Digitale Gesellschaft:Der Krieg um das Internet

Die digitale Revolution wirft viele Fragen auf. Doch statt sich mit der Ausgestaltung unserer Zukunft zu befassen, üben sich die deutschen Debattierer in Kulturpessimismus. Beklagt wird die eigene Überforderung mit der Datenflut. Was fehlt, ist eine politische Debatte rund ums Internet.

Dirk von Gehlen

Könnte man zum Beispiel eine Bundestagsrede halten, die mit den Worten beginnt: "Als ich unlängst auf dem iPhone einen Film auf Facebook anschauen wollte, wurde mir dies von der Technik verweigert"? Vermutlich könnte man, es geschieht aber nicht, dass ein Abgeordneter das Parlament mit seinen digitalen Sorgen behelligt - und das liegt nicht an der Nennung von Markennamen oder daran, dass sich die Volksvertreter der vom Volk genutzten Technik verweigern würden.

AP, Internet, Netzpolitik, Debatte

Reden wir lieber darüber, wie überfordert wir sind: Niemand will die politische Dimension der Digitalisierung thematisieren.

(Foto: Foto: AP)

Facebook und iPhone haben sich als Standards (auch bei zweifelnden Skeptikern) durchgesetzt. Sie gelten aber gemeinhin eher als private Spaß-Maschinen und damit als politisch nicht satisfaktionsfähig. Im Bundestag hat man wichtigere Themen zu behandeln: Afghanistan, Kranken- und Pflegeversicherung, Wachstumsbeschleunigung, aber sicher nicht die privaten Probleme eines iPhone-Besitzers, der einen vermutlich doch eh sinnlosen Film anschauen will.

Der Warnung "Facebook-Videos können auf diesem Gerät noch nicht abgespielt werden" wird in Deutschland im Winter 2009 kein öffentliches Interesse beigemessen - und schon gar keine politische Bedeutung. Wenn man sich überhaupt für eine über die reine Benutzung der Geräte hinausweisende Beurteilung der Technik interessiert, dann für die Frage, warum das alles so kompliziert ist.

Es geht um die technologische Überforderung, die FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zunächst an sich selber bemerkte. Sodann entdeckte er in der Digitalisierung die Ursache für diese Überforderung, und am Ende verpackte er beides zu einem öffentlichkeitswirksamen Buch: "Was mich angeht, so muss ich bekennen, dass ich den geistigen Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen bin", durfte der "Payback"-Autor im Spiegel, in der Bild-Zeitung und in Reinhold Beckmanns Talkshow gestehen. "Ich lebe ständig mit dem Gefühl, eine Information zu versäumen oder zu vergessen. Und das Schlimmste: Ich weiß noch nicht einmal, ob das, was ich weiß, wichtig ist oder das, was ich vergessen habe, unwichtig", sagte der Mann, der Chef einer Zeitung ist, jenes Organs, das traditionell genau für diese Aufgabe vorgesehen war: Übersicht zu schaffen.

Wenn der Herausgeber einer großen deutschen Tageszeitung nun öffentlich bekennt, dies nicht mehr leisten zu können, wirkt das für viele wie das Eingeständnis des Mediziners vor der Blinddarm-Entnahme, bei all den Apparaten rund um den Patienten den Überblick verloren zu haben. Doch Schirrmachers Operation scheint erstaunlicherweise zu gelingen, die Patienten springen nicht entsetzt vom Tisch, sie pflichten ihm sogar bei und kaufen sein Buch.

Man kann über die Verkaufszahlen den Kopf schütteln, man kann Gegenreden formulieren oder über die deutsche Sympathie für einen wortreichen Kulturpessimismus lamentieren. All das ist in den vergangenen Wochen in ausreichender Weise geschehen. Erstaunlich daran ist aber vor allem eins: Auf die relevanten Fragen, die der revolutionäre Prozess der Digitalisierung mit sich bringt, liefert diese in erster Linie um sich selbst kreisende Debatte keinerlei Antworten.

Denn die kulturelle Einschätzung des technologischen Fortschritts hängt ja nicht an persönlichen Präferenzen oder privaten Überforderungen, sondern an ihrer öffentlichen, politischen Dimension: Viel bedeutsamer als das Hin- und Her von Technik-Skepsis und Begeisterung ist nämlich - so merkwürdig es klingen mag - zum Beispiel die zu Beginn gestellte Frage, warum man Facebook-Filme nicht auf dem iPhone anschauen kann. Der Auslöser mag eine simple technische Unzulänglichkeit - und damit vermutlich leicht zu beheben - sein. Wichtig daran - und somit auch politisch bedeutsam - ist aber der Hintergrund dieses Fehlers.

"Wir steuern auf einen Krieg zu" Wenn Facebook einzelne Inhalte für bestimmte Endgeräte und -Nutzer sperren kann, sind das Vorzeichen dessen, was der amerikanische Internet-Pionier Tim O'Reilly unlängst als einen war for the web bezeichnet hat. Der Mann, der vor fünf Jahren den Begriff Web 2.0 für das kollaborative Internet salonfähig machte, prognostiziert für die Zukunft des Digitalen: "Wir steuern auf einen Krieg über die Kontrolle des Internets zu. Schlussendlich geht es dabei um viel mehr: Es geht um einen Kampf gegen das Internet als interoperable Plattform."

Den Verleger treibt die Sorge, dass große Unternehmen die Idee eines freien Netzes, in dem jeder Gedanken, Dokumente und Bilder tauschen kann, ihren eigenen geschäftlichen Interessen opfern werden und die Nutzer auf ihren Seiten quasi einsperren.

Dem freien Netz wie wir es heute (noch) kennen, so Tim O'Reilly, stehe, "die Aussicht gegenüber: Facebook als Plattform, Apple als Plattform, Google als Plattform und Amazon als Plattform. Die großen Unternehmen werden das untereinander ausfechten, bis es nur noch einen großen Anbieter gibt." Eine Prognose, die O'Reilly fatal an die frühere Monopolstellung von Microsoft im Bereich der Software erinnert und vor der er warnt. Deshalb sei es dringend an der Zeit, sich aktiv für ein offenes und freies Internet einzusetzen und dieses gemeinsam vor den einseitigen Geschäftsinteressen großer Unternehmen zu schützen. Die "Entwickler" müssten jetzt Stellung beziehen, "bevor es dafür zu spät ist."

Bürgerrechte für das digitale Zeitalter

Entwickler - im technischen wie im gestalterischen Sinn des Wortes - muss man in dieser Debatte in Deutschland lange suchen. Auch die Grundhaltung, aus der heraus O'Reilly seine Forderungen formuliert, ist hierzulande selten: Das Internet als kulturelle Errungenschaft darzustellen, die es zu schützen lohnt, ist keine publikumswirksame These, mit der man es in die Bestsellerliste schaffen würde.

Hier führen stattdessen Bewahrer das Wort, die sich lieber mit der eigenen Überforderung befassen (oder dieser widersprechen) als die politische Dimension der Digitalisierung zu thematisieren: Wo wird in breiter Öffentlichkeit die Frage diskutiert, wie die digitale Zukunft aussehen soll, in die wir unbestreitbar gehen? Wo sind die bürgerlichen Stimmen, die sich für Grundrechte und Freiheiten auch im digitalen Raum einsetzen - auch gegen die wirtschaftlichen Interessen einiger globaler Akteure? Wer entwirft Modelle für die vom Internet bestimmte Welt von morgen, in der dieses nicht einzig von wenigen Wirtschaftsunternehmen und deren Interessen bestimmt wird?

Diese Fragen verlangen jetzt nach Antworten - und außerhalb Deutschlands hat man dies bereits erkannt. Der schwedische Europa-Abgeordnete Christian Engström hat beispielsweise vor ein paar Tagen den Versuch gestartet, eine Bill of Rights für das Internet zu formulieren. Der 49-Jährige will eine Entsprechung der Menschen- und Bürgerrechte für das digitale Zeitalter formulieren - gemeinsam mit anderen Nutzern im Netz.

Mit drei grundlegenden Vorschlägen hat er die Debatte begonnen: So will er der Europäischen Konvention der Menschenrechte auch im Internet zur Durchsetzung verhelfen - dabei bezieht er sich besonders auf Artikel 8 (Das Recht auf Privatsphäre) und Artikel 10 (Freier Zugriff auf Informationen). Er will die Netzneutralität bindend festschreiben, also die Anforderung an die sogenannten Internet Service Provider (ISP), in jedem Fall neutrale Verbindungen bereitzustellen. Außerdem sollen diese - so seine dritte Forderung - lediglich für die Durchleitung und nicht für den Inhalt der Daten zuständig sein. Die Provider sollen also nicht für die von ihren Kunden verbreiteten Inhalte haftbar gemacht werden.

Gemeinsam mit der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament hat Engström diese Vorschläge zur Diskussion gestellt. Bisher hat man davon in Deutschland noch kaum gelesen. Vermutlich auch deshalb, weil man hierzulande mehr über seine Parteizugehörigkeit als über seine Inhalte reden würde: Christian Engström ist Mitglied der schwedischen Piratenpartei.

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