Digitale Musik:Was macht eigentlich guten Klang aus?

Digitale Musik: Der gute Sound - was ist das eigentlich?
Illustration: Stefan Dimitrov

Der gute Sound - was ist das eigentlich?

Illustration: Stefan Dimitrov

  • Musikaufnahmen können komplett anders klingen als im Studio - das beeinflusst der Tonmeister mit seinem Fachwissen.
  • Digitale gegen analoge Technik auszuspielen, halten die Klang-Fachleute für unsinnig.
  • Gründe, warum alte Vinyl-Aufnahmen als besser klingend empfunden werden, gibt es dennoch.

Von Helmut Martin-Jung

Chromblitzende, aus massivem Metall gefertigte Plattenspieler, so groß wie ein Kühlschrank und um ein Vielfaches teurer, Kabel so dick wie Schiffstaue, Vorverstärker, Verstärker mit Röhren oder auch ohne, mit Digitaltechnik oder auch ohne, Boxen zum Preis eines teuren Autos - wenn es um den Klang ihrer Hi-Fi-Anlage geht, ist manchen Enthusiasten kein Aufwand zu groß und kein Preis dafür zu hoch. Zu besichtigen - und vor allem - zu hören sind solche Anlagen von diesem Donnerstag an auf der Messe High End in München.

Aber was ist das eigentlich, guter Klang? Damit auf den sündhaft teuren elektronischen Hi-Fi-Gerätschaften das Orchester fulminant und trotzdem durchsichtig rüberkommt, das Jazz-Piano-Trio warm und intim, die Hard-Rock-Band laut und knackig und Hip-Hop mit hübsch viel Bass, damit das alles funktioniert, muss es ja erst einmal in bestmöglicher Qualität auf den Datenträger gekommen sein. Und da reicht es eben nicht, irgendein Mikrofon irgendwie hinzuhalten und auf "Aufnahme" zu drücken.

Es ist wie in der Fotografie: Der Fotograf muss wissen, wie er sein Werkzeug einsetzt, wie er die Rohdaten, früher: das Negativ, behandelt. Wie er mit Nachbearbeitung ein gutes Foto noch besser machen kann. "Die Technik", sagt Thorsten Weigelt, "ist der Farbkasten. Welche Farben man nimmt, hängt vom Raum ab, von den Instrumenten, vom Spieler - und davon, was der Musiker wünscht." Weigelt ist Tonmeister und Professor an der Universität der Künste in Berlin. "Wie wird das, was der Künstler will, möglichst klar" - diese Frage müsse sich ein Tonmeister bei jeder Aufnahme aufs Neue stellen, sagt er.

Justus Beyer hat bei Weigelt studiert. Er beschreibt, wie vielfältig die Aufgaben eines Tonmeisters sind: "Man spricht mit dem Künstler über Musik, man versucht eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Musiker kreativ sein können." Wie eine Aufnahme am Ende klingt, darauf habe der Tonmeister großen Einfluss: "Ich stelle die Musiker dar, nehme eine Gewichtung vor, das ist auch eine ästhetische Entscheidung." Oft gebe es in einer Sitzung verschiedene Takes, die musikalisch sehr unterschiedlich seien.

"Bei Klassik geht es um den Eindruck der Natürlichkeit."

Aber ist das nicht Betrug am Hörer, wenn der Tonmeister das künstlerische Ergebnis maßgeblich beeinflusst? Nein, sagt Beyer, eine CD sei nun einmal ein Kunstprodukt, eine Kombination, die etwas neu erzählt. "Da kann man schon mal eine Geige wegschimmern lassen", gibt er ein Beispiel. Und in der Populärmusik, sagt sein ehemaliger Professor, sei ohnehin "alles erlaubt". Dagegen: "Bei Klassik geht es um den Eindruck der Natürlichkeit, man hat aber nicht immer die optimalen Aufnahmebedingungen."

Hört man in so manche zeitgenössische Produktion hinein, erscheint das sofort plausibel - so schlecht, so flach, so leblos kommt das daher. Doch an den schlechten Aufnahmebedingungen liegt es meist gar nicht: "Es gibt mit den heutigen technischen Möglichkeiten die Tendenz, sich das Equipment billig zusammenzukaufen." Das große Know-how, das die Tonmeister von früher benötigten, um die teuren und komplizierten analogen Geräte überhaupt zu bedienen, brauche man heute nicht mehr. Doch wer nicht weiß, wie er die digitalen Wundergeräte von heute richtig einsetzt, wird zwar anders als vielleicht früher irgendetwas aufnehmen, gut klingen wird es aber nur zufällig: "Wer gut sein will, muss immer noch sehr viel wissen", sagt Thorsten Weigelt.

Von der in Hi-Fi-Kreisen schwärenden Debatte über Digital- versus Analogtechnik halten beide Tonmeister gar nichts: "Digital und Analog gegeneinander auszuspielen, ist sinnlos", sagt Justus Beyer, "das entscheidet nicht über den guten Klang." Allenfalls in der Anfangszeit der Digitaltechnik sei das anders gewesen - damals waren die Wandlerbausteine noch nicht so gut, die die analogen Signale in digitale umwandeln und umgekehrt.

"We will fix it in the mix"

Wie kann es dann aber sein, dass noch heute Aufnahmen aus den 1960er-Jahren, der berühmte Solti-Ring aus London etwa oder die Jazz-Platten, die Rudy van Gelder in New York etwa zur selben Zeit für das Label Blue Note aufzeichnete, wie kann es sein, dass diese Aufnahmen besser klingen als manche heutige Produktion und dass manche sie zu nahezu unerreichbaren Vorbildern stilisieren?

Zum einen liegt es daran, dass manche Produktion von heute aus welchen Gründen auch immer nicht gut gemacht ist. Außerdem glaubt Beyer: "Man erinnert sich an die guten Sachen von früher und vergleicht es mit beliebigen Produktionen von heute." Wenn da jemand am Mischpult sitzt, der sein Handwerk nicht beherrscht, dann kommt es zu hanebüchenen Fehlern, zum Beispiel wird die Aufnahme viel zu leise ausgesteuert. Man kann das Lautstärke-Niveau solcher Aufnahmen zwar elektronisch erhöhen, doch die ganzen störenden Nebengeräusche werden dann ebenfalls mitverstärkt.

Was aufnahmetechnisch nicht völlig versaut ist, lässt sich immerhin noch oft durch Nacharbeitung retten: "We will fix it in the mix", lautet ein geflügeltes Wort in der Branche, das richten wir dann beim Abmischen. Hat ein Tonmeister allerdings ein Live-Konzert zu betreuen, dann funktioniert das natürlich nicht: "Da darf noch viel weniger schiefgehen", sagt Weigelt.

Und Justus Beyer ergänzt: Wenn's schiefgeht, dann sind bei einem Feedback die Ohren von 10 000 Zuschauern gefährdet." Feedback, das ist das unangenehme überlaute Pfeifen, das entsteht, wenn der über Lautsprecher abgegebene Ton vom Mikrofon aufgenommen wird, wieder über Lautsprecher kommt und immer so weiter. "Wenn es gut geht", sagt Beyer, "bekommen die Zuhörer vom Tonmeister nichts mit."

Keine feste Anstellung, sondern arbeiten frei

Zwischen Live und Studio liegen die sogenannten Direktschnittplatten. Dabei ritzt ein Spezialgerät in eine Metallplatte und produziert damit ohne große Umwege eine Masterscheibe, von der sich Vinyl-Schallplatten pressen lassen. Unter anderem weil einige Kopiervorgänge wegfallen, ist die Qualität dieser Aufnahmen erstaunlich gut, aber auch der Druck, unter dem die Musiker stehen, produziert eine besondere Spannung. Sie müssen nämlich eine Plattenseite, also etwa 20, 25 Minuten lang durchspielen - abbrechen geht nicht.

Die Ausbildung zum Tonmeister wurde mittlerweile auch auf das Bachelor-Master-System umgestellt. Der Studiengang ist eine Mischung aus technischen und künstlerischen Anforderungen. Außer den staatlichen Lehranstalten gibt es auch viele private Anbieter, bei denen man viel Geld für eine Ausbildung bezahlen müsse, sagt Weigelt, die Qualität der Ausbildung sei bei vielen allerdings nicht so gut. Welche Noten man in der Abschlussprüfung hat und welche Titel man trage, das spiele in der Praxis keine große Rolle, sagt Weigelt. Das ist vor allem deshalb so, weil die meisten Tonmeister heutzutage keine feste Anstellung mehr bekommen, sondern projektbezogen engagiert werden. Wer einen guten Job macht, wird mehr Aufträge bekommen als jemand, der es nicht so draufhat. Oder wie Weigelt das prägnant ausdrückt: "Qualität setzt sich durch."

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