"Off-Facebook Activity":Was hinter Facebooks neuer Vergessen-Funktion steckt

Lesezeit: 4 min

So soll die neue Funktion "Off-Facebook Activity" aussehen. (Foto: Facebook)
  • An diesem Dienstag startet die Funktion "Off-Facebook Activity" (OFA) in drei Ländern. Sie soll auch nach Deutschland kommen.
  • OFA soll es Nutzern ermöglichen auch ihre Daten zu schützen, die Dritt-Seiten und -Apps an Facebook übertragen.
  • Die Funktion könnte Facebooks Werbeeinnahmen schmälern.

Von Simon Hurtz

"Komm, wir gehen", sagt Estragon. "Wir können nicht", antwortet Wladimir: "Wir warten auf Godot." Zwei Akte lang lang harren die beiden aus, doch Godot lässt sich nicht blicken. Das Theaterstück steht für vergebliches Warten. Im vergangenen Jahr wirkte es manchmal so, als habe Samuel Beckett nicht nur "Warten auf Godot" geschrieben, sondern auch ein Drehbuch für Facebook.

Im Mai 2018 kündigte Mark Zuckerberg eine neue Funktion an, die Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben sollte. Seitdem übt sich Facebook im Verschieben und Vertrösten. Doch im Gegensatz zu Beckett will Zuckerberg ein Happy End liefern: An diesem Dienstag startet "Off-Facebook Activity" (OFA), zumindest in Irland, Spanien und Südkorea. In anderen Ländern soll die Funktion "in den kommenden Monaten" freigeschaltet werden.

Für Nutzer ist das eine gute Nachricht: Hält Facebook sein Versprechen, werden sie sich bald einen Teil ihrer Privatsphäre zurückholen können. Für das Unternehmen ist es ein Risiko: OFA ist eine mächtige Funktion, die Facebooks Datensammlung deutlich verkleinert. Wenn viele Menschen von ihr Gebrauch machen, wird das Werbegeschäft leiden. Die wichtigsten Antworten im Überblick:

Was ist OFA?

Derzeit können Nutzer nur gespeicherte Daten ansehen und löschen, die sie direkt bei Facebook hinterlassen. Dazu zählen etwa Likes, Kommentare und Nachrichten, die sie auf der Webseite schreiben, zudem Fotos und Videos, die sie in der App hochladen. OFA wird Nutzern Kontrolle über Daten geben, die andere Apps und Webseiten an Facebook übermitteln. Denn viele andere Dienste sind mit dem riesigen Facebook-Netzwerk verbunden.

Wer die Funktion aufruft, sieht alle Informationen sortiert nach Datum, kann sich Details anzeigen lassen und Daten entfernen - entweder einzeln oder alle auf einmal. Außerdem können Nutzer Facebook anweisen, diese Informationen künftig nicht mehr mit ihrem Profil zu verknüpfen. In einer Demo-Version, die Facebook Journalisten präsentierte, wirkte die Umsetzung verständlich und intuitiv.

Welche Daten umfasst OFA?

Mit den sogenannten " Facebook Business Tools" hat das Unternehmen das Web verwanzt. Es überwacht Menschen im ganzen Netz und registriert fast jeden Klick. Etliche Apps und fast alle großen Webseiten haben Like-Buttons, Social-Plugins, Facebook-Pixel oder sogenannte Software Development Kits von Facebook eingebaut.

Diese kostenlosen Werkzeuge geben den Betreibern wertvolle Einblicke, wer ihre Apps und Seiten nutzt - und liefern die Besucher gleichzeitig dem Facebook-Konzern aus. Das Unternehmen schaut Milliarden Menschen beim Surfen über die Schulter.

Facebook erklärt die Praxis selbst mit einem Beispiel: Ein Nutzer sucht auf einem Shopping-Portal nach einem Schuhmodell, ohne den Kauf abzuschließen. Nutzt die Seite den Facebook-Pixel, erfährt Facebook davon. Dann wird die Information mit dem entsprechenden Konto verknüpft, und der Nutzer sieht in seinem Newsfeed Werbung für die Schuhe, nach denen er gesucht hat. Die Chance, dass er sie kauft, steigt.

