Die Samwer-Brüder:Eroberer im Internet

Zalando, Jamba, European Founders Fund: Die Samwer-Brüder mischen bei vielen der ganz großen Deals in der Onlinebranche mit. Nun wagen sie mit ihrer Start-up-Schmiede Rocket Internet den Börsengang. Wer sind die drei?

Von Varinia Bernau

Bescheidenheit ist nicht ihre Sache: Im September, so wird derzeit erwartet, werden die Samwer-Brüder ihre Start-up-Schmiede Rocket Internet an die Börse bringen. Eine Bewertung von fünf Milliarden Euro streben sie dabei an. Die Beteiligungsgesellschaft versammelt unter ihrem Dach etwa 70 Start-ups in mehr als 100 Ländern: vom Internetmöbelhändler über Lieferdienste bis zum Zahlungsabwickler.

Marc, Oliver und Alexander Samwer setzten alles daran, dass der Börsengang glückt. Und so haben sie nun noch einen sechsten Anteilseigner an Bord geholt: Holtzbrinck Ventures, die Risikokapitaltochter des Medienhauses, die den Internetunternehmern seit langem in Investitionsrunden zur Seite steht, tauscht seine Beteiligungen an sieben der von Rocket Internet hochgezogenen Firmen gegen einen 2,5-Prozent-Anteil an der Beteiligungsgesellschaft selbst.

Signal an weitere Anleger

Das ist zunächst einmal ein Deal. Doch es ist auch ein Signal an weitere Anleger: Wer so namhafte Investoren wie die schwedische Beteiligungsgesellschaft Kinnevik, den russischen Milliardär Len Blavatnik oder nun eben Holtzbrinck für sich gewinnt, der kann mit seinem Vorhaben nicht so falsch liegen. Doch wer sind die Samwers?

Joel Kaczmarek hat mit Oliver Samwer ein längeres Gespräch geführt, mit Alexander Samwer mehrere E-Mails ausgetauscht. Und er hat etwa 40 Wegbegleitern genau diese Frage gestellt. Entstanden ist daraus ein etwa 400 Seiten dickes Buch: "Die Paten des Internets". Man braucht, das ist die schlechte Nachricht, eine Menge Disziplin, um die Lektüre durchzuhalten. Mit abgegriffenen Floskeln und Pseudo-Psychogrammen mutet der einstige Chefredakteur des Onlinemagazins Gruender-szene seinen Lesern viel zu.

Dort, wo man sich Anekdoten wünscht, flüchtet Kaczmarek in Allgemeinplätze oder betriebswirtschaftliche Analysen. Doch wer durchhält, das ist die gute Nachricht, bekommt einen Eindruck von den drei Brüdern, die die deutsche Internetbranche geprägt haben, wie kaum ein anderer. Die der Welt den verrückten für Klingeltöne werbenden Frosch bescherten, den Onlinehändler Zalando groß machten und beim rasanten Aufstieg und ebenso rasanten Fall des amerikanischen Schnäppchendienstes Groupon mitmischten.

Das Gründer-Gen

Andere Kinder wollen Feuerwehrmann werden. Oliver Samwer, Jahrgang 1973 und damit der mittlere der drei Brüder, wollte Unternehmer werden. Bereits im Alter von acht Jahren begleitet er seinen Vater an jedem Samstag in dessen Kanzlei. Statt Mickey-Maus-Heften liest er die Börsenkurse in der Zeitung. Der Vater ist ein angesehener Anwalt, der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll vor Gericht vertritt sowie den späteren Bundespräsidenten Karl Carstens gegen Anschuldigungen aus dem Untersuchungsausschuss um den Spion Günter Guillaume.

Er gibt seinen Söhnen etwas auf den Weg, das ihr Leben bestimmen soll: den Drang zu gewinnen. Die Mutter indes umsorgt die drei - und bittet sogar noch die Kollegen aus einem der ersten Start-ups der Samwers, darauf zu achten, dass die drei auch brav ihren Joghurt essen, ihnen nur bloß nicht zu berichten, dass sie darum gebeten habe. Während eines Segeltörns am Vierwaldstätter See schlossen die drei einen Pakt: Gemeinsam wollten sie ein Unternehmen gründen. Da war der älteste der drei 16 Jahre, der jüngste gerade einmal 12 Jahre alt.

Am Anfang war der Pantoffel

Die Karriere von Oliver Samwer, dem bekanntesten der drei Brüder, begann spießig: mit einer Lehre beim Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim. Nach kurzer Zeit handelte er sich dort eine Beschwerde ein. Weil er zu viele Fragen stellte. Auch das allererste Unternehmen, das er gründete, hatte nichts mit dem Internet zu tun: Während eines Auslandssemesters in Chile ließ er mit ein paar anderen indianische Fellpantoffeln fertigen. Später spielte er mal mit dem Gedanken, mit Boris Becker einen Sportshop zu eröffnen. Reich aber wurde er mit dem Internet. Obwohl: Er soll auch einen Eintrag bei der Schufa erhalten haben. Vor lauter Arbeitseifer hatte er vier Monate lang nicht die Post geöffnet und übersehen, dass sein Konto ins Minus geraten war.

