Das Netz und die Apple-Hysterie:Das Märchen vom digitalen LSD

It's the economy, stupid: Die Verklärung des Internets und seiner Geräte täuscht darüber hinweg, dass es um Geld geht, nicht um Kultur.

Andrian Kreye

Die Enttäuschung war groß, nachdem der Chef des Elektronikkonzerns Apple, Steve Jobs, am vergangenen Mittwoch das neue Unterhaltungs- und Kommunikationsgerät iPad vorgestellt hatte. Aus gutem Grunde. Das iPad beendet die Offenheit des Internets und reduziert die interaktive Kultur des Web 2.0 auf ein Gerät, mit dem man nur noch konsumieren kann.

Das Netz und die Apple-Hysterie: Journalisten bei der iPad-Vorstellung: Es ging nie um revolutionäre Aufbrüche

Journalisten bei der iPad-Vorstellung: Es ging nie um revolutionäre Aufbrüche

(Foto: Foto: AP)

Man kann das nun als paradigmatisches Ende des Internets beklagen oder als magische Revolution bejubeln. Letztlich ist das iPad nur die konsequente Fortsetzung einer technischen und wirtschaftlichen Entwicklung, die Steve Jobs selbst begonnen hat. Schließlich war schon das Betriebssystem für den ersten Macintosh ein Sakrileg, weil es mit seiner geschlossenen Struktur der "Open Access"-Ethik der Computerwelt widersprach.

Tieferer Grund der Enttäuschung ist eine Verklärung des Internets und digitaler Technologien, die schon früh begann. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Welt der kalifornischen Computerpioniere entscheidend von der psychedelischen Kultur der sechziger Jahre geprägt wurde, die ähnlich weltfremd mit sich und ihren Werken umging.

Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die digitale Kultur eine Technologie- und Wirtschaftsentwicklung mit sozialen Auswirkungen ist, während die Psychedelik in erster Linie eine gesellschaftliche Entwicklung mit künstlerischen und politischen Auswirkungen war.

Keine Manifestation des Weltgeistes

Für das intellektuelle Leben der sechziger Jahre waren die LSD-Experimente von Timothy Leary, eines Psychologieprofessors an den Universitäten von Berkeley und Harvard, ein epochaler Befreiungsschlag gewesen. Niemand hatte das Dogma des vernunftgesteuerten und linearen Denkens bis dahin so radikal angegriffen.

Dabei stellte er mit seinem Slogan "Turn on, tune in, drop out" auch gleich noch die Relevanz bürgerlicher Existenzen in Frage. Als sich Leary dann 20 Jahre später als einer der ersten Vordenker einer digitalen Kultur profilieren wollte, nahm es ihm niemand übel, dass er als Popstar des akademischen Betriebes seinen größten Hit noch einmal auflegte und proklamierte: "Das Internet ist das LSD der neunziger Jahre." Denken und Kultur sollte es verändern.

Nun wird jeder bestätigen, der sich sowohl mit der psychedelischen wie der digitalen Kultur auseinandergesetzt hat, dass der psychedelische Wert des Internets gleich Null ist.

Ähnlich vermessen klangen auch die Verklärungen des Internets als Manifestation des Weltgeistes, als philosophische Praxis, kognitive Revolution oder als der wahre Aufbruch der demokratischen Moderne. Denn es ging im Internet nie um kulturelle Inhalte und Deutungshoheiten, nie um intellektuelle Aufbrüche, sondern um Produktivität und Wirtschaftsmacht.

Revolution der Märkte, nicht der Kultur

Sicherlich hat unser Leben in den vergangenen 15 Jahren nichts so verändert, wie das World Wide Web und die mobile Technik. Wirklich verändert hat sich jedoch unser Alltag. Die kulturellen Leistungen des Internets sind bisher noch marginal.

