Das Internet wird 40:Partytiger hinter Gittern

Die Zeiten grenzenloser Freiheit und unzähliger Möglichkeiten im World Wide Web sind vorbei. An seinem 40. Geburtstag befindet sich das Internet in einer Midlife-Crisis.

Als Len Kleinrock und seine Kollegen an der Universität von Kalifornien vor 40 Jahren für ein kleinen Test zusammenkamen, konnten sie nicht ahnen, welche Entwicklungen sie damit in Gang setzen würden. Sie wollten lediglich ein offenes System schaffen, um Computer zu vernetzen und Informationen austauschen zu können. Mit dieser systemischen Offenheit legten sie allerdings den Grundstein für das heutige Internet und die zahlreichen damit verbundenen Erscheinungen.

Das Internet wird 40: Internet-Pionier Len Kleinrock: "Erlaube einen offenen Zugang und tausend Blumen werden blühen."

Internet-Pionier Len Kleinrock: "Erlaube einen offenen Zugang und tausend Blumen werden blühen."

(Foto: Foto: ap)

Für Innovationen ist heutzutage sicher immer noch genug Raum, aber die Offenheit scheint doch zu schwinden. Vielleicht erlebt das Internet ja gerade so etwas wie seine Midlife-Crisis. Es steht zwar an immer mehr Orten zur Verfügung und ist schneller denn je, aber künstliche Barrieren könnten das Wachstum gefährden. Dabei spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle: Spams und Hackerangriffe zwingen die Betreiber von Netzwerken zu verstärkten Kontrollen. Autoritäre Regime blockieren in ihren Ländern den Zugang zu vielen Websites und Angeboten. Wirtschaftliche Überlegungen fördern Vorgehensweisen, mit denen Konkurrenten ausgeschlossen werden sollen.

Fünf Meter Kabel zwischen zwei Rechnern

"Der normale Internetnutzer hat mehr Freiheit zu spielen und zu kommunizieren, mehr Möglichkeiten als je zuvor", sagt Jonathan Zittrain, Rechtsprofessor und Mitgründer des Berkman Zentrums für Internet und Gesellschaft. "Allerdings gibt es einige beunruhigende längerfristige Trends, die auf die Kontrolle von Informationen zielen."

Vor 40 Jahren ahnte davon freilich noch niemand etwas: Alles begann damit, dass am 2. September 1969 rund 20 Leute in Kleinrocks Labor zusammenkamen, um mitzuverfolgen, wie durch ein etwa fünf Meter langes, graues Kabel zwischen zwei riesigen Rechnern sinnlose Testdaten hin und her wanderten. Es war der Beginn eines Netzwerkes, das den Namen Arpanet bekam. Das Forschungsinstitut der Universität Stanford kam einen Monat später hinzu, bis zum Jahresende folgten noch die Universität in Santa Barbara und die Universität von Utah.

Als in den 70er Jahren dann die Kommunikationstechniken für E-Mail und TCP/IP entwickelt wurden, konnten sich mehrere Netzwerke zusammenschließen und das Internet bilden. In den 80er Jahren wurden die Adress-Systeme mit Endungen wie .Com oder .Org entwickelt, die auch noch heute in Einsatz sind. Der Allgemeinheit wurde das Internet allerdings erst in den 90er Jahren ein Begriff. Da entwickelte der britische Physiker Tim Berners-Lee das World Wide Web, eine Unterform des Internets, die den Zugriff auf die verschiedensten Quellen im Internet einfacher machte. Anbieter wie America Online brachten dann zum ersten Mal Millionen Menschen ins Internet.

Lesen Sie auf Seite 2, warum das World Wide Web heutzutage kein wild blühender Garten mehr ist.

Innovationen durch Internetpornografie

Es war gerade die anfängliche Unbekanntheit, die Unklarheit, was diese Netzwerke eigentlich sind, was sie können und was mit ihnen möglich ist, die dem Internet zu seiner Blüte verhalfen. Es gab keine Vorschriften oder wirtschaftlichen Einschränkungen, die von den ersten Experimenten abgeschreckt oder sie gar verhindert hätten. "Für den größten Teil der Geschichte des Internets gilt, dass niemand je davon gehört hat", sagt Zittrain. "Damit hatte es Zeit zu zeigen, dass es funktioniert."

Selbst die US-Regierung, die den Großteil der frühen Entwicklung des Internets als Militärprojekt finanzierte, kümmerte sich kaum darum. So konnten die Techniker ihr Ideal eines offenen Netzes durchsetzen. Als Berners-Lee das World Wide Web entwickelte und es freigab, brauchte er niemanden um Erlaubnis zu fragen und musste sich auch nicht um Firewalls kümmern, die heute jede unbekannte Art des Internetverkehrs als verdächtig einstufen. Selbst die Verbreitung pornografischen Materials, die schon bald begann, erwies sich als innovationsfördernd - beispielsweise in Bezug auf Bezahlsysteme, die heute bei Videoübertragungen und anderen Techniken üblich sind.

Barrieren-Bauer

"Erlaube einen offenen Zugang und tausend Blumen werden blühen", sagt Kleinrock. "Im Internet wird man immer wieder von Programmen überrascht, die man nicht erwartet hätte." Doch die idealistische Sichtweise des Netz-Gründervaters erscheint zumindest heutzutage bisweilen nicht zutreffend. Der jüngste Konflikt zwischen Google und Apple zeigt beispielhaft, wie Barrieren entstehen. So erlaubt Apple - wie auch andere Hersteller - auf seinem iPhone nur explizit zugelassene Programme. Ein Google-Kommunikationsprogramm erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen offenbar nicht und wurde ausgeschlossen. Kritiker vermuten dahinter den Versuch, den rivalisierenden Telefondienst von Google vom iPhone und der exklusiven Vermarktung durch einzelne Telekom-Anbieter fernzuhalten. Auch versuchen einige Provider in den USA, ihren Kunden den Zugang zu File-Sharing-Diensten, die viel Bandbreite verbrauchen, zu erschweren. Diesem Vorgehen setzte die US-Kommunikationsbehörde (FCC) allerdings ein Ende.

Der Vorfall führte jedoch dazu, dass der Ruf nach einer gesetzlichen Gewährleistung einer "Netz-Neutralität" laut wurde. Zugangsprovider sollen nicht eine bestimmte Art des Datenverkehrs bevorzugen beziehungsweise ausschließen dürfen. Anderseits will wohl niemand mehr auf gewisse Kontrollen und Filter verzichten, die Spam-Mails aussortieren oder Hackerangriffe verhindern. Denn mit seinem Wachstum hat das Internet auch kriminelle Elemente angezogen, die das Netz für ihre Zwecke nutzen wollen. Der Abbau aller Schranken würde die Probleme wohl nur größer machen.

Das Internet steht vor der Herausforderung, berechtigte Barrieren aufzustellen bzw. aufrechtzuerhalten - aber nicht so groß werden zu lassen, dass Innovationen verhindert werden. Denn sonst werden wir wohl nie wissen, was wir eigentlich alles schon lange vermissen.

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