Digitale Musikproduktion:Tonstudio zum Mitnehmen

Computertechnik hat die Aufnahme und Produktion von Musik revolutioniert. Wo früher sperrige Bandmaschinen und riesige Mischpulte im Einsatz waren, reicht heute ein einfacher Laptop. Und billiger sind digitale Verfahren obendrein.

Kai Schwirzke

Sperrige Tonbandmaschinen, raumfüllende Mischpulte und mehrere Schrankmeter an Effektgeräten - all das gehört für Micki Meuser seit einem knappen Jahrzehnt der Vergangenheit an. Das aktuelle Studio des Berliner Produzenten (u. a. Ina Deter, Ideal, Lemonbabies) und Filmkomponisten passt bequem in ein einziges Notebook. Das nutzt Meuser zu Hause in seiner Wohnung, oder er nimmt es mit zu einem Dreh oder auch ins Filmstudio zur finalen Mischung einer Spielfilmmusik.

Diese bemerkenswerte Miniaturisierung liegt etwa nicht daran, dass Produzent Meuser sich vielleicht dem spartanischen Arrangieren oder gar dem musikalischen Minimalismus zugewandt hätte. Ganz im Gegenteil: Im Augenblick arbeitet der Berliner an einer Filmmusik für den ZDF-Spielfilm "Ein Sommer in Schottland" (Erstausstrahlung 30.9.2012), und für diese Produktion erwarten Regisseur und Produzent große Gefühle und ebenso große Musik. Ein Hauch von Hollywood.

Sein Notebook, etwas musikspezifische Software und natürlich sein kompositorisches Talent, mehr benötigt Meuser nicht für das große Gefühlskino am Sonntagabend. Das Ganze muss man sich so vorstellen: Als Hauptanwendung startet der Berliner ein Programm, das die Funktion einer Mehrspur-Tonbandmaschine erfüllt. In Fachkreisen nennt sich so etwas auch DAW, kurz für Digital Audio Workstation. Damit kann man, unter anderem, ganz normale Audiosignale aufzeichnen, beispielsweise einen Sänger oder auch mehrere Gitarristen.

Im Gegensatz zu traditionellen Bandmaschinen begrenzt heute nur noch die Rechenleistung und Festplattenkapazität die Anzahl der zur Verfügung stehenden Spuren. Aktuelle Computer können weit mehr als zweihundert Audiospuren gleichzeitig aufnehmen und wiedergeben. Außerdem lassen sich Aufnahmen sofort editieren. Störendes Geraschel vor und nach dem Take zum Beispiel ist in Windeseile entfernt.

Virtuelle Instrumente erleichtern Arbeit

Sogar die Korrektur einzelner falscher Töne in mehrstimmigen Audioaufnahmen ist mittlerweile möglich. Und wenn das Musikstück später ein neues Tempo bekommen oder in eine andere Tonart transponiert werden soll? Solange Micki Meuser es nicht übertreibt, machen modernste Algorithmen derartige Operationen selbst für Experten unhörbar.

Was Musikern wie Komponisten die Arbeit außerdem sehr erleichtert, sind virtuelle Instrumente. Das sind in Software gegossene Klangerzeuger, die als Plug-ins, also kleine Zusatzprogramme, in eine DAW eingebunden werden und dann über eine normierte Schnittstelle mit dem Hauptprogramm kommunizieren. Der Komponist des Musikstückes kann auf diese Weise die virtuellen Instrumente über eine angeschlossene Tastatur einspielen und das Ergebnis anschließend Note für Note in unzähligen Parametern in speziellen Editoren bearbeiten.

Programme verbrauchen wenig Speicherplatz

Da bei diesem Verfahren keine Audiodaten, sondern lediglich Zahlenwerte beispielsweise für Tonhöhe, Anschlagsstärke und Tondauer gespeichert werden, belegen derartige Aufnahmen extrem wenig Speicherplatz und sind im Vergleich zu herkömmlichen Tonaufnahmen deutlich radikaler zu editieren.

Virtuelle Instrumente gibt es inzwischen in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Viele bilden mit raffinierten Rechenroutinen das Schaltungsdesign und somit den Sound bekannter und beliebter Synthesizerklassiker wie den Minimoog nach. Physical Modeling wird dieses Vorgehen in bestem Neudeutsch genannt. Auch herkömmliche akustische Instrumente wie Geigen, Gitarren und Klaviere werden immer häufiger über dieses Verfahren repliziert. Dass dieses auch durchgehend zu überzeugenden Resultaten führt, ist allerdings keineswegs garantiert.