Grundsätzlich kann jeder die Tracking-Tools einbauen. Allerdings versichert Facebook, dass es Daten von bestimmten Webseiten von vornherein ausschließe und nicht speichere. Dazu zählen etwa Angebote mit pornografischen Inhalten. Kürzlich untersuchte eine Studie mehr als 22 000 Pornoseiten. 93 Prozent übertragen Informationen an durchschnittlich sieben Drittanbieter. Drei Viertel beinhalten Tracker von Google, jede zehnte Pornoseite schickt Daten an Facebook.

Wo ist der Haken?

OFA ist mächtig, aber nicht allmächtig: Facebook selbst nutzt den Begriff "Verlauf entfernen" - tatsächlich löschen lassen sich die Daten nicht. Es wird lediglich die Verknüpfung mit dem eigenen Facebook-Konto aufgehoben. Das Unternehmen behält die Informationen und sammelt sie auch in Zukunft. Nutzer sehen weiter die gleiche Zahl an Anzeigen, nur sind die möglicherweise weniger stark personalisiert.

Facebook versichert, dass sich die Daten rückwirkend nicht mehr einzelnen Nutzerprofilen zuordnen lassen. Dieses Versprechen lässt sich nicht unabhängig überprüfen. In der Vergangenheit kam es mehrfach vor, dass angeblich pseudonyme oder anonyme Daten eben doch Rückschlüsse auf bestimmte Personen zuließen.

Wer Facebooks Datensammlung einschränken will, muss selbst tätig werden. Statt OFA einfach für alle Nutzer zu aktivieren, bietet Facebook die Funktion nur optional an. Wie fast alle großen Tech-Unternehmen lädt Facebook die Verantwortung also bei seinen Nutzern ab. Statt Datenschutz zur Standardeinstellung zu machen, bleibt Privatsphäre ein Luxusgut. Ein paar Klicks sind zwar keine große Investition, aber in der Praxis macht nur ein Bruchteil der Nutzer von solchen Opt-in-Lösungen Gebrauch.

Warum ließ OFA so lang auf sich warten?

Als Zuckerberg die Funktion im Mai 2018 erstmals ankündigte, hieß sie noch "Clear History". Damals sagte Facebook, es werde "einige Monate" dauern. Im Dezember erklärte das Unternehmen die Verzögerung mit technischen Problemen und versprach, dass im Frühjahr Tests mit Nutzern beginnen würden. Im Mai 2019 kündigte ein Blogeintrag die "schrittweise Einführung in den kommenden Monaten" an.

Anderthalb Jahre nach der ersten Ankündigung hat "Clear History" einen neuen Namen und scheint tatsächlich Realität zu werden. Die Entwicklung sei sehr aufwendig gewesen, sagt Facebook. Man habe sich monatelang mit Unternehmen, Datenschützern und Organisationen ausgetauscht, Tests mit Nutzern durchgeführt und OFA an deren Rückmeldungen angepasst. Man habe eben ein ausgereiftes Produkt auf den Markt bringen wollen. Nach Jahren voller Skandale sollte man das Unternehmen aber erst loben, wenn es den Worten Taten folgen lässt.

Warum ist OFA riskant für Facebook?

Facebooks Geschäftsmodell beruht auf personalisierten Anzeigen. Es verspricht Werbekunden, dass sie auf Facebook die höchste Chance haben, Menschen zu erreichen, die sich tatsächlich für ihre Produkte interessieren - weil Facebook seine Nutzer so gut kennt wie kaum ein anderer Konzern. Je mehr Daten Facebook sammelt, desto exakter lassen sich Nutzer bestimmten Zielgruppen zuordnen. Wenn viele Menschen OFA aktivieren und die Datensammlung einschränken, verliert Facebook einen Teil dieser Informationen. Der Facebook-Sprecher erklärt, das Zielpublikum für Anzeigenkunden bei bestimmten Werbeformen könne schrumpfen.

in den vergangenen Monaten informierte Facebook Aktionäre, Investoren und Werbekunden über die möglichen Auswirkungen von OFA. Die Funktion könne das Tracking und Targeting erschweren und damit auch Facebooks Werbegeschäft bremsen. Wohl auch deshalb aktiviert das Unternehmen die Einstellung nicht automatisch für alle Nutzer. Sie werden es selbst in der Hand haben, sich einen Teil ihrer Privatsphäre zurückzuholen.

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