Mehr als nur kopieren

Ausgerechnet Oliver Samwer, dem später stets vorgehalten wurde, dass er nichts Neues schaffe, sondern nur nachbaue, was sich im Netz bereits bewährt hatte, wollte in der Schule niemanden abschreiben lassen. Der Grund: Keiner sollte an seinen brillanten Ideen teilhaben. In der Tat fielen die drei Brüder schon in der Schule durch Spitzenleistung auf. Ihr ehemaliger Direktor erinnert sich daran, in seinem Büro mit Alexander Samwer nach dem Unterricht gemeinsam Mozart-Opern gelauscht und über deren Ästhetik geplaudert zu haben.

Ihm, dem jüngsten, der an mehreren internationalen Spitzenunis Abschlüsse gesammelt hat, wird noch heute ein hohes Maß an Intelligenz, Ruhe und vor allem Weitsicht nachgesagt. Im Gegensatz zu seinen Brüdern hört er einem auch mal länger als zehn Minuten zu. Er ist der Stratege des Trios, während der älteste, Marc, als der Diplomat und der mittlere, Oliver, als aggressiver Antreiber gilt. Oliver Samwer findet Kopien übrigens nicht schlimm: Es komme nicht darauf an, eine Idee als erster zu haben, sondern daraus ein Geschäft zu machen. "In der Internetindustrie gibt es Einsteins und Typen wie Bob, der Baumeister. Ich bin ein Bob, der Baumeister,"

. . . und mehr als nur poltern

Legendär ist die E-Mail, in der Oliver Samwer, um seine Mannschaft anzutreiben, zu einem "Blitzkrieg" aufgerufen hatte. Er entschuldigte sich später für die Wortwahl. Es gibt viele ähnliche Geschichten von cholerischen Anfällen: von Büromaterialien, die Oliver Samwer nach Angestellten geschmissen haben soll; von gestandenen Managern, die weinend aus Meetings rannten.

Einige seiner Weggefährten sind davon überzeugt, dass er in solchen Momenten nicht etwa die Kontrolle verliert - sonderlich ganz bewusst übertreibt. Er kann auch leisere Töne anschlagen, ja, sogar säuselnd Komplimente vortragen. "Er verfügt über die Fähigkeit, in seinem Gegenüber Wünsche und Begehren auszumachen, und ist dann in der Lage, diese in Aussicht zu stellen, um das Verhalten zu erzielen, das er sehen möchte", schreibt Kaczmarek in seinem Buch.

"Ist es in seinem Interesse, verströmt er eine inspirierende, anregende Aura, der selbst Größen der internationalen Finanzwelt mit Leichtigkeit verfallen." Selbst dem Wehrdienst ist er entkommen, weil er sich auf geschickte Inszenierungen versteht: Bei der Musterung tat er so, als wäre er schizophren. Er kam mit einem Fahrradhelm und weigerte sich, diesen abzusetzen - mit dem Hinweis darauf, dass er große Angst habe, auf den Kopf zu fallen.

Ein Sommerhit mit Folgen

Das erste Unternehmen, das die drei Brüder gründeten, behielten sie kein halbes Jahr: Im Juni 1999 verkauften sie ihren Internet-Flohmarkt Alando an das große Vorbild aus den USA, Ebay, für etwa 90 Millionen D-Mark. Der Name kam aus dem Radio: Einer aus dem sechsköpfigen Gründerteam hatte den damaligen Hit "Bailando" gehört, "Alando" verstanden - und den Song im Büro falsch nachgesungen. Schön fand den Namen niemand.

Aber als Platzhalter erfüllte er zunächst seinen Zweck. Und weil er freundlich klang, keine Bedeutung hatte und in allen alphabetischen Listen oben stand, blieb er schließlich erhalten. Zumindest für ein paar Monate. Beim Namen für ihren Klingeltonanbieter Jamba ließen sich die Samwers von einer amerikanischen Saftkette inspirieren, bei der sie auf ihren Trips ins Silicon Valley regelmäßig einkehrten. Und ihre spätere Beteiligungsgesellschaft European Founders Fund erinnert nicht nur zufällig an einen der bekanntesten amerikanischen Risikokapitalgeber namens Founders Fund. Deren Geldgeber, zu denen Größen wie Sean Parker und Peter Thiel zählten, waren darüber alles andere als begeistert.

"Die Paten des Internets" von Joel Kaczmarek ist im Finanzbuch Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.

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