Datenschutz und Selbstbestimmung im Internet:Wer Visionen hat, sollte zu Mozilla gehen

Die gemeinnützige Mozilla-Stiftung ist weltweit für ihren populären Internetbrowser Firefox bekannt. Doch die Entwickler im kalifornischen Palo Alto wollen nicht nur einen Browser bauen, sie wollen die Privatsphäre des Internetnutzers schützen. Deshalb soll bald ein neues internetübergreifendes Login-System und ein eigenes Smartphone-Betriebssystem an den Start gehen.

Matthias Kolb, Palo Alto

Den kleinen, roten Tieren geht es gut im Silicon Valley. Der Kleine Panda kämpft in der Himalaya-Region ums Überleben, doch in der Zentrale der gemeinnützigen Mozilla-Stiftung sind die in China als Feuerfuchs bekannten Raubtiere überall zu finden. In kugelrunder Form mit spitzen Ohren begrüßt der Firefox, das Wappentier des beliebten Browsers, die Besucher in der Eingangshalle und auf vielen der Trennwände sitzen Firefox-Plüschtiere und beobachten die Mitarbeiter in ihren Bürowürfeln.

Datenschutz und Selbstbestimmung im Internet: Der Eindruck täuscht: Auf der faulen Haut liegen die Mozilla-Entwickler nicht.

Der Eindruck täuscht: Auf der faulen Haut liegen die Mozilla-Entwickler nicht.

(Foto: Matthias Kolb)

Ein gerahmtes Bild illustriert das Selbstbewusstsein der Mozilla-Stiftung: Zu sehen ist ein riesiger feuerroter Dinosaurier, der sich gegen zahlreiche Ufos verteidigt, deren knallige Farben an Google erinnern. Im Hintergrund ist das blaue "e" des Internet Explorers zu erkennen. "Mozilla vs King Corporate" steht auf dem Comic, der vor zwei Jahren in der Zeitschrift Wired abgedruckt war.

Im Wettstreit mit den Giganten Google, Facebook, Microsoft und Co. konzentriert sich die Mozilla-Stiftung, deren Browser Firefox in Deutschland von fast jedem zweiten Nutzer verwendet wird, nun auf ein anderes Thema. "Identität und Datenschutz werden immer wichtiger und darauf reagieren wir", erklärt Ben Adida. Der promovierte Computerwissenschaftler mit dem schwarzen Vollbart und schulterlangen Haaren ist als Cheftechniker für das ambitionierte Projekt "Mozilla Persona" verantwortlich, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Nutzern zu ermöglichen, beim Surfen durchs Web die Hoheit über ihre Daten zu bewahren.

"Überall im Netz kann ich mich mit meinem Twitter-Account oder dem Facebook-Login anmelden, doch ich kann kaum kontrollieren, was mit meinen Daten geschieht", berichtet Adida. Ähnlich hatte Mitchell Baker, die Chefin der Stiftung, die missliche Lage der Nutzer zu Jahresanfang in einem Blogbeitrag beschrieben und angedeutet, dass Mozilla an Alternativen arbeite. Bereits im Sommer, so Adida, beginne die Beta-Testphase von Persona.

Verschlüsselung direkt im Browser

Adidas Vision ist simpel: Während sich Facebook, Twitter und Google die Bequemlichkeit, ihre Logins auch auf anderen Seiten als sogenannte Identity-Provider nutzen zu können, mit Daten bezahlen lassen, will Mozilla den Nutzer in den Mittelpunkt stellen. Adida verspricht, dass Mozilla mit seinem Cloud-Dienst die Informationen des Persona-Accounts schon im Browser verschlüsseln wird. Zudem werde eindeutig informiert: "Bevor du auf den 'Weiter'-Button klickst, erfährst du, welche Daten du überträgst."

