"Defense Distributed":Plan für Plastikpistole aus dem 3-D-Drucker ist offline

Cody Wilson, Pistole, 3-D-Drucker, Internet, Waffe

Internet-Aktivist Cody Wilson

(Foto: oh)

Der Amerikaner Cody Wilson hatte die Baupläne für eine Plastikwaffe aus dem Drucker veröffentlicht. Ist der Mann nun irre, gefährlich oder mutig? Die US-Regierung hat reagiert.

Von Matthias Kolb und Nicolas Richter

Die Plastikpistole hat sich rasend schnell entwickelt. In den Achtzigern war sie noch ein bunter Wasserbehälter in Revolverform, mit denen sich Schuljungen nass spritzten. Seit den frühen Nullerjahren haben diese Spielzeuge die Form von Maschinengewehren angenommen, mit Pumpen und großen Wassertanks.

Im Jahr 2013 nun steht Cody Wilson mit einer Plastikpistole in der texanischen Hitze. Er zielt, drückt ab, es knallt gewaltig. Er hat, ziemlich wahrscheinlich, eine echte Kugel abgefeuert. Ein Filmclip bei Youtube zeigt Wilson, wie er streng in die Kamera schaut, ferner Kriegsflugzeuge und eine aufgehende Sonne. "The Liberator", steht da geschrieben, "der Befreier".

Cody Wilson, 25, ist Chef der Organisation "Defense Distributed", die aus ihm und einigen Freunden besteht. Nach eigenen Angaben streben sie nicht nach Gewinn. Sie möchten die Menschheit bewaffnen, indem sie es jedem ermöglichen, seine eigene Pistole zu bauen. Dazu braucht man nur einen 3-D-Drucker: eine Maschine, die ein Bauteil aus Kunststoff fertigt. Die Baupläne für die Plastikpistole verbreitete "Defense Distributed" kostenlos im Internet. Wer sie heruntergeladen hatte, musste weder Namen noch Alter preisgeben. Wilson hat die Technik nicht erfunden, aber er war der Erste, der sie weltweit verbreitete. Mittlerweile hat er die Pläne aus dem Netz genommen — auf Druck der US-Regierung, wie er mitteilt.

Wilsons fein getrimmte Frisur und schwarze Windjacke legen nahe, dass er großen Wert auf sein Äußeres legt. Oft lässt er sich dabei filmen, wie er irgendwo im Freien Magazine entleert. Im Frühjahr stellte er sein Projekt beim South by Southwest-Festival (SXSW) vor, einer Technik-Konferenz. Sie findet im texanischen Austin statt, wo Wilson Jura studiert. "Wahrscheinlich bin ich ein Rebell, weil man mich dazu gemacht hat", sagte Wilson damals der Süddeutschen Zeitung.

Im Gespräch ist er höflich, aber sein provokantes Grinsen verrät, dass es ihm gefällt, die Gesellschaft zu schockieren. In allen Interviews spielt er den Aufständischen. "Wir sehen die Freiheit in Gefahr. Wir müssen antworten", sagte er einmal. Wilson wuchs in Arkansas auf, im Süden der USA. "Wir haben unsere eigene Waffenkultur. Pistolen und Gewehre waren omnipräsent, ich habe sie nie als Bedrohung gesehen." Eine echte Faszination habe er aber erst entwickelt, als er von 3-D-Druckern hörte und ihn die Idee einer nicht zu registrierenden Waffe nicht mehr losließ.

Inzwischen fürchtet er manchmal, den Überblick, das große Ziel aus den Augen zu verlieren. Über die Konsequenzen des "Wiki Waffen Projekts" kann auch er nur spekulieren: "Gerät die Gesellschaft aus den Fugen, wenn unser Vorhaben gelingt? Ich will es herausfinden." Seine Haltung ist unter Cyber-Aktivisten weit verbreitet: Sie stellen die bestehende Ordnung in Frage, sehen sich als Revolutionäre, die Staat und Konzernen trotzen. Er sei ein "Krypto-Anarchist", erklärt Wilson. Nach dieser Denkschule muss man möglichst viel vor dem Staat geheim halten, damit dieser die Menschen nicht unterdrücken kann.

Der bekannteste Aktivist ist wohl noch immer Julian Assange, der Erfinder der Enthüllungsplattform Wikileaks; er spricht Regierungen das Recht auf eigene Geheimnisse ab. Bei ihm wie bei Wilson mischen sich Eitelkeit, technische Versiertheit, missionarischer Eifer und politischer Ehrgeiz mit anarchistischen Zügen.

