Süddeutsche Zeitung

Robert-Koch-Institut:Warum die Telekom Bewegungsdaten von Handynutzern weitergibt

  • Die Deutsche Telekom stellt dem Robert-Koch-Institut Bewegungsdaten von Handynutzern zu Verfügung, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen.
  • Die Daten sind angeblich anonymisiert und lassen keinen Rückschluss auf einzelne Nutzer zu.
  • Im Kampf gegen das Coronavirus leidet die Privatsphäre: Einige Länder greifen auf detaillierte Standortdaten zu.
  • Auch in Deutschland plant das RKI eine App für individuelle Daten.

Von Markus Balser und Simon Hurtz, Berlin

Die Appelle an die Deutschen, zu Hause zu bleiben, wurden in den vergangenen Tagen immer drängender. Am Mittwoch warnte auch das Robert-Koch-Institut die Bürger eindringlich: "Wenn die Menschen sich weiterhin so mobil verhalten, dann wird es schwer, das Virus einzudämmen", sagte RKI-Chef Lothar Wieler. Ab sofort will das Institut nun auf ganz neuem Weg überwachen, ob die Deutschen sich an die Mahnung halten. Das Institut greift auf Handydaten zurück, um die Mobilität der Bürger zu kontrollieren.

Die Forscher können mit den Informationen der 46 Millionen Mobilfunkkunden Bewegungsströme abbilden, um so auch Prognosen über die Ausbreitung von Covid-19 zu berechnen, sagte eine Telekom-Sprecherin. Die Informationen ließen sich auf Bundesländer und die Kreisebene herunterbrechen.

Am Dienstagabend hatte die Telekom dem RKI erstmals Daten zur Verfügung gestellt. "Aussagen zu Aufenthaltsorten oder Bewegungsspuren einzelner Mobilfunknutzer, also das individuelle Tracking von Infizierten, sind dabei nicht möglich", sagt die Sprecherin. Daten zu konkreten Kunden gebe man nur nach richterlicher Anordnung preis.

Das fünf Gigabyte große Paket enthält anonymisierte Massendaten. Die seien technisch ungeeignet, um einzelne Infizierte zu verfolgen. Außerdem sei das rechtlich nicht zulässig, sagt die Sprecherin. "Unser Mobilfunknetz ist ein Kommunikationsnetz, kein Überwachungsnetz." Funkzellenabfragen zu einzelnen Infizierten ergäben keinen Sinn. Zum einen müssten alle Mobilfunknummern in der Funkzelle ausfindig gemacht werden, was einen doppelten Datenschutzbruch darstelle. Zum anderen seien Funkzellen viel zu groß, um exakte Aussagen zu engen Kontakten zu treffen.

Die Telekom vermarktet solche anonymisierten Datenpakete bereits seit Jahren über ihre Tochter Motionlogic. Eine RKI-Sprecherin sagt, dass das Institut solche Daten für ein älteres Projekt in Berlin vor einigen Jahren gekauft habe. Nun habe das RKI die Gesamtdaten für Deutschland kostenlos erhalten.

Bundesdatenschutzbeauftragter hält Weitergabe für unbedenklich

Auch das RKI betont mehrfach, dass es sich um anonymisierte Populationsdaten handle. "Das ist ein ganz wichtiger Unterschied", sagt die Sprecherin. "In diesen Daten steht etwa, wie viele Personen sich an einem Wochentag zwischen Kreuzberg und Schönberg bewegen. Genauso wenig wie man eine infizierte Person aus den Fallzahlen in einem Landkreis identifizieren kann, könnte man aus den Verkehrsstromdaten einzelne Individuen identifizieren."

Die Weitergabe der Daten sei "in der gewählten Form datenschutzrechtlich unbedenklich", sagt auch der Bundesdatenschutzbeauftrage Ulrich Kelber. Es würden mindestens 30 Datensätze zusammengefasst, um eine nachträgliche Re-Personalisierung zu erschweren. "Vor allem unter den aktuellen Umständen spricht nichts gegen die Weitergabe dieser Daten zum Zweck des Gesundheitsschutzes", sagt Kelber.

