"Counter-Strike"-Weltmeisterschaft in Köln:Mausklicks in Stadionatmosphäre

Computerspiel-Turnier in Köln

Tausende Zuschauer verfolgen in der Lanxess-Arena in Köln das Counter-Strike-Turnier der Electronic Sports League (ESL).

(Foto: Marius Becker/dpa)

12 000 Fans, 100 000 Dollar Preisgeld: Das Computerspiel-Turnier "ESL One" in Köln zeigt, dass "Counter-Strike" so fesselnd wie ein Fußballspiel sein kann - Heldentaten von Mausklick-Ronaldos inklusive.

Von Matthias Huber, Köln

In seiner ungläubigen Verzweiflung sieht er aus wie ein Hase. Ein übergroßer, bunt angemalter Hase mit Brille und knallroten Ohren. Der Fan der polnischen Mannschaft "Virtus Pro" hat sich die aufblasbaren Klatsch-Stäbe, die einer der Sponsoren im Publikum verteilt hat, an die Wangen gepresst. Einen links, einen rechts. Diese Hasenohren wackeln mit, während er den Kopf schüttelt, vor sich hin murmelt. Sein Team hatte den Sieg doch schon in der Tasche, hatte den ersten von maximal drei Sätzen gegen das schwedische Favoritenteam von "Fnatic" schon gewonnen, und im zweiten schon 8:1 geführt. Jetzt steht es 14:14, nicht einmal drei Minuten später hat Fnatic die nötigen 16 Punkte für den Gewinn des zweiten Satzes zusammen. Der dritte geht dann ganz schnell.

Zwischen "Fnatic" und "Virtus Pro" geht es um einen Platz im Finale des "ESL One Cologne", der Weltmeisterschaft im Computerspiel "Counter-Strike: Global Offensive". 100 000 Dollar nimmt das Siegerteam mit nach Hause, der Zweitplatzierte 50 000. Fast 12 000 Zuschauer sind am Samstag und Sonntag jeweils in die Lanxess-Arena gekommen. Hier spielen sonst die Kölner Haie Eishockey, hier feiern die Bläck Fööss Silvester, hier treten sonst Madonna, Mario Barth oder die Reste von Take That auf.

12 000 Zuschauer in der Arena, 1,5 Millionen übers Internet

Kameras filmen die E-Sportler, die gewaltigen Bühnen, das feiernde Publikum. Zwei Groß-Leinwände zeigen das von drei Kommentatoren live erklärte Spielgeschehen oder in den Pausen die Match-Analysen einer vierköpfigen Expertenrunde. Die Live-Übertragung des E-Sport-Turniers sehen auf der Videostreaming-Plattform Twitch gleichzeitig fast 1,5 Millionen Menschen. All der Trubel um ein paar Mausklicks?

Das Spiel "Counter-Strike: Global Offensive" ist schnell erklärt: Zwei Teams treten gegeneinander an, fünf Soldaten gegen fünf Attentäter, blau gegen gelb. Die Attentäter versuchen, eine Bombe zu platzieren und 35 Sekunden lang zu verteidigen, die Soldaten müssen alle Attentäter zur Strecke bringen. Eine Runde dauert maximal zwei Minuten oder so lange, bis von einem Team niemand mehr übrig ist. Je besser eine Mannschaft abgeschnitten hat, umso mehr virtuelles Geld hat sie für die nächste Runde zur Verfügung, kann davon Waffen und Ausrüstung wie Rauchgranaten und Molotowcocktails kaufen. Eine Niederlagenserie sorgt also schon mal dafür, dass ein Team nur mit ein paar Pistolen ins Rennen geht, um Geld zu sparen.

Umso bemerkenswerter ist es, was Fnatic an diesem Wochenende gleich mehrmals gelungen ist: Das Halbfinale gegen Virtus Pro gewinnen sie nach haushohem Rückstand, sehr zur Enttäuschung des polnischen Fanblocks, dessen Mitglieder sich das Logo ihres Teams - einen grimmig dreinblickenden Eisbären - auf den Oberkörper gemalt haben. Und auch im Finale erwischte Fnatic einen beinahe aussichtslosen Fehlstart, ehe die Schweden ihrer Favoritenrolle gerecht werden. Und jetzt: Weltmeister in einem Computerspiel, das vor wenigen Jahren noch als "Killerspiel" verschrien war.