Um die Verschlüsselungsfunktion von Persona zu erklären, verweist Adida in der Mozilla-Zentrale in Palo Alto auf Firefox Sync. Dieser Service ermöglicht es Nutzern, die Firefox-Versionen, die sie auf verschiedenen Geräten nutzen, zu synchronisieren: Wer im Büro auf dem Desktop-Rechner in mehreren Tabs gearbeitet hat und plötzlich aufbrechen muss, kann diese später automatisiert auf dem Smartphone öffnen.

Mozilla entwickelt eigenes mobiles Betriebssystem

Praktisch: Das Programm merkt sich auch Lesezeichen und Surf-History. Weniger praktisch: Die Synchronisierung klappt bisher nur, wenn der Nutzer beide Geräte vor sich liegen hat, um einen individuellen Code einzugeben. Dies habe jedoch einen Vorteil, erklärt Alex Fowler, bei Mozilla verantwortlich für Datenschutz: "Weil die Daten verschlüsselt sind, können wir diese nicht einsehen und auch nichts herausgeben, wenn Strafbehörden mit einer Beschlagnahmeanordnung kommen."

Allerdings, so Adida, müsse sich der User entscheiden, wie viel Schutz er wolle: "Wir können das System extrem sicher machen, aber dann können wir bei Datenverlust nichts tun." Wem es also stärker auf Bequemlichkeit ankommt, der müsse weniger Schutz akzeptieren, erklärt der Persona-Cheftechniker (Details in diesem Blog-Beitrag). Er verspricht jedoch: "Wir werden dies den Usern sehr deutlich machen und sie klar informieren." Sollte sich Persona als Web-ID - bestehend aus E-Mail-Adresse und Passwort - etablieren, könnten sich beispielsweise auch Eltern für oder gemeinsam mit ihren Kindern ein Profil anlegen und hätten einen besseren Überblick, welche Informationen weitergegeben werden.

Wie Google, dessen Geschäftsmodell auf der Anzeige möglichst relevanter Werbeanzeigen basiert, auf die neuen Mozilla-Datenschutz-Projekte reagiert, bleibt abzuwarten. Adida und Fowler hoffen, mit Persona eine Diskussion über "Daten als Bezahlungsmittel" anzustoßen und den Firefox als nutzerfreundliche und die Privatsphäre achtende Alternative zu Google Chrome zu etablieren - auch wenn sie das nicht offen zugeben wollen. Daran kann der Internetgigant aus Mountain View natürlich nur wenig Interesse haben.

Google gehört seit längerem zu den wichtigsten Geldgebern der Mozilla-Stiftung. Branchenkreisen zufolge geht es um knapp 300 Millionen Dollar pro Jahr. Im Gegenzug wird der Firefox-Browser mit Google als Standard-Startseite und -Suchmaschine angezeigt.

Aufregung um Thunderbird stößt auf Unverständnis

Die Aufregung um die im Juli verkündete Entscheidung, für Mozillas populären E-Mail-Client Thunderbird keine neuen Features zu entwickeln, versteht man in der Zentrale in Palo Alto nicht. Jeder Mitarbeiter benutze Thunderbird und man werde alles tun, damit der Service stabil bleibe. Allerdings sei man überzeugt, dass sich "das System E-Mail" nicht mehr revolutionär verändern werde, weshalb man die Ressourcen auf das wichtigere Thema Privatsphäre umlenken werde. Ähnlich wichtig wie do not track sei auch das Add-on Collusion, das dem User anzeigt, welche anderen Websites benachrichtigt werden, wenn er etwa Süddeutsche.de ansteuert.

Noch lieber spricht man bei Mozilla aber über das Mozilla-Handy, das Anfang 2013 in Brasilien gemeinsam mit Telefónica auf den Markt gebracht werden und das Betriebssystem Firefox Mobile OS enthalten soll. Auch die Deutsche Telekom gehört zu den Partnern. Brasilien sei eine aufstrebende Wirtschaftsnation, in der der Markt für Smartphones noch nicht gesättigt sei, heißt es. Vielleicht ist das eine Chance für mehr Privatsphäre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: