EU-Einigung:Diese Datenschutzreform hat Weltgeltung

  • Die neue Datenschutzreform bringt einen Fortschritt: Wer von 2018 an Daten in Europa verarbeitet, muss sich an hier geltende Standards halten.
  • Sie ist nötig, weil die Nutzung digitaler Angebote für den Bürger alternativlos ist.
  • Jetzt sind aber die Gerichte gefragt, die neuen Regeln auch durchzusetzen.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Es geht wieder einmal mühsam voran in Europa, falls es überhaupt vorangeht - Flüchtlingsphobien und undemokratische Tendenzen mancher Staaten lassen eher an Rückschritt denken. Aber Europa war stets ein Projekt der Ungleichzeitigkeiten, das zeigt die Einigung auf eine Datenschutz-Grundverordnung: Die europäischen Institutionen haben sich auf ein epochales Projekt verständigt, das nicht weniger ist als ein neues europäisches Grundgesetz des Datenschutzes - gültig für 28 Staaten.

Darin liegt der größte Fortschritt der Reform. Daten sind eine ortlose Handelsware, in keinem anderen Industriezweig ist es daher einfacher für Unternehmen, sich am Standort mit dem niedrigsten Schutzniveau niederzulassen. Wenn die neue Verordnung in drei Jahren in Kraft tritt, ist damit Schluss. Wer in Europa Daten verarbeitet, muss sich an europäische Standards halten. Das wird über die EU hinaus Konsequenzen haben. Der Lobbyistenschwarm, der die Verhandlungen jahrelang bedrohlich umschwirrte, ist der wohl augenfälligste Beleg für die Weltgeltung der Reform.

Beunruhigende Sicherheit anstelle eines diffusen Gefühls

Zugleich markiert die Verordnung einen Kulturwandel. Der Datenschutz stammt aus einer Zeit des Misstrauens gegenüber dem Staat. Das einschlägige Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1983 betraf die Volkszählung - gemessen an den heutigen Möglichkeiten ein Projekt von rührender Harmlosigkeit. Als die Digitalisierung Einzug hielt, schien Datenschutz eher etwas für Kulturpessimisten zu sein, die irgendwie quer zur vermeintlichen Modernität der informationellen Wunderwelt standen. Geschickt versuchten die Protagonisten der neuen Zeit, Begriffe wie Transparenz zum Dogma zu erheben, um dem Geschäft mit den personenbezogenen Informationen moralischen Glanz zu verleihen.

Dieser Glanz ist verblasst, auch für jene, die sich einst davon blenden ließen. Der Internetnutzer von heute hat sich in einem abgeklärten, aber auch hilflosen Pragmatismus eingerichtet. In seinem Vorratsdaten-Urteil sprach das Bundesverfassungsgericht einst vom "diffus bedrohlichen Gefühl des Beobachtetseins". Darüber ist der User des Jahres 2015 längst hinaus: Das diffuse Gefühl ist dem sicheren Wissen gewichen, dass soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Verkaufsportale seine Daten als geldwertes Gut nutzen. Zugleich aber weiß der Bürger, dass er keine Alternative hat. Wer reisen will, muss fahren oder fliegen; wer in der Informationsgesellschaft bestehen will, muss googeln oder surfen.

Die Bürger kennen nur selten den Wert ihrer Daten

Die Verordnung ist die richtige Antwort auf diese individuelle Wehrlosigkeit. Mit Instrumenten wie der "Zweckbindung" der Daten an die vom Betroffenen konsentierte Nutzungsart gebietet sie einer schleichenden Enteignung Einhalt. Denn Daten sind eine Währung, nur kennt der Bürger selten ihren Wert. Und hohe Sanktionen werden dafür sorgen, dass Datenmissbrauch auch den Konzernen wehtut.

Dennoch ist die Verordnung erst der Beginn einer Entwicklung. Vorerst ist sie nur ein Stück Papier, das der Durchsetzung durch die Gerichte bedarf. Bisher konnten die Deutschen auf das Bundesverfassungsgericht bauen - doch dessen Ära als weltweit geachtetes Datenschutzgericht neigt sich dem Ende zu. Künftig wird der Europäische Gerichtshof die zentralen Urteile fällen. Man muss deswegen nicht in Pessimismus verfallen: Das EU-Gericht hat sich den Datenschutz zum Herzensthema gemacht und wichtige Urteile zu Facebook, zur Vorratsdatenspeicherung und zu Google gefällt; das 2014 erfundene Recht auf Vergessenwerden hat sich sogar in der Verordnung niedergeschlagen. Aber Datenschutz ist Feinarbeit. Und das sensible Austarieren widerstreitender Grundrechte nach Karlsruher Art war bisher nicht unbedingt die Stärke der Europarichter.

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