Es gab Zeiten, da hatte Harriet Klausner einen sehr guten Ruf und wurde öffentlich zum Vorbild erklärt. Inzwischen ist die Frau aus Georgia zu einer Witzfigur des Internets geworden. Der tiefe Fall hatte einen vergleichsweise kleinen Auslöser: Auf einer Internet-Seite wurde eine Rechenmethode geändert, die ermitteln soll, was einen guten Ruf ausmacht.
Dem Internet-Buchhändler Amazon zufolge hat Klausner in elf Jahren 26.767 Bücher rezensiert (Stand am Montagmorgen dieser Woche). Das wären sechs bis sieben Werke pro Tag. Damit stand die Frau, die sich als studierte Bibliothekarin und Schnellleserin bezeichnet, bis 2008 an der Spitze der Rezensenten-Rangliste von Amazon. Doch dann änderte die Firma das Bewertungssystem.
Seither ist nicht mehr die reine Zahl von Buchbesprechungen entscheidend für die Rangliste der Amateurkritiker, sondern auch wie hilfreich andere Kunden die Bewertungen einstuften. Klausner steht nun auf Platz 1065 der Liste. Dass sie die vielen Bücher wirklich liest, bezweifeln viele Internet-Nutzer ohnehin mit sarkastischen Kommentaren.
Ein gutes Gefühl
Für den Internet-Experten Randy Farmer zeigt der Fall Klausner auf beispielhafte Weise, welche Fehler man machen kann, wenn es um Vertrauen im Internet geht. Die Buchbesprechungen anderer Amazon-Nutzer sollen Kunden der Webseite schließlich ein gutes Gefühl vermitteln und sie zur Bestellung anregen.
"Es ist nutzlos, wenn jemand einen guten Ruf nur wegen seiner Aktivität bescheinigt bekommt", sagt er mit Blick auf die Rekord-Rezensentin. "Das setzt die falschen Anreize und nutzt niemandem." Farmer weiß, wovon er spricht: Er hat früher für Yahoo gearbeitet und ist nun Experte für sogenannte Reputationssysteme geworden, mit denen Webseiten und Online-Gemeinschaften im Internet Vertrauen erzeugen wollen.
Genau danach sehnen sich viele Internet-Nutzer. Sie haben erkannt, dass der Preis für interessante Dienste im Netz oft die Preisgabe der eigenen persönlichen Daten ist, die der Anbieter des Service zu Geld machen möchte. Das löst bei den meisten Unbehagen aus, erklärt die Soziologin Martina Löw von der Technischen Universität Darmstadt: "Eigentlich möchten Menschen in jeder Situation den Fluss persönlicher Informationen kontrollieren."
Sie offenbaren zwar je nach sozialem Kontext Teile der Privatsphäre, aber der Chef weiß nicht unbedingt etwas über den Sport, den man ausübt, und die Mitsänger im Chor nichts über eine Urlaubsbekanntschaft. Im Internet aber werden solche Angaben aus diesem Kontext gerissen. "Da findet sich plötzlich alles an einem Ort und für alle sichtbar." Die Kontrolle hat der Einzelne verloren.
Neue Vertrauenskultur
Mit diesem Unbehagen wollen Experten die Internet-Nutzer nicht länger allein lassen. Eine Vertrauenskultur solle das "Wohlergehen der Personen sichern, die das Internet im Alltag sicher nutzen wollen", sagt Johannes Buchmann, ebenfalls von der TU Darmstadt. Dahinter stecken auch wirtschaftliche Interessen: "Wenn wir die Probleme nicht lösen, die sich aus der Sorge der Menschen über den Umgang mit ihrer Privatsphäre ergeben, wird das die weitere Entwicklung der Internet-Dienste ernsthaft behindern", sagt er.
Zumal die schon begonnene Ära des mobilen Überall-Internets die Privatsphäre immer weiter einschränkt - schon wenn die Orte erfasst werden, an denen ein Nutzer mit dem Handy online geht, und erst recht, wenn Werbetreibende diese Ortsangaben nutzen.
Auch Rehab Alnemr, eine ägyptische Informatikerin am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, ist überzeugt: "Wenn zwei Teilnehmer im Internet miteinander in Verbindung treten sollen, brauchen sie ein Minimum an Vertrauen." Buchmann und sie waren Mitorganisatoren zweier wissenschaftlicher Konferenzen, die sich in der vergangenen Woche mit dem Thema beschäftigt haben: Alnemr hat ein Symposium über Vertrauen und Reputation an ihrem Institut organisiert und Buchmann leitet ein Projekt über Vertrauen und Privatsphäre, dass die nationale Technikakademie Acatech in Berlin vorgestellt hat.