Datenprojekt:Zehnmal Weinen in der Öffentlichkeit

Lam Thuy Vo hat ihre Beziehung in Daten visualisiert

In U-Bahnen weint es sich sehr oft, sagt Vo. Dazu hat sie ein Plakat entworfen. In der Vollversion auf: quantifiedbreakup.tumblr.com

(Foto: Lam Thuy Vo)

Der Oktober war schlimm. Lam Thuy Vo sammelt Daten über sich selbst und erkennt so drei Monate nach der Trennung von ihrem Mann: Diese hat auch positive Seiten.

Von Hakan Tanriverdi

Der Oktober war für Lam Thuy Vo der schlimmste Monat, was ihre Heulkrämpfe anging. Zehn Mal weinte sie an öffentlichen Plätzen, oft in U-Bahnen. Auch die Heftigkeit ihrer Heulkrämpfe war im Oktober besonders hoch. Ein schwarzmarkierter Monat in ihrem Leben, zwei Monate, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat. "Wahrscheinlich hat es etwas länger gedauert, alles zu realisieren und zu verarbeiten", sagt Vo.

Vo weiß genau, wie oft sie geweint hat, weil sie daraus ein Projekt gemacht hat. Wer will, kann sich den Oktober von Vo selber anschauen, sie hat alles öffentlich dokumentiert.

Lam Thuy Vo hat ihre Trennung in Daten visualisiert
(Foto: quantifiedbreakup.tumblr.com)

Ihre Seite heißt "Quantified Breakup", die quantifizierte Trennung, wenn man so will. Vo erzählt die Geschichte ihrer Scheidung in Zahlen, über Schnickschnack, den sie sich gekauft, über die Musik, die sie gehört und über die "Ich muss raus aus dieser Wohnung"-Fahrradtouren, die sie gemacht hat in New York. Es ist die Geschichte eines Menschen, der erst Stück für Stück zerbrochen ist an der Trennung - und der heute wieder sagen kann: "Mir geht es besser. Die Grafiken waren sowohl eine therapeutische Art und Weise, sich mit der Trennung zu befassen, als auch eine kreative Beschäftigung, die mir Freude bereitet hat."

Der Name der Seite ist eine Anspielung auf die "Quantified Self"-Bewegung; das sind Menschen, die Daten über sich selbst sammeln - wie viele Schritte sie gegangen sind, wie sich ihr Gewicht verändert, wie lange sie geschlafen haben - um aus diesen Daten Schlüsse zu ziehen. Die Quantified-Self-Bewegung startete lange vor Bekanntwerden des NSA-Skandals. Mit einem Protest (im Sinne einer der vielen Kunstaktionen), um in der Öffentlichkeit gegen die Datensammelei zu warnen, hat das Projekt nichts zu tun. Vereinfacht gesagt, geht es den Anhängern dieser Bewegung um die Vermessung des eigenen Körpers (mehr zur QS-Bewegung hier).

Für Vo war dieses Projekt das Erste in dieser Richtung. Angesprochen darauf, wie es sich anfühlt, ihr Leben auf diese Art zu betrachten, sagt sie: "Als sei ich eine Wissenschaftlerin, die sich das Verhalten eines Wesens anschaut." Mit dem Unterschied, dass Vo emotional in diese Daten verwickelt sei und Gefühle mit diesen Momenten verbinde.

Nach einer Trennung in New York seien U-Bahnfahrten besonders schlimm, sagt Vo. Man könne keine E-Mails checken, Smartphone-Spiele machen auch nur für eine begrenzte Zeit Spaß. Außerdem sei man nicht körperlich aktiv und könne den Körper nicht daran hindern, auszuflippen. Die Menschen seien mit sich selbst beschäftigt und reden wolle sowieso keiner. "Ich musste nach der Trennung weiterhin täglich zur Arbeit gehen und konnte mir oft keine Pause gönnen. Nach einem langen Tag dann einfach alles herauszulassen, kann sehr gut tun, selbst wenn es in der Öffentlichkeit ist." In den U-Bahnen New Yorks gab es keine Ablenkung für Vo, nur noch das Nachdenken.

Sie hat die Daten (teilweise) im Nachhinein zusammengestellt. Sie hat zum Beispiel geschaut, mit wem sie sich E-Mails geschrieben hat, sich an die Tage erinnert und was sie damals gemacht hat. "Es ist schon masochistisch, sich alledem auszusetzen.", sagt Vo, "aber es ist besser, als das zu verdrängen, oder?"

Lam Thuy Vo hat ihre Trennung in Daten visualisiert

Mehr fröhliche Songs als traurige hat Vo gehört.

(Foto: quantifiedbreakup.tumblr.com)

Ein Blick auf die Monate nach der Trennung habe auch positive Seiten. Sie hat zum Beispiel die Songs danach geordnet, wie oft sie gespielt wurden, und anschließend geguckt, wie viele Songs sie als "fröhlich" und wie viele sie als "traurig" einordnen würde. Das Ergebnis: Sie hat mehr fröhliche Songs gehört als traurige, 59 zu 41.

Die Geschichte von Lam Thuy Vo ist auch eine darüber, wie rekonstruierbar das eigene Leben wird. Bezahlen mit Kreditkarten (Kleid: 280 US-Dollar, Midi-Keyboard: 200 US-Dollar, Füller: 87,73 US-Dollar), kommunizieren via E-Mail, Musik hören via iTunes, das alles ist schließlich gut erfasst. Vo arbeitet als Datenjournalistin und die bloße Tatsache, dass so viele Daten anfallen, war ihr schon klar, sagt sie, aber: "Es ist noch einmal eine ganz andere Sache, alles noch einmal nachzulesen."

Es ist eine Sache, zu sagen, dass alles wieder in Ordnung ist, gerade nach einer Trennung - und eine komplett andere Sache, seinen Schlafrhythmus genau zu erfassen, und zu sehen, dass all die unruhigen Tage und Wochen vorbei sind. Der Schlafrhythmus ist wieder normal.

Lam Thuy Vo hat ihre Trennung in Daten visualisiert
(Foto: quantifiedbreakup.tumblr.com)

Auch der Kalender, der die Heulkrämpfe dokumentiert hat und im Oktober besonders schwarz gewesen ist, ist mittlerweile fast einfarbig. Weiß.

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