Silicon Valley:Niemand will diese Blase platzen sehen

Mark Zuckerberg

Mark Zuckerberg spricht auf einer Facebook-Entwicklerkonferenz

(Foto: Ben Margot/AP)
  • Der Gegenangriff auf das Silicon Valley ist in vollem Gange. Viele fordern, die Macht des sogenannten Big Tech zu beschneiden.
  • Große digitale Plattformen werden daher versuchen, mehr politisches Gewicht zu bekommen, indem sie dem Vorgehen von Tabak-, Öl- und Finanzfirmen folgen.
  • Die Strahlkraft des Silicon Valley bleibt ungebrochen: Politiker schmieden einen unausgesprochenen Pakt mit Big Tech oder dessen Ideen.

Von Evgeny Morozov

Gerade mal zehn Jahre ist es her, dass sich das Silicon Valley als der clevere Botschafter eines neuen, cooleren, menschlicheren Kapitalismus vermarktete. Schnell stieg es auf zum Liebling der Eliten, der internationalen Medien und jenes mythischen, allwissenden Stammes: der "digital natives". Äußerten gelegentliche Kritiker - freilich schnell als Neo-Luddisten abgetan - Bedenken über etwa die Missachtung der Privatsphäre oder die beinahe autistische Unnahbarkeit des Valley, schlug sich die Öffentlichkeit stets auf die Seite der Technologieunternehmen.

Das Silicon Valley war das Beste, was Amerika zu bieten hatte. Technologie-Firmen zählten - und zählen noch immer - zu den weltweit angesehensten Marken. Und was gab es nicht alles zu bewundern bei dieser dynamischen, innovativen Industrie. Gelang es dem Silicon Valley doch, Clicks, Scrolls und Likes in hochtrabende, politische Ideale zu verwandeln und Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in den Nahen Osten oder nach Nordafrika zu exportieren. Wer ahnte, dass das Einzige, was die globale demokratische Revolution bremste, die Unfähigkeit des Kapitalismus war, fremde Augäpfel zu scannen und daraus Geld zu machen?

Wie sich die Dinge geändert haben. Dieselbe Industrie, die einst für das Möglichmachen des Arabischen Frühlings gefeiert wurde, wird heute wiederholt angeklagt, den IS zu unterstützen. Dieselbe Branche, die sich Toleranz und Vielfalt auf die Fahnen schrieb, kommt nun regelmäßig wegen Fällen von sexueller Belästigung sowie der umstrittenen Ansichten ihrer Mitarbeiter zu Themen wie Geschlechtergleichheit in die Nachrichten. Dieselbe Branche, die sich den Ruf erarbeitet hat, Dinge und Dienstleistungen frei anzubieten, wird jetzt regelmäßig dafür kritisiert, dass sie viele andere Dinge, etwa die Preise für Unterkünfte durch die Plattform Airbnb, teurer machten.

Alphabet hat nicht den Einfluss von Goldman Sachs

Der Gegenangriff auf das Silicon Valley ist in vollem Gange. Dieser Tage kann man kaum eine große Zeitung aufschlagen - selbst "kommunistische Haudegen" wie die Financial Times oder den Economist - ohne über Appelle zu stolpern, die fordern, die Macht des sogenannten Big Tech zu beschneiden. Die Vorschläge reichen von einer Umgestaltung digitaler Plattformen zu Versorgungsdienstleistern bis hin zu deren Verstaatlichung.

Inzwischen ist das große Geheimnis des Silicon Valley - dass die Daten, welche die Nutzer digitaler Plattformen produzieren, oft einen ökonomischen Wert haben, der den Wert der erbrachten Leistungen übersteigt - der breiten Öffentlichkeit bekannt. Ein freies soziales Netzwerk klingt nach einer guten Idee, aber will man wirklich seine Privatsphäre aufgeben, nur damit Mark Zuckerberg eine Stiftung gründen kann, welche bei der Beseitigung genau jener Probleme helfen soll, die seine Firma befeuert? Nicht jeder ist sich da noch so sicher. Die Teflon-Industrie hat selbst jede Beschichtung verloren. Der Schmutz, der auf sie geworfen wird, bleibt nun haften. Und das bleibt keinem verborgen.

