Anti-Corona-Apps:EU-Kommission will sich lieber nicht festlegen

Corona-App: Mann zeigt eine Tracing-App in Norwegen

In Norwegen ist man schon weiter. Dort veröffentlichte die Gesundheitsbehörde bereits eine Tracing App.

(Foto: AFP)

Auch in Brüssel diskutiert man über Apps, die bei der Ein­dämmung der Pandemie helfen sollen. So, wie die Debatte geführt wird, könnte sie deren Erfolg aber gefährden.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Hier drüben in Brüssel schaut man derzeit halb sorgenvoll, halb neidisch auf das Nachbarland im Osten. Während die ersten deutschen Bundesländer die Beschränkungen lockern, die sie im Zuge der Corona-Pandemie eingeführt haben, tut sich in Belgien praktisch nichts dergleichen; lediglich Baumärkte und Gartencenter haben seit neuestem wieder geöffnet. Dazu muss man wissen: Gartencenter sind sehr, sehr wichtig für Belgier. Erst an diesem Dienstag verbreitete die französischsprachige Tageszeitung Le Soir per Push-Mitteilung einen Artikel zu der Frage: "Ist es im April schon zu spät, seinen Garten zu bepflanzen?"

Größer noch als die Sorge um den Gedeih der Blumenzwiebeln sind aber auch hier die Sorgen um das Coronavirus. Rausgehen ohne Einschränkungen, das ist wohl erst dann wieder möglich, wenn es gelingt, Ansteckungswege einigermaßen zuverlässig nachzuvollziehen. Darum sind mehrere Länder dabei, entsprechende Apps zu entwickeln.

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Wie schon bei den Grenzschließungen oder den Exportbeschränkungen für Schutzausrüstung sieht sich die EU-Kommission bei diesem Thema erneut in der Rolle der obersten europäischen Reaktionsbehörde, die sich erst in Bewegung setzt, wenn sie merkt, dass die Mitgliedstaaten dies auch tun - was daran liegt, dass den Mitgliedsländern das Wohl der eigenen Bevölkerung näher liegt, als die Absprache miteinander. Oft liegen die entsprechenden Kompetenzen auch schlicht bei den Ländern.

Beim Datenschutz aber hat die EU einige Autorität, schon weil sie mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) den Rahmen vorgegeben hat, den solche Apps erfüllen müssen. Darum hat die EU-Kommission am vergangenen Freitag eine Empfehlung vorgelegt, wie solche Apps gestaltet sein müssen, um den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung zu genügen.

Über genau diese Frage aber ist ein Streit entbrannt; nicht nur, aber vor allem auch im für Datenschutzdebatten besonders empfänglichen Deutschland. Stark vereinfacht geht es dabei um die Frage, wie viele der für das Funktionieren dieser Apps benötigten Daten sinnvollerweise auf einem zentralen Server hinterlegt sein sollten. Viele Datenschützer sagen: möglichst wenig! Ausgerechnet die Bundesregierung - aber zum Beispiel auch Frankreich - scheint eher für eine Variante zu sein, bei der ein Teil der Daten auf einem zentralen Server liegen soll. Andere Mitgliedstaaten wie Spanien sehen das kritisch. Und erst am Montag veröffentlichten mehr als 200 Forscher aus 26 Ländern eine Warnung vor Lösungen, die schleichend zu einer Überwachung der Gesellschaft führen könnten.

Keine klare Empfehlung der Kommission

Wer Berichte über den Streit liest, ohne sich im Detail mit dem Thema zu befassen, bei dem bleibt im Zweifel vor allem hängen: Irgendwas ist da offenbar faul; besser, ich lade mir so eine App gar nicht erst runter. Das aber ist ein Problem: Denn wenn es nicht gelingt, einen großen Teil der Bevölkerung - Experten nennen stets die Zahl von 60 Prozent - freiwillig zum Mitmachen zu überreden, steht der Erfolg des ganzen Unterfangens auf dem Spiel.

Die EU-Kommission aber äußert sich dazu wohlwollend gesagt zumindest uneindeutig. In den Leitlinien zum Datenschutz, die sie am vergangenen Freitag veröffentlichte, werden sowohl Apps mit zentraler Speicherung, als auch die mit einer sogenannten "Back-End-Lösung" als Optionen genannt; ein Sprecher bekräftigte am Dienstag ebenfalls, beide Varianten seien denkbar: "Wir haben keinen bevorzugten Ansatz." Aus Effizienz-Sicht leuchtet die Antwort ein: Wenn sich erst alle EU-Länder auf ein gemeinsames Modell einigen sollten, würde der ganze Prozess länger dauern; und Schnelligkeit ist ein wichtiger Faktor, auch wenn die Christdemokraten im EU-Parlament dazu aufrufen, eine "einzige europäische App" zu entwickeln.

Gleichzeitig enthält das Papier aber sehr wohl eine klare Empfehlung, und zwar gleich im nächsten Satz: "Die dezentrale Lösung entspricht eher dem Grundsatz der Datenminimierung." Nun ist aber jene Datenminimierung eine der zentralen Vorgaben der DSGVO. Er besagt, dass personenbezogene Daten nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn diese "dem Zweck angemessen, erheblich und auf das notwendige Maß beschränkt sind", wie die Juristen sagen.

Was "angemessen" ist für einen Zweck, kann man allerdings nur dann bestimmen, wenn man weiß, was dieser Zweck überhaupt sein soll, was also mit den Daten passieren soll. Denkbar wäre ja, dass die Apps nicht nur den Nutzer darüber informieren, dass er einem Infizierten zu nahe gekommen ist. Sondern zum Beispiel auch automatisch eine Krankschreibung schicken, oder den Gesundheitsbehörden weitere Risikoberechnungen ermöglichen. Mancher Mitgliedstaat - und auch mancher Bürger - würde das sicher praktisch finden.

Das aber ist eine Debatte, die bislang kaum geführt wird - und auch das ist eine Gefahr für den Erfolg der Apps, auf die so viele Europäer nun ihre Hoffnungen setzen. "Wenn es bei den Tracing-Apps um mehr geht, als nur Kontakte nachzuvollziehen, dann muss man das offen kommunizieren", kritisiert die grüne Europaabgeordnete Alexandra Geese. "Dann könnte man diskutieren: Wollen wir das, oder wollen wir das nicht? So führt das unklare Verhalten von Kommission und Bundesregierung dazu, dass das Vertrauen in die Apps sinkt." Solange diese Fragen nicht geklärt sind, sei das umso mehr ein Grund, möglichst wenig Daten zentral zu speichern.

Anders als in Kommission und den Mitgliedstaaten hat man sich im Parlament per Resolution denn auch längst entschieden: für eine dezentrale Lösung.

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