Ob weitere große deutsche Mobilfunkanbieter Daten weitergeben, ist nicht bekannt. Das RKI ging auf die Frage nicht ein. Telefónica sagte, es läge bislang keine derartige Anfrage von Behörden oder Instituten vor und teilte mit: "Wir sind in diesem Zusammengang gerne zu Gesprächen bereit, um mittels solcher Analysen bei der Eindämmung des Coronavirus zu unterstützen." Vodafone hat bislang nicht reagiert.

China und Israel greifen auf GPS-Daten zu

Inzwischen wollen Regierungen vielerorts, dass Gesundheitsbehörden und Forschungsinstitute auf Standortdaten von Handynutzern zugreifen, um zu verhindern, dass sich Covid-19 weiter ausbreitet. Einige ordnen dabei den Datenschutz dem Gesundheitsschutz unter. Teils greifen die Maßnahmen tief in die Privatsphäre der Bürger ein.

"Ich sehe, dass in anderen Staaten während der Corona-Pandemie der Datenschutz teilweise vernachlässigt wird", sagt Kelber. China und Israel greifen etwa auf GPS-Daten einzelner Nutzer zu, die eine präzise und lückenlose Überwachung ermöglichen. Bislang wurden diese sensiblen Informationen nur vom israelischen Geheimdienst genutzt, um Terroranschläge zu verhindern. Jetzt will Israel Personen warnen, die Kontakt mit Infizierten hatten, und die Einhaltung der Quarantäne überprüfen. Italien und Belgien diskutieren ähnliche Maßnahmen.

Tech-Konzerne sollen mit Daten helfen

In den USA sollen die großen Tech-Konzerne ihren Datenschatz öffnen, um Covid-19 zu stoppen. Wie die Washington Post berichtete, ist die US-Regierung an Facebook, Google und weitere Unternehmen herangetreten, um gemeinsam daran zu arbeiten, die Daten für den Kampf gegen die Pandemie einzusetzen.

Ein Google-Sprecher bestätigt den Bericht und sagt, es handle sich ausschließlich um anonymisierten Massendaten, wie sie etwa Google Maps in Form von Wartezeiten und Verkehrsdaten bereits jetzt öffentlich anzeige. Die Gespräche seien in einem frühen Stadium, die Weitergabe von individuellen Standortdaten schließe man aus. Derzeit gebe es in Deutschland keine derartigen Pläne.

Facebook teilt mit, dass es sich um Information handle, die das Unternehmen seit 2019 in Form der sogenannten "Disease Prevention Maps" darstelle. Gesundheitsorganisationen haben etwa während des Cholera-Ausbruchs in Mosambik darauf zugegriffen. "Im Kontext des Coronavirus' können Forscher und NGOs diese Karten nutzen", sagt Facebook-Managerin Laura McGorman. "Die aggregierten und anonymisierten Daten, die Nutzer freiwillig zu Verfügung stellen, können helfen, das Virus zu verstehen und seine Ausbreitung zu verhindern."

RKI plant eine App für deutsche Nutzer

In Deutschland gibt sich das Robert-Koch-Institut nicht mit den Daten der Telekom zufrieden. Man arbeite an einer App, um auch personalisierte Handydaten auszuwerten, sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Dabei ist auch der Bundesdatenschutzbeauftragte involviert: "Wir stehen im Kontakt mit dem Robert-Koch-Institut, um diese Entwicklung datenschutzrechtlich zu beraten", sagt Kelber. Bislang ist nicht bekannt, wie genau diese App technisch funktionieren könnte, und auf welche Daten sie zugreifen soll.

Zumindest dürfte die Entwicklung in Deutschland beim RKI in besseren Händen sein als ein israelisches Pendant: Dort berichtet Bloomberg, dass die NSO Group eine Überwachungs-App anbieten, die Standortdaten sammeln soll. Das Unternehmen stellt sonst Spyware her und soll unter anderem geholfen haben Menschenrechtsaktivisten, Dissidenten und Journalisten auszuspionieren.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2020/sih
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