Süddeutsche Zeitung

Cyber-Krieg zwischen arabischen und israelischen Hackern:Auge um Auge, Bit um Bit

Die eine Seite ruft zum "Cyber-Dschihad" auf, die andere will den "Cyber-Terror" bekämpfen: Seit Wochen bekriegen sich Hacker aus arabischen Ländern und Israel - und führen den Nahost-Konflikt auf dem Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts fort.

Peter Münch

Der Feind hinterlässt keine Spuren. Lautlos kommt der Angriff und unblutig, doch er ist furchteinflößend - und er schreit nach Vergeltung. Die Kämpfer in ihren stillen Kammern schwören sich gegenseitige Rache und Vernichtung, es ist ein neues Spiel nach alten Regeln: Auge um Auge, Bit um Bit.

Der ewige Nahost-Konflikt breitet sich nun auch auf dem Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts aus - es tobt ein Krieg im Internet. Mit fundamentaler Inbrunst rufen die Araber auf zum "Cyber-Dschihad", und die Israelis rüsten sich zur Abwehr des "Cyber-Terrors".

Eröffnet hat den Kampf ein mutmaßlich saudischer Hacker, der sich "0xOmar" nennt. Zu Jahresbeginn stellte er die Daten von 20 000 israelischen Kreditkarteninhabern ins Netz - Name, Nummer, Sicherheitscode und Ablaufdatum. Dies sei erst der Anfang, ließ er wissen, "ich will den Israelis in jeder erdenklichen Weise schaden, und ich werde sie schreien und leiden lassen." Großspurig kündigte er an, dass es unmöglich sei, ihn zu finden, und er rief alle muslimischen Hacker auf, "sich gegen Israel zu vereinen und sich einem Krieg anzuschließen".

Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne neue Schrecken. Zu Beginn diese Woche legte ein Hacker-Angriff die Webseiten der israelischen Fluggesellschaft El Al und der Tel Aviver Börse lahm, auch mehrere Banken wurden zum Ziel. Wer die Seiten der israelischen Anti-Drogen-Behörde aufrief, sah sich plötzlich konfrontiert mit Bildern palästinensischer Kämpfer vor dem Hintergrund der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee. "Tod für Israel" stand auf Hebräisch darunter geschrieben.

Cyber-Helden für die arabische Jugend

0xOmar meldete sich schließlich mit einer triumphierenden E-Mail bei israelischen Medien und gab bekannt, dass er sich mit einer pro-palästinensischen Hacker-Gruppe namens "Nightmare", Alptraum, zusammengeschlossen habe. Die Angriffe würden erst dann weniger werden, wenn Israel sich "für den Völkermord in Gaza" entschuldige.

Die arabische Jugend hat nun neue Helden, die sie in Netzforen hochleben lässt. Doch auch die alten Kräfte suchen den Schulterschluss. Vom Gaza-Streifen aus rief bereits die Hamas, die einheimische Blogger ansonsten gern mit dem Knüppel zum Schweigen bringt, die arabischen Massen an die elektronische Front. Und in Kuwait forderte ein populärer Imam namens Tarek Mohammed al-Suwaidan via Twitter den "Cyber-Dschihad gegen den zionistischen Feind". In diesem Heiligen Krieg, versprach er, sei "großer Lohn zu ernten, so Gott will". Es schwingt die Hoffnung mit, dass in der virtuellen Welt alles anders ist als im richtigen Leben, wo Israel mit seiner militärischen Übermacht, mit seinen Raketen und Drohnen und F-16- Bombern, die arabischen Nachbarn dominiert.

