Computerspiele:Virtuelle Weiblichkeit

In Deutschlands meistverkauften Computerspielen wird nicht geballert, sondern gesiedelt. Den Erfolg der "Siedler"-Reihe bei der weiblichen Zielgruppe will Hersteller Ubisoft ausbauen - am Ergebnis hätte auch Eva Herman ihre Freude.

Christian Wölbert

Das in den Medien mit Abstand am häufigsten zitierte Computerspiel heißt "Counter-Strike". Aufgabe des Spielers: Terroristen töten. Doch die hierzulande erfolgreichsten Spiele, die "Anno"- und die "Siedler"-Reihe, setzen andere Schwerpunkte: Bäume fällen, Fische fangen, Weizen ernten, Häuser und Straßen bauen. Kurz: ein Stück Wiese in eine blühende Stadt verwandeln. Und dafür sorgen, dass es den Einwohnern nicht an Brot, Kleidung oder Tabak mangelt. Die auch international erfolgreichen Spiele werden in Deutschland entwickelt. Das Anno-Studio Related Designs sitzt in Mainz, Siedler-Entwickler Blue Byte in Düsseldorf. Beide gehören mittlerweile zum Spielekonzern Ubisoft.

Pazifismus auf den Schirmen deutscher Zocker? Endlich der Beweis, dass wir ein friedliebendes Völkchen sind? Nein, denn ohne Kanonendonner kommen auch Aufbauspiele nicht aus. Die prosperierenden Städte wollen gegen Piraten und Neider verteidigt werden, auch Angreifen ist möglich. Außerdem: "Nicht nur Aufbauspiele, auch Ego-Shooter und Fußballsimulationen verkaufen sich in Deutschland sehr gut", weiß Odile Limpach, Studioleiterin von Blue Byte.

Ohne Rüttel-Schüttel-Drücker am Nintendo

Dass Computerspiele den Sprung aus der Schmuddelecke längst geschafft haben, beweisen die beiden deutschen Erfolgsproduktionen aber allemal. In der Altersgruppe der Über-Dreißigjährigen haben 35 Prozent einen der bisher fünf Siedler-Titel gespielt. Ein Drittel der Kundschaft ist weiblich. Und das ohne Rüttel-Schüttel-Drücker an der Nintendokiste, und auch ohne auf Familien zugeschnittene Marketingoffensive.

Mit ihrem Erfolg bei den weiblichen Spielern sind Siedler und Anno dort angekommen, wo die internationalen Spielemultis noch hinwollen. Und zwar lange vor den heute allgegenwärtigen Slogans von Casual Games für die ganze Familie. "Siedler passt in keine Schublade: Es ist kein Casual Game, aber auch kein Hardcorespiel. Es liegt genau in der Mitte", betont Odile Limpach.

Virtuelle Weiblichkeit

Diesen Vorsprung will Limpach mit der sechsten Siedler-Auflage, die am 28. September erscheint, weiter ausbauen. "Beim neuen Siedler-Spiel haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, besonders die weiblichen Fans zufriedenzustellen." Im Gegensatz zur letzten Siedler-Version spiele die militärische Komponente wieder eine geringere Rolle. "Darauf habe ich besonderen Wert gelegt. Vielleicht kommt darin meine weibliche Seite zum Ausdruck", sagt Limpach. Das bedeute aber nicht, dass Frauen nicht gerne kämpfen würden - nur, dass sie am liebsten zu den Waffen greifen, um etwas zu verteidigen.

Als "Aquarium-Effekt" bezeichnet Blue Byte den Detailreichtum des Spiels, der besonders die weiblichen Spieler begeistert - und der beim neuen Siedler erneut auf die Spitze getrieben wird: "Der Spieler taucht tief in die Spielwelt ein. Er kann sich Zeit für die Details nehmen und auch nach Wochen wird er immer wieder neue Animationen entdecken. Mal fegt der Bäcker vor seinem Haus, mal schüttelt seine Frau die Bettdecken, mal vom Balkon das Putzwasser aus."

Sogar vor der Verpflichtung von Annett Louisan als Werbepartnerin für "Die Siedler für Nintendo DS" schreckt Ubisoft nicht zurück. "Die Siedler sind wirklich so süß und knuddelig und es gibt immer was zu sehen", flötet die Sängerin über die Unterwegsversion des Spiels. Soviel Anbiederung ans seichte Gedaddel dürfte echten Siedler-Fans - ob männlich oder weiblich - dann doch zu weit gehen.

Eva Herman hätte ihre Freude an den Siedlerinnen

Die wichtigste Neuerung im sechsten Siedler: Erstmals besteht das wuselnde Pixelvolk nicht mehr nur aus Männlein. Siedlerinnen bevölkern nun die virtuellen Städte. Ihre Rolle im Spiel fällt eher traditionell aus: Sie tanzen auf Festen, ansonsten bleiben sie zu Hause. Dort sorgen sie durch ihre Putz- und Kochkraft dafür, dass der Mann effektiver Holz hacken kann - Eva Herman hätte ihre Freude dran.

Ob die Siedler-Spielerinnen den Entwicklern dieses Klischee vom Heimchen am Herd übelnehmen, bleibt abzuwarten. Verteidigen dürfen die Entwickler sich mit dem Hinweis, dass das Spiel nun mal im Mittelalter stattfindet. Doch an anderer Stelle nimmt man es mit der Geschichtstreue weniger genau: Neben vier Haudegen gibt es nun erstmals zwei Ritterinnen ("Alandra" und "Kestral"), die der Spieler durch die Missionen steuern darf.

Wenn schon Ritterinnen, warum keine Bäckerinnen und Schneiderinnnen? Die Idee von der Emanzipation nicht nur vor dem Bildschirm, sondern auch in der virtuellen Welt selbst, hat Blue Byte im neuen Siedler nicht konsequent zu Ende gedacht, obwohl es als erstes deutsches Spiel unter der Leitung einer Frau entstand.

Aber vielleicht muss Ubisoft gar nicht so viel am Konzept ändern. Schon die rein männlichen Anfänge der Saga - der erste Teil erschien 1993 - waren beim weiblichen Publikum überdurchschnittlich erfolgreich.

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