Ein Großteil dieses Aufruhrs hat das Silicon Valley überrascht. Doch dessen Ideen - das Disruptive als Dienstleistung, radikale Transparenz als Lebensphilosophie, eine Wirtschaft aus Gigs und Shares - dominieren nach wie vor. Allerdings steht diese weltweite, intellektuelle Vorherrschaft auf tönernen Füßen. Denn diese begründet sich vor allem auf die postpolitischen Can-Do-Allüren der TED-Talks anstatt auf die wütenden Thinktank-Berichte und Lobby-Memoranden.

Natürlich beschäftigen sich Tech-Firmen nicht wirklich mit Lobbyarbeit. Hier liegt Alphabet auf Augenhöhe mit Goldman Sachs. Und dennoch steuern sie ebenso die akademische Forschung. Tatsächlich ist es schwierig geworden, heute zu bestimmten Fragen der Tech-Politik noch unvoreingenommene Akademiker zu sprechen, welche nicht irgendwelche Forschungsgelder von "Big Tech"-Unternehmen erhalten haben. Und diejenigen, die gegen den Strom schwimmen, finden sich in einer eher prekären Situation wieder, wie etwa als jüngstes Beispiel, das Open Market Programm der New America Foundation, ein einflussreicher Thinktank aus Washington, bezeugt. Der propagierte eine starke Anti-Monopol-Haltung, womit er allem Anschein nach den Vorsitzenden und Hauptspender von New America, Eric Schmidt, verärgerte. Schmidt ist auch Vorstandsvorsitzender von Alphabet. Als Konsequenz wurde New America aus dem Thinktank ausgeschlossen.

Nichtsdestotrotz ist der politische Einfluss von "Big Tech" nicht mit dem der Wall Street oder dem der Öl-Konzerne vergleichbar. Alphabet hat nicht die gleiche Macht in der globalen Technikpolitik, wie sie etwa Goldman Sachs auf den globalen Finanzmärkten oder in der Wirtschaftspolitik hat. Bisher führen einflussreiche Politiker - wie der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso - ihre Karrieren lieber bei Goldman Sachs anstatt bei Alphabet fort. Ebenso sind es die Ersteren, die die vakanten, hochrangigen Positionen in Washington füllen.

Doch das wird sich ändern. Denn offensichtlich schaffen es die fröhlichen, utopischen Schwätzer auf den TED-Talks nicht weiter, die Legitimität des Tech-Sektors zu erhöhen (glücklicherweise ist der Vorrat an Schwachsinn auf diesem Planeten begrenzt). Große digitale Plattformen werden daher versuchen, mehr politisches Gewicht zu bekommen, indem sie dem beispielhaften Vorgehen von Tabak-, Öl- und Finanzfirmen folgen.

In ein Start-up verwandeln, nicht in einen Hedgefonds

Auch zwei weitere Faktoren verdeutlichen, wohin das aktuelle Aufbegehren gegen "Big Tech" führen könnte (oder eben nicht). Erstens gelten die digitalen Plattformen - trotz der großen Privatsphären-Diskussion - weiterhin als die angesehensten und vertrauenswürdigsten Marken der Welt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie der Kontrast zum durchschnittlichen Telekom-Unternehmer oder zu der Standard-Airline immer noch gut aussehen lässt (wie immer man auch über ihre Gier denken mag, zumindest zerren die Tech-Firmen ihre Kunden nicht aus dem Flieger).

Zudem erwecken Technologiefirmen, amerikanische wie chinesische, den falschen Eindruck, dass sich die Weltwirtschaft wieder erholt habe und alles wieder seinen geregelten Lauf nehme. Seit Januar ist allein der Schätzwert der vier Firmen Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft um einen Betrag gestiegen, der größer ist als das gesamte Bruttoinlandsprodukt des mit Öl gesegneten Norwegens. Wer möchte diese Blase platzen sehen? Niemand. Tatsächlich sähen sie diejenigen, die an der Macht sind, gern weiter wachsen.

