David Gelernter: Klage gegen Apple:Der Anti-Steve-Jobs

David Gelernter gilt als einer der besten Informatiker der Welt. Jetzt verklagte er Apple wegen Patentdiebstahls auf Hunderte Millionen Dollar - und bekam recht.

Helmut Martin-Jung

In dem Geschäftsfeld, in dem sich David Gelernter bewegt, also der manchmal erratischen Internet- und Software-Branche, gibt es sehr erfolgreiche Geschäftsleute, deren Visionen sich allerdings als nicht besonders tragfähig erweisen. Und es gibt Visionäre, die zwar die richtigen Ideen haben, aber dann zusehen müssen, wie andere damit Milliarden scheffeln.

DLD Conference 2010

Gefragter Podiumsgast: David Gelernter bei der Digital Life Design (DLD) des Burda-Verlags.

(Foto: Getty Images for Hubert Burda Me)

Gelernter gehört eher zur zweiten Kategorie. Ein brillanter Kopf, der 1983 im Alter von 28 Jahren die Programmiersprache "Linda" erfand und damit schon sehr früh ein Problem anging, das noch heute zu den größten Herausforderungen der Informatik zählt: Nämlich die Frage, wie man Aufgaben auf viele Recheneinheiten so verteilt, dass diese parallel arbeiten können.

Damit ebnete er den Weg für den heutigen Megatrend cloud computing. Daten, Speicherplatz und Rechenleistung werden dabei von einem Netz aus Computern, der Wolke, bereitgestellt. David Gelernter ist einer der einflussreichsten Informatiker überhaupt, darin ist sich die Fachwelt einig.

Einer, der nicht nur schlau sei wie viele seiner Zunft, bemerkte sein Kollege Clifford Stoll einmal, sondern auch weise wie nur wenige. Einer, den auch der sogenannte Una-Bomber, der Technikhasser Theodore Kaczynski, für so wichtig hielt, dass er ihm 1993 eine seiner Briefbomben schickte. Gelernter, der eine Doktorarbeit erwartete, machte sie auf und verletzte sich schwer an der rechten Hand und am rechten Auge.

Dennoch: Ein kommerzieller Erfolg, der vergleichbar wäre mit dem Aufstieg von Google, Microsoft oder Apple, ist Gelernter verwehrt geblieben. Ende 2003 musste seine Firma Mirror Worlds Technologies ihr Produkt Scopeware vom Markt nehmen, nachdem Microsoft bloß angekündigt hatte, eine ähnliche Funktion in das neue Betriebssystem aufzunehmen - es war übrigens das glücklose Vista. Gelernter unterrichtete weiter an der Elite-Universität Yale, an der er noch immer einen Lehrstuhl hat.

625 Millionen Dollar von Apple

Nun, fast sieben Jahre nach dem Ende von Scopeware, scheint Mirror Worlds allerdings ein gewaltiger Coup gelungen zu sein. Anwälte erstritten bei einem texanischen Gericht Schadenersatz in Höhe von insgesamt 625,5 Millionen Dollar vom Vorzeigekonzern Apple.

Die Jury in Tyler, Texas, hält Apple für schuldig, wissentlich drei Patente von Mirror Worlds verletzt zu haben. Patentstreitigkeiten wie diese haben zwar in den USA eine unrühmliche Tradition, weil viele Firmen, sogenannte Patent-Trolle, oft ziemlich exotische Patente ungenutzt in der Schublade schmoren lassen, nur um sie bei einer guten Gelegenheit zu Geld zu machen, genauer gesagt: zu sehr viel Geld.

Im Fall von David Gelernter aber sieht die Sache anders aus. Die verwendeten Techniken, die Gelernter 1992 in seinem Buch "Mirror Worlds" beschrieb und für seine Firma zum Teil patentieren ließ, sind Funktionen wie etwa das bei Apple Coverflow genannte Durchblättern kleiner Abbilder von CD-Hüllen oder das im Hintergrund ablaufende Speichern der Daten eines Benutzers, das bei Apple Time Machine heißt.

"Maschine zur Verstärkung von Vorurteilen".

Techniken also, die für das Design und das Image von Apple überaus wichtig geworden sind. Dass Gelernters Ideen ausgerechnet beim designorientierten Apple-Konzern auf Interesse stießen, ist wohl kein Zufall. Denn Gelernter sieht sich nicht als Informatiker oder gar als Technokrat. Eigentlich ist er bildender Künstler.

Weil er aber die Kunst für so wertvoll ansieht, dass schon kleinste kommerzielle Zugeständnisse sie unrettbar beschädigen würden, entschied er sich in den 1970er-Jahren dazu, sich der Informatik als Broterwerb zuzuwenden und die Kunst als Hobby zu betreiben. "Es war keine Entscheidung aus Leidenschaft", wird er später sagen, "es war eine praktische Entscheidung."

Kein Sklave der Technik

Erst viel später ging ihm auf, dass die scheinbar so verschiedenen Aspekte - die Kunst und die Informatik - zusammenhängen. Ein wahrhaft visionärer Techniker müsse über ästhetisches Empfinden verfügen wie ein Künstler. Heute strebt Gelernter, der sich auch intensiv mit dem Judaismus beschäftigt hat, nur noch nach Schönheit. Alle ernsthaften Physiker und Mathematiker ließen sich von Schönheit leiten, sagt er.

Wichtig ist ihm, dass Technik dem Menschen dient, ihn nicht zum Sklaven macht. Das Internet sieht der Wissenschaftler eher als "Maschine zur Verstärkung von Vorurteilen". Die Menge an Informationen habe sich zwar dramatisch erhöht, nicht aber deren Qualität.

Um in der Flut an Informationen nicht zu ertrinken, rät Gelernter dazu, sie zeitlich zu organisieren - es ist seine alte Idee von Lifestreams aus dem Buch "Mirror Worlds". An diesen Strömen des Lebens sollen sich Bilder, Videos und Dokumente wie an einer Zeitleiste anlagern können. Das Netz, wünscht sich Gelernter, sollte aber auch fähig dazu sein, die Gedanken der Nutzer abschweifen zu lassen, sie nicht immer nur entlang der Pfade zu führen, die sie ohnehin beschreiten.

Das alles klingt gut, ist aber auch ein bisschen unkonkret. Gelernter aber wäre nicht Gelernter, würde er nicht auch das mit einem Augenzwinkern kommentieren: Es sei ziemlich leicht, zutreffende Aussagen über die Zukunft der Technik zu machen. Man müsse sie nur in einer poetischen Sprache halten - "umso leichter behält man recht".

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