Das Netz und die Apple-Hysterie: Marketing im popkulturellen Kontext: US-Komiker Stephen Colbert präsentiert sein iPad auf der Grammy-Verleihung

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(Foto: Foto: Reuters)

Fast alle epochalen Texte, die das Internet hervorgebracht hat, beschäftigen sich mit: dem Internet. Tauschbörsen und iPod haben die Musikindustrie verändert, nicht die Musik - niemand hat Beethoven bisher so letztgültig dirigiert wie Furtwängler, Miles Davis' "Kind of Blue" ist immer noch die beste Jazzplatte aller Zeiten, der Pop produziert seinen Überfluss an wunderbaren Ideen weiterhin auf der Basis von so handwerklichen Genres wie Rockmusik und Hip-Hop. Und visuell haben Computer und Internet bisher weder in der Kunst noch im Design nennenswerte Spuren hinterlassen.

Wer wissen will, wie sich die Computerwelt zur Kultur verhält, sollte Steve Jobs' Essay "Thoughts On Music" vom Februar 2007 lesen. Jobs' Gedanken über die Musik drehen sich um Speicherkapazitäten, Dateiformate und Urheberrechtsprobleme. Jobs' Text ist nur ein Beispiel dafür, dass die Kulturdebatten rund um das Internet Wirtschafts- und Technikdiskurse sind und keine inhaltlichen oder ästhetischen Auseinandersetzungen.

Abklatsch des "Rebel Consumer"

Und doch gab es seit der E-Gitarrenfabrik Fender keine Elektronikfirma, die das Image vom rebellischen Hipster so erfolgreich für sich vereinnahmt hat wie Apple. Die Computerfirma kann allerdings noch so viel Anzeigen mit den Konterfeis von Miles Davis und Picasso schalten, letztlich ist die subkulturelle Aura von Apple nur ein zeitgenössischer Abklatsch des "Rebel Consumer" aus der Werbewelt der Autoindustrie in den sechziger Jahren.

Apple tat sich da nur leichter als die Hersteller von familiengerechten Viertürern. Die Computerkultur besaß schon früh all die Attribute, mit denen Beatniks, Hippies und Hipster die prägenden Subkulturen der letzten sechzig Jahre definierten - die kodierte Zeichenwelt aus Jargon und Abstraktion, die handwerkliche Virtuosität, die hämische Arroganz des Eingeweihten sowie das revolutionäre Potential.

Doch das revolutionäre Potential der digitalen Technologien und des Internets ist ein Impuls aus der Wirtschaft. Amazon hat den Einzelhandel revolutioniert, Google die Welt der Bildung und Information, der iPod hat die Musikindustrie auf den Kopf gestellt und das iPad könnte das gleiche mit den Film- und Spieleindustrien tun. Da gibt es weder ein Utopia noch ein Dystopia. Da gibt es Märkte, Vertriebswege und Renditechancen.

Der Reiz der gesteigerten Produktivität

Spätestens mit der Popularisierung des Internets durch Zugangsprogramme von Anbietern wie America Online und Compuserve folgt die Dynamik des Internets den Naturgesetzen der Geldströme in der freien Marktwirtschaft. Geld verdient man in der digitalen Welt entweder mit dem Verkauf von Software und Geräten oder mit der Bereitstellung von Übertragungswegen wie Kabel- oder Mobilfunknetzen. Mehr kann und will die digitale Welt gar nicht.

Alles andere, die neuen Formen der Kommunikation und der Vernetzung, sind gesellschaftliche Anwendungen neuer Technologien. Der Reiz beruht auf dem Prinzip der gesteigerten Produktivität. Diese Produktivität hat zwar zunächst einmal einen rein gesellschaftlichen Wert, im Gegensatz zur gesteigerten Produktivität des Kulturkonsums durch komprimierte und damit mobile Kulturgüter. Und doch ist die eigentliche Dynamik die einer wirtschaftlichen, nicht einer kulturellen Entwicklung.

Das iPad stellt nun eine perfekte Symbiose aus den Entwicklungen der Wirtschaft und der Technik her. Es macht mit seinem geschlossenen System aus dem Nutzer einen Konsumenten und eröffnet damit die Zielgruppe der Technikbanausen; es bindet kulturelle Inhalte über iTunes und iBookstore an ein einziges Gerät; es zwingt zum Abschluss eines neuen Mobilfunkvertrages. Kultur und soziale Funktionen sind da nur Schmierstoff in einer Industrie, die davon lebt, die Aufmerksamkeit ihrer Kunden zu jeder Zeit so lange wie möglich an ihre Produkte zu binden.

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