Raum für kleine und große Heldentaten

Dabei hat das, was der Zuschauer davon zu sehen bekommt, nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung noch diesen Ruch des brutalen, verrohenden Militär-Geballers. Stattdessen muss man sich ein Counter-Strike-Match mit all seinen taktischen Feinheiten eher wie ein Fußballspiel vorstellen, das nur aus den Perspektiven der einzelnen Spieler gefilmt wird. Die Regie wählt ständig aus, durch wessen Augen die Kamera jetzt blickt: Die des Stürmers, der gerade kurz davor ist, den entscheidenden Punkt zu machen? Die des Mittelfeldspielers, der versucht, Lücken in der Strategie des Gegners auszumachen und seine Mitspieler auf entsprechende Positionen zu schicken? Oder die des Verteidigers, der drei mögliche Angriffswege gleichzeitig überwachen muss? Es ist die Übertragung eines Mannschaftssports, ohne jemals das ganze Spielfeld zu zeigen.

Computerspiel-Turnier in Köln

Zuschauer beim Counter-Strike-Turnier: Gaming, so spannend wie ein Fußballmatch.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Um das Publikum mit den vielen Perspektivwechseln nicht zu überfordern, sieht es auf den Leinwänden mehr als jeder einzelne Spieler: Alle Figuren sind schon von weitem an ihren gelben oder blauen Silhouetten zu erkennen, durch den dichten Nebel einer Rauchgranate ebenso wie durch dicke Betonwände. Auf einer Übersichtskarte sind die aktuellen Positionen aller Spieler vermerkt, Listen am Bildschirmrand informieren über den Punktestand und die Ausrüstung aller Gegner, die noch nicht ausgeschieden sind. Das Spiel mag in Bilder von Militäruniformen und Nachbildungen realer Schusswaffen gekleidet sein, aber das ist es nicht, was Spieler und Zuschauer fasziniert. Es sind die komplizierten Strategien und die blitzschnell wechselnde Dynamik, die Raum für kleine und große Heldentaten bieten, wie sie im Fußball Größen wie Ronaldo oder Messi vorbehalten sind.

Klick. Treffer. Zwei Sekunden vor Ablauf der Zeit.

In Counter-Strike-Team von Fnatic heißt ein solcher Held "Flusha", mit bürgerlichem Namen Robin Rönnquist. Immer wieder ist er es, der schon verloren geglaubte Runden rettet, auch mal allein eine Übermacht von drei Gegnern besiegt. "Ich spiele gerne alleine dort, wo auch immer ich gerade gebraucht werde", beschreibt er seine Rolle im Team. Weil er in diesen aussichtslosen Situationen so zuverlässig trifft, warfen ihm Anfang des Jahres manche Gegner vor, er würde "cheaten", also mit unerlaubten Hilfsprogrammen betrügen. Bestätigt haben sich diese Anschuldigungen bislang nicht. Er selbst sagt, dass er seine Maus "ungewöhnlich oft anhebt", wodurch manchmal ruckartige Bewegungen auf dem Bildschirm entstehen, die wie eine Zielhilfe aussehen können. Flusha gilt als einer der besten Counter-Strike-Spieler der Welt.

Dem Virtus-Pro-Fan mit den unfreiwilligen Hasenohren steht deshalb am Sonntag noch ein frustreicher Abend bevor. Mit der Halbfinal-Niederlage seines Teams hat er sich abgefunden und offenbar beschlossen, jetzt die Finalgegner von Fnatic, ein französisches Team namens "EnVyUs", mit Klatschen, Trommeln und gröhlendem Gesang zu unterstützen. Sein trotziger Enthusiasmus scheint sich zu lohnen: Den Spielern von EnVyUs gelingt es immer wieder, die Aufstellung von Fnatic zu stören und einzelne Gegner von ihrem Team zu isolieren, um sie aus dem Rennen zu nehmen. Es steht 14:6, und schon wieder ist von Fnatic nur noch Flusha am Leben, bereits verwundet. Vorsichtig schleicht er um eine Hausecke. Nur noch 15 Sekunden zu spielen.

Ein paar Pixel eines Gegners ragen hinter einer Kiste hervor, ein Klick, ein Schuss, ein Treffer. Noch zehn Sekunden. Flusha tastet sich weiter voran, umrundet einen steinernen Brunnen. Dahinter, für ihn unsichtbar, eine gelbe Silhouette, geduckt. Sechs Sekunden. Flusha dreht sich von seinem Gegner weg, ihm den Rücken zu, bewegt sich in seine Schusslinie. Vier Sekunden. Sucht die Umgebung ab, dreht sich hektisch in alle Richtungen, endlich auch in die Richtige. Klick. Treffer. "Fnatic gewinnt die Runde", steht auf der Leinwand. Zwei Sekunden vor Ablauf der Zeit. Der Fan vergräbt sein Gesicht wieder in den Hasenohren. Am Ende gewinnt Fnatic den ersten Satz mit 19:15. Der zweite Satz geht dann ganz schnell.

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