zu tun, die gebe es auch in der europäischen Forschungslandschaft. Die 69-jährige Niederländerin verantwortet als Kommissarin in Brüssel die Digitale Agenda, mit der die Europäische Union bis 2020 fit werden soll für die neue IT-Welt. Zuvor war sie Wettbewerbskommissarin.

In dieser Funktion habe sie, sagt Kroes, die "Big Guys" der IT-Industrie getroffen, die Chefs der Konzerne: Steve Ballmer von Microsoft etwa oder Paul Otellini von Intel. Mit denen habe sie neben Wettbewerbsfragen bei einem Kaffee auch über Europa geplaudert. Einhellige Meinung: "Ihr habt gute Leute, tolle Forscher, viele Chancen", berichtet die EU-Kommissarin von den Gesprächen. "Aber manchmal seid ihr zu langsam, zum Beispiel bei der Finanzierung der jungen Firmen." Im Silicon Valley, dem Computertal nahe San Francisco, würde Wagniskapital schneller fließen.

Europa müsse die eigenen Früchte der Forscher besser vermarkten, erklärt die Frau aus Brüssel. "Wir sollten uns auf Bereiche konzentrieren, in denen wir die Führung übernehmen können." E-Health nennt sie als Beispiel, das Geschäft mit der Gesundheit. Die IT könne dafür sorgen, dass ältere Menschen länger selbständig bleiben und gleichzeitig weniger Kosten für den Staat verursachen, etwa indem sie ärztlichen Rat mit Hilfe einer Videokonferenz einholen. Andere Ideen könnten dem Umweltschutz dienen oder dem Wunsch nach besserer Ausbildung. "Die Möglichkeiten, die gerade entstehen, sind schier endlos."

Die Zeit allerdings eilt, um Europa wettbewerbsfähig zu machen. So habe US-Präsident Barack Obama versprochen, 98 Prozent der Bevölkerung an schnelle Internetverbindungen anzuschließen. In Europa laute das Versprechen sogar: Jeder bekommt Zugang zum Breitbandnetz. Auch in Fernost sei man sich im Klaren, welche Chancen in dem Bereich liegen würden. "Die Digitale Agenda ist eine weltweite Herausforderung", verkündet Kroes. "Wir müssen sie annehmen. Je früher, desto besser."

Hasso Plattner, 67 und kein bisschen müde, nimmt die Herausforderung an. Die Frage, wie Computertechnologien das Leben, nicht zuletzt das Geschäftsleben, verbessern, treibt ihn nach wie vor um. Bis heute hat er 200 Millionen Euro in ein Forschungsinstitut an der Universität Potsdam investiert, das seinen Namen trägt. Die Studenten dort könnten es durchaus mit den Amerikanern aufnehmen, sagt er. In Europa habe man sich daran gewöhnt, sich mit steten, kleinen Wachstumsraten zufriedenzugeben, kritisiert Plattner. "Ich war mir nie ganz sicher, ob das der richtige Weg ist", sinniert er. Von Zeit zu Zeit müsse man eben "mal richtig einbrechen, um wieder auf ganz andere Ideen zu kommen".

Apple habe das vorgemacht: 1997 stand die Firma kurz vor der Pleite. Dann kamen iPod, iPhone und iPad - Apple hatte all diese Dinge zwar nicht neu erfunden, aber so weiterentwickelt, dass sie die Leute begeisterten. In dieser Verbeugung vor Apple steckt einer seiner Ratschläge, wie man es zum Milliardär bringt: "Wer für eine Sache brennt, der wird es auch ein zweites Mal versuchen, nachdem er einmal gescheitert ist."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1069492
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.03.2011/berr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.