Digitale Gesellschaft:Frontstadt Berlin

The skyline of Berlin is pictured

Berlin ist wieder eine Frontstadt

(Foto: REUTERS)

Berlin ist eine Frontstadt der digitalen Konflikte. Man lebt nicht für oder gegen das Netz. Sondern mit ihm. Die Ted Conference suchte dort nach Wegen der Vernunft - nach Werten, die das Netz transportieren sollte.

Von Andrian Kreye, Berlin

Berlin ist wieder eine Insel. Eigentlich hatte das Bild mit dem Mauerfall ausgedient. Was auch heißt, dass die meisten Menschen, die sich am lauen Montagabend im Hof des Admiralspalastes versammelten, um die erste deutsche Inszenierung der kalifornischen Ideenmaschine Ted Conference zu besuchen, noch gar nicht geboren waren, als man das Inselhafte der Stadt im Westen noch sehr gut nachvollziehen konnte. Damals, als man über die Korridore der Transitstrecken durch den eisernen Vorhang in die Frontstadt einfuhr, in der so vieles erlaubt und möglich wurde, für das in der BRD kein Platz war.

Es steht sich gut in diesem Hof. Man hört erstaunlich viele verschiedene Sprachen, fühlt sich als über 30-Jähriger ein wenig alt und blickt in kluge Gesichter mit sehr offenen Blicken. Ja doch, dieses leicht berauschende Freiheitsgefühl gibt es heute wieder in Berlin. Eben nicht nur für Westdeutsche, sondern für eine neue Generation kultureller Abenteurer, denen New York zu teuer, Paris zu hermetisch und London zu aggressiv geworden ist. Aber zu diesem Gefühl der Insel voller Gleichgesinnter kommt seit einigen Jahren dieses neue Grundrauschen dazu: Berlin ist wieder eine Frontstadt. Es gibt nur keinen eisernen Vorhang mehr, sondern einen digitalen Schleier.

Die Revolution ist vorbei. Und die Sieger kann man an einer Hand abzählen

Der Konflikt, der sich dahinter abzeichnet, mag bei Weitem nicht so dramatisch sein wie ein drohender Atomkrieg. Und doch hat er nun die gesamte Menschheit erfasst. Weil die digitale Revolution abgeschlossen ist und es nur wenige Sieger gibt. Die sind schnell aufgezählt - die Geheimdienste der Welt, der freie Markt, das Silicon Valley. Was als Verheißung eines elektronisch getriebenen demokratischen Weltgeistes begann, droht gerade zu einer Dystopie der Überwachung aller und Vermarktung jedes noch so kleinen Lebensbereiches zu verkommen.

So eine herzhafte Portion Kulturpessimismus tut in der Betrachtung der digitalen Realität, die das Internet geschaffen hat, hin und wieder ganz gut. Man sollte es allerdings nicht übertreiben. Das Internet ist ja nun mal da, und es ist ja auch so konstruiert, dass es niemand mehr abschalten kann. Es sei denn, man glaubt an Apokalypsen, aber das ist kein Kulturpessimismus, sondern reiner Blödsinn. Man muss also irgendeinen Weg der Vernunft finden, mit diesem doch immer noch undurchschaubaren weltweiten Netzwerk umzugehen. Und da ist Berlin kein schlechter Ort. Weil der Kulturpessimismus dort eine lange Tradition und die Aufbruchsstimmung ein kurze, aber robuste Geschichte haben.

Es ist eben kein Zufall, dass Julian Assange die Anfänge von Wikileaks in Berlin programmierte; dass NSA-Whistleblower Edward Snowden hier sehr viel lieber leben würde als in Moskau; dass seine Weggefährtin Laura Poitras hier lebt, genauso wie der Kryptografie-Pionier Jacob Appelbaum; dass sich hier die Anwälte des European Center for Constitutional and Human Rights als Vorreiter im nun globalen Kampf für Menschen- und Bürgerrechte etablierten, die nun auch Edward Snowden vertreten. Berlin ist wieder Insel.

Der revolutionäre Gestus ist verführerisch

Internetkonferenz Republica

Einfach abschalten? Für Unternehmen ist die Lösung, die die Mütze dieses Besuchers der Internetkonferenz Republica suggeriert, keine Option.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Konflikt, in dem diese Figuren in Berlin ganz realen Schutz finden, ist längst durchideologisiert. Die Harvard-Historikerin Jill Lepore hat die zerstörerische Kraft dieses Kampfes gerade in der Wochenzeitschrift New Yorker mit einem großen Essay in den Lauf der Geschichte eingeordnet. "The Disruption Machine" lautet der Titel. Man muss das Schlagwort "Disruption" in diesem Zusammenhang unübersetzt lassen, weil "Störung" und "Zersetzung" den Graubereich nicht zulassen, in dem das Wort im amerikanischen Englisch als positiv besetztes Synonym für Innovation benutzt wird.

Disruption ist im Silicon Valley das Zauberwort für eine wirtschaftliche Revolution, die Innovation als Umsturz bestehender Verhältnisse versteht. Beispiele gibt es ja genug, dass Garagenwerkstätten ganze Industrien stürzen und selbst zu Weltkonzernen werden. Amazon, Google und Facebook haben so angefangen.