Israelische Hacker - das Imperium schlägt zurück

Kampfbereit haben sich die Israelis allerdings längst schon auch dieser neuen Herausforderung gestellt. Zeitungskolumnisten erinnern daran, dass der jüdische Staat zwar klein, aber eine "High-Tech-Supermacht" sei. Das Imperium schlägt zurück - zum Beispiel in Gestalt einer Hacker-Gruppe, die sich "IDF Team" nennt. IDF ist die englische Abkürzung für Israeli Defence Forces, die israelischen Streitkräfte, aber diese Hacker sind selbsternannte Soldaten, die aus Patriotismus in den Cyber-Krieg ziehen. "Unsere Rache wird machtvoller sein als ihre Angriffe", verkündete einer aus der Truppe, "sie haben uns den Krieg erklärt, aber wir sind besser gerüstet."

Angeschlossen haben sich ihnen sofort ein paar Gleichgesinnte, die sich "Anonymous 972" nennen, "Nuclear" oder "Hannibal, der Hacker". Letzterer gab in einer E-Mail an den israelischen Online-Dienst Ynet ein paar verschleierte Einblicke in seine Identität. "Ich bin sehr jung", teilte er mit, "und ich bin ein Jude, der irgendwo in der Welt lebt, nicht in Israel." Offenkundig ist es nicht das Selbstbewusstsein, das ihm fehlt: "Fürchte dich nicht, Israel, du bist in Händen des besten Hackers der Welt, und das bin ich", erklärte er und kündigte noch "ein paar gewaltige Überraschungen für die Araber" an.

Die ließen nicht lange auf sich warten. Hannibal, der damit prahlt, Zugriff auf 30 Millionen E-Mail-Adressen aus der gesamten arabischen Welt zu haben, stellte zunächst einmal eine Liste mit Namen und Passwörtern von 30 000 Facebook- Nutzern ins Netz. Die Gruppe Nuclear veröffentlichte die Details zu 4800 saudischen Kreditkarten, und das IDF-Team übernahm die Verantwortung für eine Hacker-Attacke auf die Webseiten der Börsen in der saudischen Hauptstadt Riad sowie in Abu Dhabi. Es folgte als direkte Vergeltung für den Angriff auf die israelische Anti-Drogen-Behörde Ende dieser Woche noch ein Cyberschlag gegen eine palästinensische Bank. "Wenn ihr nicht eure Angriffe einstellt", so drohen die israelischen Hacker, "dann werden wir eure Wirtschaft lahmlegen."

Israelische Regierung versucht einzugreifen

Die Schlacht hat eine solche Wucht entfaltet, dass sich die israelische Regierung zum Eingreifen genötigt sieht. Dan Meridor, der für alles Geheime zuständige Minister, schaltete sich ein mit einer ernsten Mahnung: "Angriffe von einzelnen israelischen Hackern auf Hacker aus Saudi-Arabien oder anderen Ländern sind ein untaugliches Mittel und sollten nicht im Namen Israels verübt werden", erklärte er.

Doch auch ihm ist klar, dass sich das Land zur Wehr setzen muss. Denn es sind ja längst nicht mehr nur die zornigen jungen Burschen, die sich mutmaßlich von ihren Kinderzimmern aus global in sensible Computernetzwerke hineinschleichen. Auch die Geheimdienste weltweit ziehen ihre Truppen zusammen auf diesem virtuellen Schlachtfeld. Ein Beleg dafür ist nicht zuletzt der Israel und den USA zugeschriebene Computerwurm Stuxnet, der dem iranischen Atomprogramm 2010 einen schmerzlichen Rückschlag bescherte.

Weltweit wird also aufgerüstet für den Cyber-Krieg. Die Jerusalem Post berichtete bereits Ende letzten Jahres von dem ehrgeizigen iranischen Vorhaben, mit einem Etat von einer Milliarde Dollar die Oberhand im Cyberspace zu gewinnen.

Doch auch Israel arbeitet an einer "Cyber Task Force" und hat bereits 300 junge Computer-Experten, zum Teil ohne Schulabschluss, für den Armeedienst rekrutiert. Denn auch wenn die Angriffe lautlos sind und ohne Blutvergießen, so sagte es nun eine Abgeordnete in der Knesset, könnten sie "bedrohlicher sein als jede Rakete".

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Quelle:
SZ vom 21.01.2012/kiha
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