"Ich leiste nur Widerstand"

Wilson sieht sich oft als Opfer des Systems, wie er in Austin erzählte. Er habe vom Hersteller Stratasys einen 3-D-Drucker geleast, doch als die Firma herausfand, was er damit vorhatte, ließ sie das Gerät wieder abholen. Sie fürchtete schlechte PR. Aus dem gleichen Grund verbannten verschiedene Website-Hosts die Dokumente über das "Wiki Waffen Projekt" von ihren Servern. "Sie haben versucht, mich auszuschalten", klagte Wilson.

Hingegen schwärmte der selbst ernannte Anarchist davon, wie professionell das "Bureau for Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives" (ATF) gewesen sei. Dort hat er eine Lizenz zur Waffenherstellung beantragt und die Mitarbeiter haben ihm versichert, dass er nicht gegen Bundesgesetze verstoße. "Ich dachte, dass die Behörden Probleme machen und mich die Hersteller in Ruhe lassen. Es war aber genau umgekehrt." Inzwischen stellt sogar eine Firma ihre 3-D-Drucker zur Verfügung, damit "Defence Distributed" die Pistolen- Prototypen herstellen kann.

Wilsons Kampagne für die Pistole aus der "open source", der "offenen Quelle", Software, die jeder kopieren darf, fällt in eine Zeit, in der die USA so erbittert wie lange nicht über Waffenbesitz und dessen Grenzen streiten. Nach etlichen Massakern wollte Präsident Barack Obama das Waffenrecht reformieren. Doch scheiterte im Senat jüngst sogar ein harmloser Gesetzentwurf: Demnach hätten Waffenkäufer nur beweisen müssen, dass sie nicht vorbestraft oder geistig krank sind. Schon diese Idee nannte die Waffenlobby einen Anschlag auf die Verfassung.

Waffenbesitzer im ganzen Land hatten in den Monaten nach dem Schulmassaker in Newtown befürchtet, der Staat könne ihnen ihre Waffen wegnehmen oder bestimmte Waffen verbieten. Cody Wilson sieht sein Projekt als Beitrag dazu, dass der Staat nie mehr die Herstellung, den Vertrieb oder den Besitz von Waffen wird eindämmen können. Die Baupläne, die nun jeder herunterladen kann, hat Wilson trotzig "Feinstein" und "Cuomo" getauft. So heißen zwei liberale Politiker, die strengere Gesetze verlangen. "Man wird die Pistole nie mehr vom Erdboden verschwinden lassen können", sagte Wilson auf der Couch des rechten Moderators Glenn Beck. Dieser Beck ist ein erzkonservativer Verfechter des Rechts auf Waffen. Aber das Projekt Wilsons bereitete ihm Unbehagen.

"Held oder Schurke?", fragte Beck.

"Gute Frage", sagte Wilson.

"Was sind Sie aus Ihrer Sicht?"

"Ich leiste nur Widerstand."

"Aber was ist Ihr Motiv?"

"Ich glaube nicht an Obama gegen Romney. Ich mache echte Politik. Ich gebe Ihnen ein Magazin und sage, dass Ihnen das nie einer wegnehmen kann. Das ist eine Tatsache. Das ist Geschichte. Das ist radikale Gleichheit. Daran glaube ich."

Am Ende war sich Beck nicht sicher, ob er Wilson einen Freund oder Gegner nennen sollte. Beck liebt die Freiheit. Aber er fürchtet auch die Anarchie.

Das Technik-Magazin Wired hat Wilson im Dezember zu den 15 gefährlichsten Menschen der Welt gezählt, zusammen mit Baschar al-Assad, dem syrischen Präsidenten, in dessen Kampf gegen die Aufständischen mehr als 70.000 Menschen gestorben sind. "Wie soll man Waffen noch kontrollieren, wenn sich jeder selbst eine ausdrucken kann?", fragte die Zeitschrift. Manche Experten glauben aber, dass Wilson nur eine Entwicklung beschleunigt habe, die es auch ohne ihn gegeben hätte.

Die Vorstellung, dass in nicht zu ferner Zukunft der erste Mensch mit einer Plastikpistole erschossen werden könnte, scheint Wilson nicht zu beunruhigen. Wie viele Internetpioniere sieht er sich als Vertreter einer neuen Zeit, während die Bedenkenträger für ihn von gestern sind - Vize-Präsident Joe Biden etwa, der für strenge Waffengesetze kämpft. "Joe Biden", sagt Wilson in einem Film, der ihn beim Schießen zeigt, "dies ist kein Land für alte Männer".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: