Der iPod und die Folgen:Doch das Radio lebt noch immer

Der iPod hat die Unterhaltungsindustrie revolutioniert, die Inhalte der klassischen Medien wurden deshalb nicht verdrängt.

Johannes Boie

Der langweiligste Revolutionsführer aller Zeiten steht im Oktober 2001 auf einer kleinen Bühne und präsentiert einer kleinen Gruppe von Zuhörern eine Idee. "Musik", sagt Steve Jobs, "ist ein Teil des Lebens. Es gibt für Musik keine Grenzen."

iPod Radio Technologie Entwicklung Podcasts, AP

Der iPod hat das klassische Radio nicht verdrängt, die Sendungen jedoch einfacher verfügbar gemacht.

(Foto: Foto: AP)

Wie immer trägt er einen schwarzen Rollkragenpullover, den er in seine Jeans gestopft hat. Dann hält er ein kleines weißes Gerät in die Höhe. Es ist der iPod, die erste Generation. Eine ganze Musiksammlung soll auf das Ding: "1000 Songs".

Genauso wichtig wie die Speicherkapazität, die heute lächerlich gering erscheint, war das Design. Der iPod und seine Konkurrenzgeräte, wie zum Beispiel der Zune von Microsoft, waren und sind keine Kleincomputer für Nerds, sondern Lifestyle-Accessoire für jeden.

Das Ende des Walkmans

Sie lösten eine ganze Menge Vorläufer ab wie die MP3-Sticks, auf denen ebenfalls Musik gespeichert werden konnte, die aber von einer anderen Zielgruppe benutzt wurden: von jugendlichen Technikkennern.

Ältere Varianten wie der Minidisc-Player oder der Walkman für analoge Kassetten wurden vom iPod komplett verdrängt. Mit dem Speichergerät von Apple wurde die permanente Verfügbarkeit einer ungeheuren Menge an Musik für jeden bezahlbar. Andere Hersteller zogen nach und entwickelten die Technik weiter.

Heute gibt es tragbare Geräte, die stundenlang Videos und Musik abspielen und Bilder anzeigen können. Manche davon funktionieren auch als Handy. Die mediale Konversion im Hosentaschenformat führt alle bekannten Medien zusammen: Bewegtbild, Tonaufnahmen, Text- und Bildformate.

Nie wieder den Sender wechseln

Heute passen auf den internen Speicher des iPods 40000 Lieder. Sie können, wie Sprach- oder Videoinhalte, jederzeit und überall abgerufen werden. Die kleine Maschine, die Jobs vor beinahe einem Jahrzehnt vorstellte, war das erste massenhaft verkaufte tragbare, digitale Musikabspielgerät der Welt.

Auch wer nie mit dem Computer Erfahrung hatte, kann es bedienen. Es verfügt über immensen Speicherplatz und macht jeden zum Programmdirektor. Die Inhalte stehen quasi in unendlicher Vielfalt im Internet zur Verfügung, vieles kostenlos, immer mehr kostenpflichtig - gesprochene Sendungen, Hörbücher, professionelle Radiosendungen, Musik.

Der Hörer muss nie wieder den Sender wechseln, wenn Werbung kommt. Er muss nie wieder Moderatoren ertragen, die schlechte Witze machen, nie wieder Rauschen, wenn das Auto ein Sendegebiet verlässt. Info, Wortbeiträge, Songs - alles auf Listen, alles ständig greifbar und nach Belieben veränderbar: Warum sollte man noch Radio hören?

Warum das Radio noch lange nicht tot ist

Auch der iTunes-Store konnte als Angriff auf das klassische Radio verstanden werden. Es handelt sich dabei um einen der wenigen Vertriebswege für Musik, der hohen Gewinn erwirtschaftet, eine bemerkenswerte Bandbreite im Angebot hat und der gleichzeitig gegen die Gratis-Konkurrenz der illegalen Downloadportale im Netz ankommt.

Vor allem deshalb, weil es einfacher ist (aber nicht wesentlich teurer), ein Lied im iTunes-Store zu kaufen, anstatt es einigermaßen langwierig auf einer illegalen Seite zu suchen und sich dann beim Herunterladen auch noch strafbar zu machen.

Die Musikindustrie hat die Chance auf diesen Vertriebsweg zunächst verpasst - und die Radiomacher haben sie nie wirklich ergreifen können. Weil ihr Angebot nicht durch die Hörer finanziert wird, die pro Sendung bezahlen, sondern durch Werbung.

Die Kunden können wählen

Alles spricht also dafür, dass das Radio aus der iPod-Welt längst hätte verschwinden müssen. Neben den portablen Abspielgeräten wirkt es wie ein Relikt aus einer anderen längst vergangenen Zeit.

Doch das Radio lebt. Und es vegetiert nicht vor sich hin, sondern es geht ihm gut. Und zwar so gut, dass Apple sich entschlossen hat, in neuere Versionen des iPods einen Radioempfänger einzubauen. Auch deshalb, weil immer mehr Konzerne bereits kleine Erweiterungen für die Musikspieler angeboten haben - die iPods mit dem Radio in Verbindung brachten.

Die Kunden wünschten sich das. Fortan können sie wählen: Gestalten sie ihr eigenes Programm mit gespeicherten Tondateien aus dem Internet oder der eigenen Mediathek? Oder steuern sie lieber den Radioknopf an und lassen sich fremdbestimmt berieseln?

Der Reiz des Unbekannten

Warum hat der iPod zwar den Markt der Musikabspielgeräte revolutioniert, das Nutzerverhalten aber nur in Ansätzen verändert? Weil die digitalen, portablen Geräte vor allem von den Jugendlichen genutzt werden. Radio ist, nach einer Studie des Branchenverbandes Bitkom, für Ältere von Bedeutung. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen liegt es an zweiter Stelle nach der Zeitung.

Bedroht ist das Radio aber nicht einmal bei den Jungen. In derselben Umfrage gaben die 14- bis 29-Jährigen an, eher auf Bücher, Zeitschriften und Fernsehen verzichten zu können als auf das Radio. Wichtiger ist nur noch Handy und Internet, wie sie auf das Radio treffen.

Durch alle Altersgruppen hindurch ist das Radio nach wie vor beliebt. Die Gründe dafür sind in der Struktur des Radios begründet, die sich weniger als Schwäche denn als Stärke herausstellt: Anders als auf iPods gespeicherte Sendungen sind Nachrichtensendungen im Radio stets aktuell. Gleichzeitig bereichert es das Leben seiner Hörer mit neuer Musik, die dem Empfänger noch unbekannt ist.

Und so ist es überhaupt nicht mehr verwunderlich, dass Revolutionär Steve Jobs zwar viel Neues gebracht hat, dass aber ein klassisches Randmedium wie das Radio mit der Zukunftstechnik friedlich verbunden ist.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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