Süddeutsche Zeitung

Digital Detox:Es liegt nicht nur am Handy

Es ist leicht, dem blinkenden und vibrierenden Smartphone die Schuld daran zu geben, dass man überarbeitet ist. Dabei wird übersehen, wer das Gerät in der Hand hält: der Mensch.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Das Smartphone ist eine der schlimmsten Erfindungen der Menschheit, es versklavt uns, die ständig aufleuchtenden Büro-E-Mails sind unsprengbare Ketten, es stört unsere Fähigkeit für Beziehung zu anderen, und wer dem Terror entfliehen und mal wieder richtig Mensch sein will, der fährt übers Wochenende in ein "Digital-Detox"-Hotel, in dem Handys verboten sind. Für diese Thesen gibt es viel Applaus. Es ist offenbar leicht, dem blinkenden und vibrierenden Smartphone die Schuld daran zu geben, dass man überarbeitet ist, obwohl dafür meist die Chefin oder der eigene Ehrgeiz verantwortlich sind. Die Beraterindustrie, Buchautoren und Hotels freuen sich über dieses Missverständnis und auf das große Geschäft, den angeblich so geknechteten Handynutzern digitale Entgiftungstherapien zu verkaufen.

Das Problem der Fundamentalkritik am Smartphone ist, allein die Geräte in den Fokus zu nehmen. Die Digital-Detox-Fans übersehen häufig, wer das Gerät eigentlich in der Hand hält: der Mensch. Der Nutzer selbst trägt auch Verantwortung dafür, wenn er hundert Mal am Tag auf seinen Handybildschirm schaut, wenn er beim Lesen eines Textes schon vor dem Ende des zweiten Absatzes mal schnell eine andere App aufmacht, um zu schauen, was eigentlich dort gerade los ist (na, erwischt?). Wer mitten im Gespräch das Smartphone aus der Hosentasche zieht und anfängt, zu wischen und zu tippen, der kann die Schuld dafür nicht Apple, Facebook oder dem Kapitalismus zuschieben. Wer das macht, kann einfach nur bei seinem Gesprächspartner um Entschuldigung bitten und beim nächsten Mal - wenn's kein Notfall ist - dem Impuls widerstehen.

Nutzer können die roten Alarmschreier an den Icons abschalten

Natürlich: Die Smartphone-Hersteller und App-Programmierer machen es einem nicht leicht. Das Handy schreit extra in Rot neben dem App-Icon, dass eine neue Whatsapp-Sprachnachricht eingetroffen ist, dass drei Likes für Fotos auf Instagram und 12 441 E-Mails auf einen warten. Das Rot schießt direkt ins Gehirn und schreit Alarm, obwohl die Whatsapp-Sprachnachricht nur nett ist, aber nicht eilig. Die Farbwahl ist natürlich kein Zufall, sondern eine absichtliche Designentscheidung von gut bezahlten Softwareingenieuren im Silicon Valley, die angehalten sind, dass Nutzer möglichst häufig mit dem Handy interagieren. Immerhin gibt es erste Versuche, dieses System zu brechen. Instagram sagt seinen Nutzern mittlerweile deutlich, wenn es keine neuen Urlaubsbilder von entfernten Bekannten mehr zu sehen gibt: Du bist auf dem neuesten Stand.

Smartphone-Nutzer sind den Designtricks der Industrie nicht schutzlos ausgeliefert, sondern können die Systemeinstellungen so ändern, dass das Gerät weniger ablenkend wirkt. Nutzer können die roten Alarmschreier an den Icons abschalten. Wer wissen will, ob eine neue E-Mail gekommen ist, öffnet einfach die App - wie bei einem Briefkasten.

Viele Apps sind zudem in Bonbonfarben gestaltet, um den Nutzer zu reizen. Dagegen hilft, alle Farben vom Handy zu verbannen und sich die Inhalte nur noch in Graustufen anzeigen zu lassen. Das klingt radikal und langweilig, aber das ist genau die Idee. E-Mails schreiben und Nachrichten lesen funktioniert in Grau problemlos, wenn nicht sogar besser. Und falls ein zugeschicktes Foto oder eine Karte nur in Bunt erkennbar ist, ändert man es eben kurz wieder zurück. Wer ein paar Wochen auf Grau umgestiegen ist, erschrickt sich, wenn er sein Handy wieder auf Bunt umstellt, weil die Farben so knallen. Das Eingrauen des Handys ist eine mächtige Funktion. Sie ist tief, wirklich sehr tief in den Einstellungen versteckt. Bei Google gibt es viele Anleitungen.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2019
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