Die Türkei und Youtube:Schminken verboten

Weil der Staatsgründer Atatürk auf Youtube angeblich verunglimpft wird, hat die Türkei das Videoportal abgeschaltet.

Kai Strittmatter

Istanbul - Der türkische Republikgründer Atatürk ist seit 70 Jahren tot. Aber das Andenken an ihn hält sein Land auch im Internetzeitalter noch fest im Griff. Es ist in der Türkei nicht nur ein Verbrechen, die türkische Nation zu verunglimpfen (Paragraph 301), es macht sich auch strafbar, wer Atatürk beleidigt (Paragraph 5816).

Die Türkei und Youtube: Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk (1881 - 1938) ist für viele Türken bis heute der Nationalheld. Wegen angeblich verunglimpfender Fotomontagen im Netz haben türkische Richter dem Internet den Krieg erklärt.

Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk (1881 - 1938) ist für viele Türken bis heute der Nationalheld. Wegen angeblich verunglimpfender Fotomontagen im Netz haben türkische Richter dem Internet den Krieg erklärt.

(Foto: Screenshot: Youtube)

Als das Parlament im November 2007 ein neues Internetgesetz erließ, verfügte es, dass die Gerichte des Landes jede beliebige Webseite innerhalb von 24 Stunden blockieren könnten, wenn diese einer der folgenden Sünden Vorschub geleistet hatte: der Pädophilie, der Verherrlichung von Drogen, der Pornographie, des Aufrufs zum Selbstmord - und der Beleidigung Atatürks. Gerade ist mal wieder Youtube gesperrt in der Türkei, seit einem Monat schon, "zum zillionsten Mal", wie ein Blogger stöhnt. Wegen Atatürk.

Lippenstift und Bauchtanz

Der nämlich trägt in einem der Youtube-Videos Lippenstift. In einem anderen tanzt er Bauchtanz. Mal sind es griechische, mal kurdische Nutzer, die ihr pubertäres Gemüt und ihren Hass mit Hilfe von Photoshop und Youtube an Atatürk auslassen. Es sind Scharmützel in einer Videoschlacht, in der junge Türken die ersten Filmchen abgefeuert hatten. Anfang 2007 war das, und die simple Botschaft lautete: Griechen sind alle schwul.

Seither kontern griechische Nationalisten mit Videobeweisen des Inhalts: Erstens: Türken sind alle schwul. Zweitens: Atatürk war besonders schwul. Unterste Schublade also und pubertäres Geraufe wie in der Macho-Ecke auf Pausenhöfen. Zur politischen Farce machen den kindischen Müll, den die schwarzen Löcher des Cyberspace sonst wohl gnädig verschluckt hätten, absurderweise erst die türkischen Richter. Ihre Entscheidungen, die Türkei immer mal wieder für ein paar Wochen von der Welt abzukoppeln, werden vom liberalen Teil der türkischen Öffentlichkeit mal mit Fassungslosigkeit, mal mit schwarzem Humor kommentiert.

Die liberale Kritik konzentriert sich auf drei Punkte: Die Zensur ist überzogen, sie ist dumm, und sie ist ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit. Ein ganzes Portal wochen- und monatelang zu sperren wegen ein paar Videos, das sei, als ob man "eine Bücherei wegen eines Buches abfackelt", "als verbrenne man eine Decke wegen eines Flohs".

Schminken verboten

Die Betreiber von Youtube zu fragen, ob sie vielleicht das eine oder andere Video vom Netz nehmen könnten, fiel bislang keinem der Richter ein. Dumm sind die Blockaden gleich aus zwei Gründen: Erstens wissen auch türkische Internetnutzer, wie leicht sich so eine Blockade umgehen lässt. Die Behörden hätten "noch immer nicht verstanden, dass Zensur im Internet technisch unmöglich ist", erklärte das Management der türkischen Firma Indymedia, nachdem auch ihre Webseite blockiert wurde.

Indymedia wechselt nun regelmäßig seine Webadresse. Und zweitens: Hätten die Richter mal ihren Computer angeschaltet, dann hätten sie zu ihrem Entzücken vielleicht festgestellt, dass sich bei Youtube unter den Stichworten "Atatürk" und "schwul" gerade mal 400 Filme finden - dass aber die überragende Mehrzahl der anderen 40.000 Atatürk-Videos Titel trägt wie "Ein charismatischer Führer" oder "Eine Heldengeschichte" und sich durchaus zum Abendgebet in ihrem eigenen Hause eignete.

Auch Blogger müssen vom Netz

Als ebenso peinlich wie gefährlich empfinden die Verbote all jene, die sich um eine demokratischere Türkei bemühen. Die letzten Staaten, die ebenfalls den Zugang zu Youtube gesperrt haben, heißen China, Birma, Syrien und Pakistan, solche Seelenverwandtschaft ist keine Empfehlung für den EU-Beitrittskandidaten Türkei. Dabei ist Youtube lange nicht die einzige Webseite, die in die Fänge der Zensoren geriet: Auch der Fotoseite "Slide" wurden unvorteilhafte Atatürk-Bilder zum Verhängnis.

Und die Anbieter Google Groups und Wordpress, einer der populärsten Bloggerdienste, mussten monatelang vom Netz, weil sich der islamische Kreationisten-Guru Adnan Oktar von einzelnen Beiträgen dort beleidigt fühlte. Eine "Tragikomödie" nennt das die türkische "Freiheitsvereinigung" Özgür-Der. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" spricht von "Missbrauch", dem die türkischen Gesetze Tür und Tor öffneten.

Ein Unding ist für die Kritiker die Tatsache, dass es in der Macht eines jeden lokalen Strafgerichtes in der Türkei liegt, mit seinem Urteil Webseiten über Nacht landesweit sperren zu lassen. "Und es sieht so aus, als versuchten sie es auch alle der Reihe nach einmal", spottete die Zeitung Vatan. Atatürks berühmtester Spruch lautet: "Wie glücklich ein jeder, der sich Türke nennen darf." Vatan machte daraus die Überschrift: "Wie glücklich ein jeder, der einmal sagen darf: 'Youtube ist verboten.'"

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