Computerspiele:Ich & Ich

Computerspieler wollen ihr ödes Leben hinter sich lassen und flüchten sich in exzentrische virtuelle Avatare. Soweit das Klischee. Wie es wirklich ist, fanden Forscher der Hamburg Media School heraus.

Maria Huber

Sie heißen kryptisch MMORPG und faszinieren Tausende Spieler - die Massively Multiplayer Online Role-Playing Game, auf Deutsch: Online-Rollenspiele für mehr als einen Mitspieler. Millionen Avatare bevölkern beispielsweise den Bestseller des Genres, World of Warcraft. Auch das zweite Leben, Second Life, passt in diese Kategorie - auch wenn dort inzwischen mehr Karteileichen als Avatare die virtuelle Welt bevölkern.

Avatare, dpa

Besser als im Leben? Menschen, die mit ihrem Alltag unzufrieden sind, schaffen sich Avatare, die ihnen nicht ähneln.

(Foto: Screenshot: WoW)

Doch nach welchen Kriterien schaffen sich Computerspieler ihren Avatar? Wie viel Ego steckt in der virtuellen Persönlichkeit? Eine Studie der Hamburg Media School hat Erstaunliches über die Ursachen der virtuellen Personlichkeitsformung herausgefunden: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Ich beeinflusst maßgeblich das Wesen des Alter Ego im Computerspiel.

Die Forscher haben insgesamt 666 Studenten und Leser einer Games-Zeitschrift gebeten, einen Avatar zu erstellen - für ein Online-Rollenspiel oder ein konventionelles Computerspiel. Danach mussten sie verschiedene Fragen zur Zufriedenheit mit ihrem Leben beantworten.

Dabei kam heraus: Wer glücklich ist, schafft einen Avatar, der ihm ähnelt, wer unzufrieden ist, benutzt seinen Avatar als Ego-Stütze. "Diese Probanden statten ihre Avatare mit den Eigenschaften aus, die sie an sich selbst vermissen", sagt Leonard Reinecke, ein Projektleiter der Studie.

Sims-Avatare ähneln den Spielern sehr

Auf die Idee zu dieser Studie kamen Reinecke und seine Kollegen, weil sie herausfinden wollten, was tatsächlich hinter den virtuellen Alter-Egos steckt. "Avatare sind wichtig, weil sie die Schnittstelle zwischen Spiel und Spieler sind", sagt Reinecke. Die Frage war, wieweit die realen Lebensumstände die Kunstfigur beeinflussen.

Doch die persönliche Zufriedenheit ist nicht der einzige Faktor, der die Avatarwerdung beeinflusst. Die Forscher fanden auch heraus, dass das Spiel Auswirkungen auf die virtuellen Charaktere hat. Der Realität entlehnte Spiele wie Sims oder Second Life sorgen dafür, dass die Avatare den Testpersonen sehr ähneln, während beispielsweise die Spieler in World of Warcraft auch Charaktere erschaffen, die wenig mit der realen Person zu tun haben.

Auf der nächsten Seite: Warum es Fieslinge in Rollenspielen gibt.

Ich & Ich

"Du sollst rücksichtslos sein!"

Grund dafür ist nicht nur, dass es in Realitas eher wenig Hexen, Elfen und Druiden gibt, sondern dass man sich beispielsweise bei Second Life stärker mit dem Avatar identifiziern muss. Eigenschaften wie Offenheit und Einfühlungsvermögen sind da sehr gefragt. "Durchsetzungskraft und Rücksichtslosigkeit sind dagegen die Merkmale, die Avatare für Wettbewerbsspiele wie GTA: San Andreas bekamen, damit sie den Anforderungen des Spiels gewachsen sind", erklärt der Psychologe. Da will man also mit seinem anderen Ego weniger einen guten Eindruck machen, als die Chancen für den Sieg zu erhöhen.

Besonders bei den unzufriedenen Spielern ist die Fluchtfunktion also sehr ausgeprägt: Mit ihrem Avatar, der besser ist als sie selbst, können sie ihren Unzulänglichkeiten im Alltag entfliehen, während zufriedene Spieler mit ihrem Doppelgänger die eigene Perfektion feiern. Warum es dennoch in Spielen wie Sims oder Second Life gemeine Typen gibt, kann die Studie nicht klären. Vermutlich sind es Fieslinge, die mit ihrem Fieslings-Leben rundum zufrieden sind.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: