EU-Digitalstrategie:Das große europäische Daten-Experiment

FILE PHOTO: A European Union flag flies outside the European Commission headquarters in Brussels

EU-Kommission in Brüssel: Es ist ein Experiment, das hier mit der Digitalstrategie geplant wird.

(Foto: REUTERS)

Weder China noch den USA folgen: Die EU-Kommission will beweisen, dass eine Gesellschaft Daten auch demokratisch nutzen kann. Dabei wohnt diesem Plan ein Widerspruch inne.

Kommentar von Jannis Brühl

Geradezu etwas Religiöses haben Daten. Dank ihrer kann der Mensch zum ersten Mal in der Geschichte Unendlichkeit herstellen. Denn sie lassen sich unbegrenzt oft vermehren, ohne Qualitätsverlust. Niemand weiß, wie viele Kopien einer Information es auf den Smartphones und Cloud-Servern dieser Welt gerade gibt. Dafür fehlt Daten eine andere Dimension des Religiösen: Sie interessieren sich nicht für Werte.

Insofern ist es ein Experiment, das die EU-Kommission plant. Am Mittwoch will sie ihre Ideen zur Regulierung von Datennutzung, künstlicher Intelligenz und Digitalwirtschaft vorstellen. Sie will beweisen, dass die Gesellschaft Daten erfolgreich nutzen kann, ohne ihre demokratischen Werte zu vergessen. Damit stellt die Kommission eine neue Systemfrage: Kann Europa den dritten Weg gehen? In den USA herrscht Laissez-faire: Unternehmer bauen Apps, die die Welt verändern, ohne Rücksicht darauf, wie diese Apps die Menschen verändern. In China baut der Staat ein System aus Kameras, Algorithmen und riesigen Datenbanken, um die Gesellschaft zu disziplinieren.

Die EU-Strategie ist ambitioniert, und das muss sie auch sein. Denn von der Ampel über die Fabrikhalle bis zum Implantat: Alles sendet. Im Detail geht es in den insgesamt drei Strategiepapieren um so verschiedene Dinge wie: Standortpolitik - hiesige Unternehmen sollen dank künstlicher Intelligenz (KI) mit Alibaba und Google mithalten oder zumindest nicht von diesen zerquetscht werden. Antidiskriminierung - wenn Algorithmen anhand schlechter Datensätze lernen, können ihre Entscheidungen später von menschlichen Vorurteilen geprägt sein. Aufklärung - Plattformen wie Facebook sollen Desinformation bekämpfen. Die Sicherheit autonomer Autos, die mit KI "sehen" können. Klimaneutral soll das digitale Europa 2030 natürlich auch noch sein.

Von der Angst zum Vorbild

Der Strategie wohnt aber ein Widerspruch inne. Während die Kommission eine Politik der Werte verspricht, folgt sie der Wachstumslogik: Man müsse so viel investieren wie die USA und China, dann seien "mehr als 14 Prozent zusätzlicher Wohlstand" drin, heißt es. Erstens hat genau diese Fixierung der Digitalwirtschaft auf hohes Wachstum zu den Problemen geführt, die die neue Strategie beheben soll. Wer nur sein Geschäftsmodell "skaliert", interessiert sich nicht für Konsequenzen. Zweitens: Mehr Geld verdienen und dabei ethisch sauber wirken - bei Unternehmen nennt man das Greenwashing. Besonders das EU-Parlament ist gefordert, die Kommission bei der Umsetzung an ihre ethischen Ansprüche zu erinnern.

Europa neigt angesichts der digitalen Revolution zum Kulturpessimismus. Mit den aktuellen Plänen kann es vom Angstraum zum Vorbild werden. Das gelang der EU schon mit der Datenschutz-Grundverordnung, die den Bürgern helfen soll, nur so gläsern zu sein, wie sie es möchten. Die irritierte zwar zunächst viele, weil sie von Whatsapp-Chats bis zu Fotos im Kindergarten so ziemlich alles regelt. Dennoch orientieren sich mittlerweile Brasilien und sogar Kalifornien an den EU-Regeln.

In der Umsetzung der digitalen Pläne muss die Kommission beweisen, dass es ihr wirklich um Werte geht und nicht nur darum, europäische Firmen im Kampf gegen die Marktführer aus dem Silicon Valley zu stärken. Das schuldet sie den Bürgern, die, konfrontiert mit der Unendlichkeit der Daten, manchmal die Orientierung verlieren.

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