Internet:Wie dunkel ist das Darknet?

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In freien Staaten wird das Darknet öfter für illegale Aktivitäten genutzt als in unfreien, wollen Forscher herausgefunden haben.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Forscher wollen herausgefunden haben: In der freien Welt nutzen Menschen das Darknet eher, um an Drogen und Kinderpornografie zu gelangen, als in unterdrückerischen Regimen. Das lassen die Macher des anonymen Internets nicht auf sich sitzen.

Von Jannis Brühl

Zu den auffälligsten Eigenschaften der Dunkelheit gehört, dass man dort, wo sie herrscht, nichts sieht. Umso ambitionierter ist die Forschung von Sozialwissenschaftlern der Universitäten Virginia Tech und Skidmore (im US-Bundesstaat New York). Sie haben versucht zu erkennen, wie schlimm es im sogenannten Darknet zugeht. Das ist jener nur mit spezieller Software zugängliche Teil des Internets, der sich anonym besuchen lässt. Überwachung und Zensur durch staatliche Stellen sind dort fast unmöglich, weshalb die Technik Dissidenten wie Drogenhändler gleichermaßen anzieht.

Mit ihrer Studie wollen die Forscher nun ein weltweites Ungleichgewicht enthüllt haben: In freien Staaten nutzen demnach deutlich mehr Menschen Tor für Illegales - Drogen kaufen, Schadsoftware basteln, die Computer zerstört, oder Darstellungen von Kindesmissbrauch herunterladen. Untertanen unterdrückerischer Staaten taten das demnach in deutlich weniger Fällen. Die Entwickler des anonymen Teils des Internets lassen das nicht auf sich sitzen.

Zugang zum Darknet ermöglicht vor allem der Tor-Browser. Das Tor-Netzwerk besteht aus Tausenden Knotenpunkten in Computern von Idealisten. Über die werden Daten so oft geleitet, bis unklar ist, wo sie herkommen und wo sie hinwollen. Tor steht für "The Onion Router" - denn der Browser verschleiert die Identitäten der Nutzer wie in einer Zwiebel unter mehreren Schichten digitaler Verschlüsselung. Wenn Geheimdienstler alle Schichten entfernt haben, sollen sie nichts finden und dabei heulen.

An den Tor-Knotenpunkten griffen die Forscher 2018 und 2019 Daten ab, aus denen sich ableiten lässt, welche Seiten die Nutzer des Browsers ansteuerten. Grundsätzlich zeigt sich in der am Montag veröffentlichten Studie, dass 93 Prozent der erfassten Nutzer des Tor-Browsers ohnehin Webseiten im - vermeintlich - harmlosen "Clear Web" besuchen - jenem Netz, in dem der Mainstream surft. Dabei bleiben sie durch Tor anonym. In die wirklich dunklen Ecken des Darknet tauchten demnach vor allem Menschen im Westen ab. Hinter den Schichten der Zwiebel verbirgt sich im Westen demnach ein Ort des Schreckens. In unfreien Staaten trieben sich dagegen deutlich weniger Tor-Nutzer auf Seiten herum, auf denen Illegales angeboten wurde.

Internet: Zugang zum Darknet: In freien Staaten wird das Darknet von Menschen überwiegend für Illegales genutzt.

Zugang zum Darknet: In freien Staaten wird das Darknet von Menschen überwiegend für Illegales genutzt.

(Foto: Wikimedia Commons/The Tor Project)

Um den "Freiheitsgrad" eines Landes zu bestimmten, nutzten die Forscher den Index der Organisation Freedom House, die maßgeblich von den USA finanziert wird. Ihr Index bewertet unter anderem Wahlprozesse, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in einem Land. Fazit der Forscher: Die freien Staaten erlitten "überproportional viel Schaden" durch das Tor-Netzwerk.

Ist das Darknet, das eigentlich Rückzugsraum für die Unterdrückten dieser Erde sein soll, für dekadente Westler also nur ein Umschlagplatz für Kokain und Kinderpornografie? Die Macher des Tor-Browsers wehren sich vehement gegen diese Sichtweise. In einem Statement auf der Webseite Ars Technica werfen sie den Forschern vor, ihre "versteckten Dienste" als kriminell zu "dämonisieren". Tors "versteckte Dienste" - das sind jene Seiten, die jenseits des Clear Web liegen und deren Adressen auf ".onion" enden.

Die Studie hat einen Schwachpunkt, den die Forscher einräumen und der mit der Anonymität des Darknet zu tun hat. Sie können nicht belegen, dass die von ihnen erfassten Menschen tatsächlich Illegales tun. Sie schätzen nur. Wer die ".onion"-Seiten aufrufe, der suche mit höherer Wahrscheinlichkeit nach Illegalem, argumentieren sie in der Studie. Schließlich sei der Drogen-Schwarzmarkt im Darknet in den vergangenen Jahren stark gewachsen, und zumindest in einer Erhebung von 2015 hätten Surfende auf den verborgenen Seiten vor allem nach Kinderpornografie gesucht.

Die versteckten Dienste, argumentieren hingegen die Tor-Entwickler, seien nicht automatisch illegal. Auch Facebook, New York Times und Deutsche Welle böten ihre Seiten in diesem Format an, um auch in zensur- und überwachungsfreudigen Staaten risikofrei für Leser erreichbar zu sein. Auch sichere Mail-Dienstleister und Plattformen, denen Whistleblower Belege für Skandale zuspielen können, seien auf diese Weise erreichbar. Im Maschinenraum des Darknet fühlt man sich seit jeher missverstanden, und das obwohl etwa das Tor-Netzwerk von den USA gefördert wird. Es gilt vielen Fachleuten als gelungenes Beispiel demokratisch sinnvoller Technologieförderung.

Es gibt also Ärger, dabei hatten sich die Wissenschaftler in ihrem Fazit ganz versöhnlich gezeigt. Sie wollen vor einer politischen Gefahr warnen, die aus dem "Darknet-Dilemma" resultiert: Lassen Staaten das Darknet einfach weiterexistieren, werden dort weiter Darstellungen von Kindesmissbrauch verbreitet, mehr harte Drogen und Schusswaffen gedealt. Das Tor-Netzwerk abzuschalten würde allerdings Dissidenten und Menschenrechtler in undemokratischen Regimes daran hindern, sich zu informieren und abzusprechen.

Nach der Logik der Wissenschaftler tragen nun die Nutzer in freien Staaten die Kosten, die politischen Vorteile haben dafür jene in weniger freien Systemen. Die Infrastruktur von Tor wird aber vor allem in den USA und anderen freien Staaten betrieben. In der relativ hohen kriminellen Nutzung liegt nach Ansicht der Wissenschaftler ein Risiko. Denn sie könnte den Druck auf westliche Regierungen erhöhen, das Netzwerk dichtzumachen - auf Kosten eben jener Menschen, die in autoritäreren Staaten darauf angewiesen sind. Dann würde es in diesen Ländern wirklich dunkel werden.

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