Debattenbeitrag: Anke Domscheit-Berg:Die Angst vor zu viel Transparenz

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Diskussionen zum Internet drehen sich viel mehr um seine Gefahren, als um die Chancen, die es bietet. Gerade die Politik will das angeblich böse Netz zähmen und zivilisieren und übersieht dabei die Möglichkeiten des offenen Raumes. Aus Angst vor zu viel Transparenz?

Anke Domscheit-Berg

Die Pionierphase des Internets ist vorüber. Nun ist die Zivilgesellschaft gefordert, sich mit dem Medium auseinanderzusetzen. Nicolas Sarkozys Forderung nach einer "Zivilisierung des Internet" löste eine Debatte aus, die auch bei der DLD Women Konferenz in München geführt wurde. Das Feuilleton der SZ beginnt eine Reihe zum Thema Gesellschaft und Netz mit Beiträgen der Teilnehmerinnen dieses Podiums. Anke Domscheit-Berg war lange bei Microsoft in führender Position und berät nun Unternehmen in Sachen Frauenförderung.

Anke Domscheit-Berg auf der DLD Women Konferenz in München. (Foto: Getty Images)

Beim G8 Gipfel forderte Sarkozy seine Regierungskollegen auf, das Internet zu zivilisieren. Ähnliche Forderungen hört man auch vom angloamerikanischen Quintett - den USA, Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland -, die eine Reihe von Meetings planen, um diese Zähmung gemeinsam anzugehen. Das Internet - ein Hort für Kriminalität und Verbrechen.

Der Fokus auf seine Gefahren und Risiken liegt ganz im Trend. Immer wieder konzentriert sich der Diskurs auf Cybercrime, Kinderpornografie, Google Streetview, illegale Downloads, Bombenbauanleitungen, Identitätsdiebstahl und neuerdings auch nachbarschaftsgefährdende Facebookparties.

Doch das Internet ist kein digitales Sodom und Gomorrha, es ist ein Spiegel der Gesellschaft - insofern bildet es natürlich auch deren dunkleren Seiten ab. Dennoch ist es nur ein Spiegel und ein Abbild - nicht die Ursache. Die Ursachen für Missstände liegen immer noch in der Gesellschaft selbst und dort muss man sie auch bekämpfen. Warum jedoch wird die Debatte oft so einseitig gefahrenfokussiert geführt?

Ich finde dafür zwei Erklärungen. Zum einen verstehen viele Politiker und Medienmacher das Internet (immer noch) nicht - und was der Mensch nicht kennt, davor hat er eher Angst. Zum zweiten ahnen die anderen, was für unglaubliche Potenziale das Internet für eine Veränderung unserer Gesellschaft birgt - und wollen dies bewusst nicht.

Lächerliche Facebookparty-Verbote

Viel zu wenig führen wir den Diskurs bisher über die großen Zusammenhänge, über die grundsätzlichen Veränderungen für unsere Gesellschaft - für die Menschheit insgesamt, denn das Internet setzt der nationalen Betrachtungsweise Grenzen. Die digitale Gesellschaft ist im Kern eine globale Gesellschaft, die sich radikal verändert. Darauf müssen wir den Blick lenken.

Stattdessen suchen wir nach Mitteln das Internet zu beschneiden, um ihm das Chaotische und Wilde zu nehmen. Mit Kontrollverlust kommen Politiker und Großkonzerne schlecht klar. Also macht man sich lächerlich mit geplanten Facebookparty-Verboten, diskutiert ernsthaft über die Aufhebung der Anonymität bei Meinungsäußerungen im Internet und findet es völlig in Ordnung, digitale Autobahnen mit schnellen Fahrspuren für virtuelle Porschefahrer und Schleichspuren für die Klasse der Normalos einzuführen.

Das sind alles Versuche, das Internet zu "zivilisieren", es wird betrachtet als pubertierendes Kind, dem man Grenzen setzen muss, weil es sonst die alte Ordnung bedroht. Aber das Internet kann man nicht zivilisieren, jede Sperre kann man umgehen, und wo man ihm ein Bein abhackt, wachsen zwei neue - das hat nur noch nicht jeder verstanden.

Einschränkungen in der Nutzungsfreiheit sind darüber hinaus auch Einschränkungen in demokratischen Grundrechten. Ich darf auch auf der Straße herumlaufen und Botschaften skandieren, ohne eine Kopie meines Personalausweises am Rücken zu befestigen. Ich kann völlig anonym Briefe schreiben oder Dinge einkaufen. Ich kann diese Dinge, zum Beispiel eine CD auch beliebig verschenken.

Wir sollten unsere Energien darauf lenken, zu erkennen, wie das Internet als Katalysator für Kreativität und Innovation wirkt, was die globale Verfügbarkeit von Wissen für die Verbesserung der Lebensqualität bedeuten kann, wie Transparenz und digitale Teilhabe Demokratien zum besseren verändert, und wie das Internet zum Totengräber für despotische Systeme wird.

Wo und wie wir arbeiten und lernen, Freizeit verbringen und Beziehungen pflegen, unsere Gesundheit schützen, uns engagieren und mobilisieren - all das verändert sich in einer digitalen Welt. Flexible Arbeitsformen ermöglichen nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit mit dem Rest des Lebens, sondern auch neue Netzwerke.

Lebenslanges Lernen, das Teilen von Wissen wird einfach und so der Zugang zu Bildungskapital für jeden möglich - auch in einem Dorf in Brandenburg, Indien oder Peru. Handels- und Geschäftsbeziehungen werden transparenter. Lokale Anbieter können teure Zwischenhändler umgehen und ihre Angebote an echten Marktpreisen ausrichten. Der Erfahrungsschatz der Welt kann Bauern aber auch lehren, wie sie trotz klimatischer Veränderungen ihre Erträge sichern.

Transparente Daten nutzen dem Bürger

Auch die Veröffentlichung von Daten im Besitz der Verwaltung, sogenannte Open Data, kann wie Subventionen wirken und wirtschaftliches Wachstum fördern. Diese Daten sind die Basis für die Entwicklung unzähliger Anwendungen, die einen Erkenntnisgewinn oder direkten Nutzen für Bürgerinnen und Bürger bieten.

Die hohe Nachfrage nach den kleinen Softwarepaketen steht einem enorm wachsenden Angebot gegenüber, das ein millardenschwerer Weltmarkt ist und die Grundlage für viele neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig können Datenvisualisierungen komplexe Sachverhalte verständlich machen - eine Voraussetzung für mehr Teilhabe an politischen Entscheidungen.

Umfragen zeigen, dass knapp siebzig Prozent der Bürgerinnen und Bürger offene Verwaltungsdaten und über achtzig Prozent mehr Beteiligungsformate wünschen. Drei Viertel der Befragten glauben allerdings auch, dass die Politik nicht ernsthaft mehr Beteiligung wünscht. Alle vier Jahre eine Wahl und dann durchregieren, das passt jedoch nicht mehr in unsere Zeit.

Wir erleben gerade einen zweiten Mauerfall - das Verschwinden der Möglichkeit von Machthabern und (Durch-) Regierenden, sich auf ihren Ledersesseln und hinter dicken Mauern dem Blick und damit der Kontrolle von unten zu entziehen. Wir werden gläserne Abgeordnete bekommen und einen gläsernen Staat, und daran ist nichts Falsches. Transparenz unserer Institutionen ist der Grundstein für ihre Integrität und Ehrlichkeit.

Letztlich steht unsere Regierung vor der Entscheidung, ob sie einen offenen Staat selbst gestalten möchte und mit mehr Transparenz, Teilhabe und neuen Kooperationsformen wie Community Public Partnerships bessere Entscheidungen und damit auch mehr Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in das Handeln von Politik und Verwaltung wünscht.

Wenn dieser Prozess nicht strategisch gewollt ist, findet er mindestens teilweise ungesteuert von unten statt. Es gibt Meinungsäußerungen zu ungeliebten Vorhaben, Offene Briefe, die mit einem Klick zur elektronischen Petition werden, von Zigtausenden unterschrieben. Die digitale Gesellschaft verfügt auch über Selbstreinigungsmechanismen, die jenseits existierender Machtverhältnisse funktionieren.

So heißt Open Government auch Transparenz über Verträge, die die Ausgabe von Steuergeld beinhalten. Werden sie nicht von der Verwaltung offengelegt, dann werden sie halt geleakt - so wie die Berliner Wasserverträge oder der Tollcollect Vertrag. Egal ob Subventionsbetrug, falsche Spesenabrechnungen, Menschenrechtsverletzungen, Umweltverbrechen, Wahlbetrug oder gebrochene Wahlversprechen, Korruption oder abgeschriebene Doktorarbeiten - in einer digitalen Gesellschaft richten sich die Scheinwerfer auch in die finstersten Ecken.

Reale Missstände werden aufgedeckt

Bevor das Geschrei vom anonymen Pranger Internet laut wird, sollte man sich bewusst werden, dass hier reale Missstände bekannt werden, die unserer Gesellschaft schaden, und dass ihre Offenlegung nicht nur zu ihrer Beseitigung, sondern auch zu ihrer Prävention beiträgt.

Die Identität des Hinweisgebers ist hier ohne Bedeutung. Was wir aber wirklich brauchen, ist ein weiter entwickeltes Wertesystem für das Miteinander in unserer neuen Welt. Ein VroniPlag, das faktenbasiert plagiierte Doktorarbeiten analysiert, und damit sowohl die Qualität in der Wissenschaft als auch die Integrität in unseren Parlamenten verteidigt, ist hier ein Vorbild, die Anonymität eine Voraussetzung für sein Funktionieren.

IShareGossip, eine Beleidigungsplattform, ist es nicht. Ethische Grundregeln für den Umgang mit globaler Öffentlichkeit müssen weiterentwickelt und verankert werden in unserer Gesellschaft. Dazu braucht es einen intensiven, gemeinsamen Diskurs, mit Community, Politik und Wirtschaft.

© SZ vom 11.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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