Der revolutionäre Gestus ist verführerisch. Doch Lepore warnt: "Das 18. Jahrhundert feierte die Idee des Fortschritts; das 19. Jahrhundert hatte die Evolution; das 20. Jahrhundert hatte Wachstum und dann Innovation. Unsere Ära hat die ,Disruption', die trotz ihres futuristischen Kerns letztlich ein Rückschritt ist. Das ist eine Theorie, die auf einer tiefen Angst vor finanziellem Kollaps basiert, eine apokalyptische Angst vor globaler Zerstörung und flauer Faktenlage." Finstere Zeiten dräuen da am Horizont, wenn sich die Moderne vom Fortschrittsgedanken der Aufklärung abwendet.

Es ist natürlich erst einmal Ironie, wenn mit der Ted Conference nun ausgerechnet jene Organisation im neoklassizistischen Saal des Admiralspalastes aufschlägt, die seit 1984 das erste Forum für so viele der Innovationen waren, welche die technologisch-wissenschaftlichen Revolutionen dieser letzten 30 Jahre bestimmten. Wo man die Frühformen von Technologien wie dem iPad, dem selbstfahrenden Auto oder der kommerziellen Genomanalyse zu sehen bekam. Wo sich genau die Sieger der digitalen Revolution tummeln, die nun Härte zeigen, wenn es darum geht, neue Machtstrukturen zu zementieren - Jeff Bezos von Amazon etwa, Sergey Brin und Larry Page von Google, Bill Gates vor und nach seiner Zeit bei Microsoft.

Doch Ted war nie Plattform für Propaganda. Sie ist heute mehr den je Forum für Zweifel - an genau jenen Innovationen, deren Aufstieg sie begleitet hat. Der europäische Direktor der Ted, Bruno Giussani, ist da ein Meister des Kontextes. So setzt er gleich an den Anfang der Veranstaltung einen Vortrag des Datenredakteurs beim Magazin Economist, Ken Cukier. Der erst einmal das ganze Panorama der ungeahnten Möglichkeiten und Chancen von Big Data aufrollt, Weltgesundheit, Sicherheit und Demokratie zu stärken. Um dann vor den destruktiven Folgen eines dogmatischen Effizienzdenkens zu warnen. Gefolgt vom französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, der für sein Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" aus genau solchen Datenfluten seine Theorie von der wachsenden Ungleichheit der Welt herausarbeitete, die ihn nun zum Debattenstar gemacht hat.

Es geht um Werte, die das Netz transportieren sollte, wie die Selbstermächtigungs-Projekte der digitalen Kartografie-Organisation von Erica Hagen, die Nairobis Shantytown Kibera buchstäblich auf die Karte setzte. Besonders mitreißend verdeutlicht das Simon Anholt, der seinen "Good Country Index" vorstellt. Mit dem bewertet er Länder nicht nach ihrer Effizienz, auch nicht nach Wohlfühlfaktoren der Glücksforschung, sondern nach ihrer positiven Wirkung für den Rest der Welt (Platz 1: Irland. Platz 2: Finnland. Platz 3: Schweiz. Deutschland - Platz 13. USA - Platz 21).

Das mögen alles nur Schlaglichter auf Einzelprojekte sein. Doch was sich da vor dem zunehmend begeisterten Publikum herauskristallisierte, ist der Wille, eben jenen Weg der Vernunft zu finden, der zwischen dem Kulturpessimismus des 20. Jahrhunderts und dem Effizienzdogma des 21. Jahrhunderts vermitteln kann.

Man lebt nicht für oder gegen das Netz. Sondern mit ihm. Berlin hat das früh begriffen

Bruno Giussani hätte dafür keinen besseren Ort finden können als Berlin, wo man früher als anderswo gelernt hat, nicht für oder gegen, sondern mit dem Internet zu leben. Denn es geht ja gerade darum, die Zukunftsbegeisterung mit genau jenem positiven Fortschrittsgedanken zu bewahren. Jenen Fortschritt, der einst eine Mischung aus Erfindergeist, Humanismus und Gesellschaftsverträgen war und nun von einer Sturm- und Drang-Phase verdrängt wird, die von Angriffslust, Effizienz und Anarchie geprägt ist.

Nein, sexy und glamourös war Vernunft noch nie. Aber es ist bezeichnend, dass der Generationenkonflikt sich im umgekehrten Frontverlauf abzeichnet: mit einer jungen Generation, die Vernunft fordert - und Machtstrukturen, die Umsturz bedeuten. Diese Generation sieht, wie sich die Revolutionäre, die sie vor Kurzem noch so bewunderte, zu Autokraten wandeln. Zu Konzernen, die harten Druck ausüben, wie Google und Amazon. Zu Überwachungsmaschinerien im Dienste der Wirtschaft und der staatlich verordneten Angst. Das war nicht die Welt, die sie in ihren virtuellen Räumen der digitalen Netze erträumten. An diesem Abend dämmert einmal mehr die Erkenntnis, dass es nun Zeit wird, für diese Welt zu kämpfen. Denn es gibt Wege der Vernunft.

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