Hardware gibt es nicht zu Discounterpreisen

Deshalb erfreut sich nach wie vor das Sampling größter Beliebtheit. Bei dieser Technik versucht man, ein Instrument durch möglichst viele Tonaufnahmen so exakt wie möglich abzubilden. So werden beispielsweise bei einem Klavier Tasten in verschiedenen Lautstärkeabstufungen angeschlagen und aufgenommen. Anschließend setzt man diese Einzelaufnahmen wieder zusammen und macht sie dann mit Hilfe von Sampler-Software über eine Tastatur spielbar.

Je mehr Nuancen die Macher der digitalen Instrumente zuvor eingefangen haben, desto realistischer lässt sich das digitale Abbild später spielen. Allerdings steigen damit auch Speicherbedarf wie Leistungshunger. Dennoch: Auf modernen PCs lassen sich komplette Orchester und natürlich auch anderes Instrumentarium mit Zehntausenden solcher Klangproben (Samples) verblüffend lebensecht nachbilden. Die dafür notwendigen Massenspeicher, oft im Terabyte-Bereich, sind inzwischen zum Taschengeldpreis verfügbar.

Zum Vergleich: Im Fairlight CMI, einem Vorfahren heutiger Musikcomputer aus dem Jahr 1979, musste ein Instrument mit einem einzigen kurzen Sample vorliebnehmen, das auf hundehüttengroßen Acht-Zoll-Diskettenlaufwerken gespeichert wurde. Die Kapazität dieser Speicherdinosaurier: 256 Kilobyte. Der Preis des Systems: 30 000 Mark.

Micki Meusers DAW-Software ist so teuer nicht. 150 Euro kostet sie inzwischen nur noch in Apples App Store. Und ist dennoch um so vieles leistungsfähiger als der Urururgroßvater, der Fairlight CMI. Denn selbst die zahlreichen Effekte wie etwa Hall oder Echo, ohne die es in keiner Musikproduktion mehr geht, kommen bei Micki Meuser vollständig aus dem Computer. Die Frage nach dem Einsatz von althergebrachtem Effektgerät verneint der Komponist mit schelmischem Grinsen: "Ich besitze so etwas zwar noch, aber die Kisten, in denen ich das aufbewahre, nutze ich im Moment als schicke Nachttische."

Natürlich ist es mit der DAW-Software alleine nicht getan. Ein leistungsfähiges Notebook, das einer kommerziellen Musikproduktion souverän gewachsen ist, geht natürlich nicht zum Discounterpreis über den Ladentisch. Auch die zahlreichen Plug-ins, Zusatzsoftware also zum Beispiel für besonders gute Orchester-Sample-Bibliotheken, können das Budget deutlich dezimieren, und zwar im vierstelligen Euro-Bereich.

Sechs Monitore im Einsatz

Außerdem steuert Micki Meusers Notebook ein knappes halbes Dutzend Monitore: Arrangement, Mischpult, Editoren, Aussteuerungsanzeigen - all das kann auf einem einzigen Notebook-Bildschirm schon einmal arg unübersichtlich werden. Und so wird das Notebook-Studio plötzlich doch ganz schön teuer.

"Aber das ist doch gar nichts im Vergleich zu dem, was früher Tonstudios gekostet, geschweige denn, was sie gekonnt haben", mahnt Micki Meuser. Und von Mitnehmen konnte natürlich nicht die Rede sein. Mit seinem Notebook hingegen sucht der Komponist zwecks Inspiration auch gerne einmal sonnenverwöhnte Regionen Europas auf. Oder er besucht seine Schwester in Köln. "Da schließe ich meinen Computer per Adapter an ihren HD-Fernseher an. Das ist absolut großartig, so kann ich fast so komfortabel arbeiten wie zu Hause in Berlin."

Musiker sind nicht überflüssig

Übrigens ist es keinesfalls so, dass Micki Meuser am PC vereinsamt: Wenn immer möglich und für die Produktion sinnvoll, bittet er gute Musiker zu sich nach Hause und nimmt sie dort auf - mit seinem Notebook. Dabei geht es auch im jungen 21. Jahrhundert nicht ganz ohne alte Technik: Hochwertige Mikrofone und ebensolche Vorverstärker, die das Signal in bestmöglicher Qualität ins Notebook befördern, sind immer noch ein Muss.

Und wer immer noch glaubt, mit Computerhilfe produzierte Musik müsse zwangsweise steril klingen, hört sich einfach das Album "Ein Wunder" von Ina Deter aus dem Jahr 2007 an. Auch das entstand auf Meusers Notebook.

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