Die kulturelle Strahlkraft des Silicon Valley wird allein daran offenkundig, dass sich zwar kein Politiker zum Fototermin an die Wall Street wagt, dafür aber nach Palo Alto geht, um dort seine neueste Pro-Innovationspolitik vorzustellen. Emmanuel Macron will Frankreich in ein Start-up verwandeln, nicht in einen Hedgefonds. Es gibt weit und breit kein anderes Narrativ, das eine zentristische, neoliberale Politik zugleich so schmackhaft und unvermeidlich erscheinen lässt. Die Politiker haben, so erbost sie auch manchmal über die Monopolmacht des Silicon Valley schimpfen, kein alternatives Projekt. Dies betrifft nicht nur Macron. Von Italiens Matteo Renzi bis zum kanadischen Premier Justin Trudeau schmieden alle Mainstream-Politiker, die einen Bruch mit der Vergangenheit propagieren, einen unausgesprochenen Pakt mit "Big Tech" oder dessen Ideen.

Zweitens ist das Silicon Valley als Heimat des Risikokapitals Meister darin, globale Trends aufzuspüren. Auch den sich anbahnenden Backlash hatten viele seiner klügsten Köpfe schon gespürt, bevor es der Rest der Welt tat. Sie hatten umgehend den richtigen Riecher, als man sich dazu entschloss, die Unzufriedenheit nicht durch halbherzige Memos und Thinktank-Berichte zu unterdrücken. Denn genauso wie viele andere Probleme - von wachsender Ungleichheit bis hin zum Unbehagen über die Globalisierung - würde diese irgendwann einer Branche vorgeworfen werden, die an deren Verursachung wenig Anteil gehabt hatte.

Enorme Profite aus den Daten

Die hellsten Köpfe des Silicon Valley erkannten, dass sie dagegen mutige Vorschläge brauchten, wie das bedingungslose Grundeinkommen, eine Steuer auf Roboter, Experimente mit vollprivatisierten Städten, die außerhalb einer staatlichen Gerichtsbarkeit liegen. Diese Ideen sollten Zweifel säen in den Köpfen derjenigen, die sich andernfalls auf die traditionelle Seite der Anti-Monopol-Gesetzgebung geschlagen hätten. Denn wenn Technologiefirmen eine konstruktive Rolle bei der Finanzierung unseres Grundeinkommens spielen können, wenn Alphabet und Amazon Detroit oder New York mit der gleichen Effizienz leiten können, wie sie ihre Plattformen betreiben, wenn Microsoft Anzeichen von Krebs aus unseren Suchanfragen ableiten kann: Sollten ihnen dann wirklich Steine in den Weg gelegt werden?

In der Dreistigkeit und Unbestimmtheit dieser Pläne zur Rettung des Kapitalismus könnte das Silicon Valley selbst die TED-Talks übertrumpfen. Es gibt viele Gründe, warum solche Versuche bei ihrer großen Mission scheitern werden, selbst wenn sie den Firmen dabei kurzfristig eine Menge Geld in die Kassen spülen würden und den öffentlichen Zorn noch um eine Dekade hinauszögern mögen. Der Hauptgrund liegt auf der Hand: Wie könnte man nur irgendwie von einem renditeabschöpfenden Haufen von Unternehmen mit quasi-feudalistischen Geschäftsmodellen erwarten, dass sie den globalen Kapitalismus wiederbeleben und einen neuen New Deal etablieren? Sie würden ja damit gerade die Gier derjenigen Kapitalisten einschränken, die als Investoren hinter den meisten ihrer Firmen stecken.

Auch wenn die Menge an Daten unendlich erscheint, so gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die enormen Profite, die aus ihnen geschlagen werden, über die vielen Widersprüche des gegenwärtigen Wirtschaftssystems hinwegtäuschen könnten. Der selbsternannte Hausmeister des weltweiten Kapitalismus, das Silicon Valley, wird sich bald schon als dessen Totengräber erweisen.

Aus dem Englischen von Maximilian Sippenauer

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