Debatte:Lehren aus meiner Apple-Kritik

Lesezeit: 6 min

Neben ein paar Beschimpfungen gab es zu meinen Beitrag über den Hype um das Mac-Betriebssystem Mountain Lion auch viele lesenswerte Reaktionen. An dieser Stelle deshalb ein paar Antworten - und eine neue Frage: Was muss ein Betriebssystem können, damit es uns begeistert?

Thorsten Riedl

Apple-Logo (Symbolbild): Was muss ein Betriebssystem können, damit es uns wieder begeistert? (Foto: REUTERS)

Als "kleinen Rant" gegen Apple haben meinen Kollegen von Süddeutsche.de meinen spontanen Blogbeitrag zum Hype um das Betriebssystem Mountain Lion vergangene Woche angekündigt, als Ereiferung. Das war es, insofern haben mich Beiträge à la "nur Journalisten schaffen es ihre Dummheit artikeltechnisch noch zu Geld zu machen" von Christian Schlender ( @kogekisha auf Twitter) nicht weiter verwundert.

Oder hier: "Herr Pörner haut Herrn Riedl in die Fresse. Und womit? Mit Recht" von Volker Weber auf Google+ zu einem interessanten Blog-Beitrag, auf den ich noch eingehe. Naja ... Beschimpfungen von der einen (Apple-Jünger) oder anderen (Apple-Hasser) Seite sind bei Apple-Berichten aber ja normal, je nachdem, welchen Standpunkt die Leser beim Autor wahrnehmen.

Erstaunt war ich über die Beiträge, die mich in den vergangenen Tagen per Mail erreicht haben. Das habe ich der Kommentarfunktion von Süddeutsche.de zu verdanken, die derzeit am Wochenende noch gesperrt ist. Da ich die Nachrichten sehr interessant fand, und sie meinen Standpunkt teils verändert haben, möchte ich diese hier zur Diskussion stellen. Alle Autoren haben zugestimmt, in einem heiklen Fall mit der Bitte, den Namen nicht zu nennen. Am lesenswertesten fand ich den Diskussionsbeitrag von "karr, der freundliche Troll-Krieger", wie er sich selber nennt.

Er geht meine Argumentation gegen die "Neuerungen" in Mountain Lion Punkt für Punkt durch, bestätigt meine Sicht teils, vor allem überzeugt er mich, dass ich beim Gatekeeper wohl nicht ganz richtig lag. Hier sein Hinweis im Wortlaut:

[] "Der Gatekeeper bringt in dem Moment etwas, wo man draufkommt, dass Programm xyz in Wirklichkeit ein keylogger und/oder Bot ist. Denn dann kann zentral dem Programm das Zertifikat entzogen werden und schon loggt es nicht mehr ihre persönlichen Daten, Logins und Kreditkarten auf all den Mountain Lion PCs, obwohl sie als durchschnittlicher Anwender die News-Meldung nie gelesen haben, dass Programm xyz in Wirklichkeit böööse ist. Und wenn ich das alles für blöd und mich für schlauer halte, kann ich es ausschalten."

Da hat er natürlich vollkommen Recht. Mir fehlt es nach einem halben Dutzend Jahren als Apple-Nutzer (Greenhorn, ich weiß) wohl an einem Bedrohungsszenario. Ich fühle mich auf dem Mac vergleichsweise sicher. Trotz intensiver Nutzung bin ich in all den Jahren nicht mal in die Nähe eines Wurms oder Keyloggers gekommen. Aber ich stimme der Argumentation von "karr" zu, wenn er schreibt:

[] "Ist ja gar nicht mal so schlecht unter Anbetracht der Tatsache, dass der ganz-typische Apple-User, der hier geschützt werden soll, auch auf E-Mails von Prinzen aus Nigeria antworten würde."

Und das ist nicht böse gemeint, denke ich, schließlich hat nicht jeder Lust, in die Tiefen des Systems abzutauchen. Muss er auch nicht, und dank Gatekeeper ist er trotzdem sicher.

Bernd Pörner schlägt in eine ähnliche Kerbe. Okay, ich sehe es ein: das Prinzip Gatekeeper hat seine guten Seiten. Trotzdem mit einem Fragezeichen, ob Apple das nicht auch ein klein wenig aus Eigennutz eingebaut hat ...

Zwei Gedanken zum Blog von Bernd Pörner mit dem wirklich schönen Titel "Herr Riedl und seine Nerven". Um ihn zu zitieren:

[] "Es stellt sich mir beispielsweise die Frage, wie intensiv Sie sich mit dem Gegenstand Ihrer Betrachtungen, also dem Preview von OS X 10.8, überhaupt befasst haben. Haben Sie es auf Ihrem Rechner installiert und haben damit schon gearbeitet, oder 'kennen' Sie 10.8 lediglich über Screenshots, Blog-Postings und Tweets anderer? Aufgrund des oberflächlichen Charakters Ihres Artikels drängt sich mir nämlich der Verdacht auf, dass Letzteres der Fall ist."

Genau so ist - und ich habe noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Mein Anliegen war und ist es nicht, einen ausführlichen Testbericht über 10.8 zu veröffentlichen. Den finden Sie in den einschlägigen Fachmagazinen. Ich schreibe als stinknormaler Anwender.

Das kann man ja auch sein, obschon man sich andernorts intensiver mit der IT-Industrie beschäftigt. Und als solcher scheine ich ja auch den Nerv des ein oder anderen getroffen zu haben. Den Rest seiner Argumentation kann man teilen, muss man - wie in meinem Fall - aber nicht. #

Ein Hinweis auf einen Randaspekt scheint mir allerdings noch angebracht. Er schreibt:

[] "Ich denke mal, dass Apple sehr wohl selbst bestimmen darf, wem es eine bevorzugte Behandlung zukommen lässt und wem nicht. Das tun Sie tagtäglich in ihrem menschlichen Umfeld doch gewiss auch, oder? Warum sollten für ein Unternehmen in dieser Hinsicht andere Regeln gelten? Weil dieses Unternehmen Apple heißt und gegenüber Journalisten irgendeine gottbefohlene moralische Verpflichtung hat, stets mit offenen Karten zu spielen? Oder drückt sich hier nicht vielmehr der Ärger gewisser Journalisten darüber aus, dass Apple mit seiner selektiven Behandlung den einen oder anderen Journalisten schlicht und einfach um eine gute Story bringt, die er ansonsten seiner auftraggebenden Zeitung für gutes Geld verkaufen könnte?"

Nein, kein Ärger über ausgebliebene Enthüllungsgeschichten - aber doch der Gedanke, dass das Unternehmen Apple eben kein Mensch ist. Und dass es von der PR-Abteilung eines solchen Unternehmens höchst unprofessionell wäre, sollte Kollege Jason O'Grady wirklich Recht haben, und er keine Nachricht auf unangenehme Rechercheanfragen erhalten; sollten sich bei Apple beliebte Kollegen sogar scheuen, solche Fragen zu stellen, weil sie Furcht haben, dann auf eine schwarze Liste zu geraten.

Eine solche Zensur, und sei es nur eine Vorab-Zensur im Kopf des Journalisten, passt meines Erachtens nicht zu Unternehmen, die ihren Sitz in demokratischen Staaten haben.

Ein Apple-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben möchte, antwortet auf meinen Beitrag, er "habe live und in Farbe die 'Machenschaften' von Apple kennenlernen dürfen. Von arbeitsrechtlicher Schweigepflicht über Serienfehler, Produktmängel etc., bis hin zu Fortbildungen, die mehr den Zweck einer Gehirnwäsche erfüllen sollten". Apple hat wohl zwei Seiten (wie viele andere Firmen).

In diesem Zusammenhang die Klarstellung: Mir hat die deutsche Presseabteilung stets nach bestem Wissen weitergeholfen. So schrieb auf meinen Blogbeitrag umgehend ein Kollege der Apple-Presseagentur: "Ich meide auf alle Fälle keine kritischen Journalisten ... wie Sie doch wissen sollten ;-)" Weiß ich, das stimmt.

Allerdings hatte ich auch schon Erlebnisse der anderen Art mit den PR-Mitarbeitern aus der Konzernzentrale in Cupertino, die mich glauben lassen, O'Grady liegt vielleicht nicht ganz falsch.

Christoph Martens hat noch eine wichtige Ergänzung. Er ist Software- und Web-Entwickler und zieht für sich als Fazit:

[] "Für mich bleibt wohl Ubuntu die nächsten Jahre weiterhin meine Linuxumgebung der Wahl."

Da noch andere darauf hingewiesen haben: Stimmt, die Open-Source-Ecke hätte ich erwähnen können. Da ich - wie schon geschrieben - als normaler Anwender gebloggt habe, ist Ubuntu aber noch nichts für mich. Versprochen: Ich schaue es mir wieder an. Irgendwann bin ich so weit. Ein interessanter Gedanke noch zum Schluss, zunächst vom ungenannten Apple-Mitarbeiter:

[] "Man sollte als Macianer - der ich nunmal ebenfalls bin - jedoch langsam erkennen, dass die Zeiten des Individualismus, der Kreativität und Einzigartigkeit längst vorbei sind. Apple-Geräte sind technisch, als auch in ihrer Zuverlässigkeit immer mehr zum Massenprodukt geworden. Was sich ja allein durch die Absatzzahlen belegen lässt. Abstürze, Systemfehler und Hardwareschwächen sind keine Eigenschaften, auf die nur 'Windows-Dosen' ein Patent haben."

Und in einem Kommentar von "nex4k" unter dem Digitalblog-Beitrag heißt es ähnlich:

[] "10.7 war für mich schon ein Schlag in den Magen - die auf einem Computer so unglaublich schwachsinnigen Funktionen wie Vollbildmodus für selbst die kleinsten Progrämmchen, Launchpad und 'natürliche' Scrollrichtung, das Entfernen von perfekt funktionierender Software (Rosetta & Front Row weg, Spaces verkrüppelt, Scrollbalken... tja) und das hässliche Design - vorne voran dieses unmögliche Leinenmuster, das Babyblau und als Gipfel des versauten Designs das neue iCal und die unübersichtlichen monochromen Icons überall. Zusätzlich dann auch noch der Fakt, dass Lion bis heute stark verbuggt ist. Apple schien mir komplett vergessen zu haben, was die Vorteile eines Computers gegenüber denen eines Tablets oder Smartphones sind."

Der letzte Punkt stört auch mich sehr, nicht nur bei Apple. Die Kollegen von Microsoft haben mit Windows 8 ja ebenso gezeigt, wie nun die Tablet- und Smartphone-Welt auf den Desktop kommen soll, deshalb noch die Frage in die Runde: Wer braucht das?

Ich will nie mehr mit einem Gerät mit Tastatur auf dem Sofa sitzen müssen. Aber, Hilfe, ich möchte auch nicht auf meinem Desktop-Rechner "rumwischen", bis ich die passende Applikation gefunden habe.

Und in diesem Zusammenhang stellt sich mir auch die Frage: Sind Apple und Microsoft mit ihrem Latein vielleicht am Ende? Die Systeme sind ausgereift, eigentlich alles drin, was man so braucht, viel mehr schon als der Normal-Nutzer benötigt.

Was muss ein Betriebssystem noch können, damit es uns wieder begeistert? Hat jemand eine Idee?

Schreiben Sie Ihre Meinung in den Kommentaren, via Twitter (@ThorstenRiedl) oder bei Google Plus.

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