Computerspiele-Erfinder:"Für schlechte Noten nicht verantwortlich"

Die Geister, die diese Männer riefen, wird die Welt nicht mehr los: Ein Gespräch mit den Urvätern des Computerspiels, Ralph Baer und Alexej Paschitnow.

J. Boie

Der eine kommt im Tetris-T-Shirt, der andere hat sein Notebook unterm Arm. Alexej Paschitnow, 53, und Ralph Baer, 87, sind der Beweis dafür, dass man auch viermal älter sein kann als durchschnittliche Computerfreaks - und trotzdem ein echter Nerd. Vor allem aber sind Baer und Paschitnow Pioniere der Computerspiele-Industrie. Der Russe Paschitnow erfand 1984 das weltberühmte Spiel Tetris, Baer hat 1972 die erste Spielekonsole der Welt, die Magnavox Odyssey, entwickelt. An seiner Brust trägt er die National Medal of Technology, die ihm George W. Bush einst verlieh. Die Herren sind in Köln zu Besuch, wo Baer Paschitnow mit dem Lara-Award, einer Auszeichnung deutscher Spielemagazine, ehrt. Kaum ist die Tür geschlossen, fangen die beiden Herren an zu streiten. Über Computer-Betriebssysteme.

Pioniere der Computerspiele-Industrie: Alexej Paschitnow (rechts), 53, und Ralph Baer, 87

Pioniere der Computerspiele-Industrie: Alexej Paschitnow (rechts), 53, und Ralph Baer, 87

(Foto: Foto: oh)

Baer: ... denn immer, wenn ich mit Windows arbeiten muss, möchte ich jemanden schlagen.

SZ: Okay. Und jetzt zu den Fragen. Herr Baer, bedauern Sie eigentlich die Millionen schlechter Noten, die Kinder bekommen haben, weil sie lieber Videospiele gezockt haben, anstatt zu lernen?

Baer: Das würde mir sehr leid tun, wenn da etwas dran wäre. Aber würden die Kinder nicht am Computer spielen, so würden sie halt rausgehen und Fußball spielen. Ach, immer die gleichen doofen Fragen. Gleich kommt: "Was halten Sie von brutalen Computerspielen?"

SZ: Darüber wollte ich eigentlich erst später mit Ihnen reden ...

Paschitnow: Ralph hat recht. Wir sind nicht für schlechte Noten verantwortlich! Wenn mir die Leute sagen, sie hätten so und so viele tausend Stunden mit Tetris verbracht, frage ich zurück: Waren es gute oder schlechte Stunden? Und alle sagen mir: Natürlich waren es gute Stunden. Wenn etwas Spaß gemacht hat, ist es keine Verschwendung.

Baer: Na ja. Meine Tochter hat endlos Tetris gespielt - und wenn ich endlos sage, meine ich endlos.

SZ: Sie seufzen. Haben Sie auch Zeit mit Tetris verbracht?

Baer: Am Anfang hab' ich es ein paar Mal gespielt, dann wieder aufgehört. Wer hätte gedacht, dass es mal so eine große Sache wird? Aber Alexej hat eine Menge großartiger Dinge in seinem Leben gemacht. Sein gesamtes Leben vor und nach Tetris wird ignoriert.

SZ: Geht Ihnen die Reduktion auf die Nerven, Herr Tetris?

Paschitnow: Nein, ist schon okay. Tetris ist die beste Erfindung, die ich jemals gemacht habe. Tetris ist das einzige meiner Spiele, das immer noch gespielt wird. Alle anderen waren zu kompliziert.

SZ: Wie wurden aus Ihnen beiden eigentlich die berühmten Programmierer, die Sie heute sind?

Baer: Berühmt? Ich erzähle Ihnen mal was: Wenn ich mit einem Freund unterwegs bin und er stellt mich jemandem vor als den Typen, der Videospiele erfunden hat, so fragen die Leute immer: Aha, welches Spiel haben Sie erfunden? Wenn ich dann antworte, dass ich Videospiele an sich erfunden habe, die erste Spielekonsole überhaupt, dann reden die Leute lieber über das Wetter. Sie verstehen meine Leistung nicht.

SZ: Ein verkanntes Genie also. Wie konnte es so weit kommen?

Baer: Meine Karriere begann mit einer Anzeige, die ich in der New Yorker U-Bahn sah. "Werde reich mit Elektrotechnik" stand da drauf. Damals arbeitete ich in der Fabrik meines Cousins, für 12 Dollar die Woche. Ich machte einen Kurs und bewarb mich in einem Radiogeschäft in der Lexington Avenue. Ich hatte kein Auto, sondern trug meine Werkzeugkiste unterm Arm. So fing alles an.

Geld verdienen mit "GI-Joe"-Spielzeugfiguren

SZ: Ursprünglich kommen Sie aber aus Deutschland, man kann es hören.

Baer: Ja. Ich bin in Pirmasens geboren, meine Familie ist nach Köln gezogen, als ich zwei Jahre alt war. Mit 14 Jahren bin ich von der Oberen Realschule geflogen, dann habe ich am Ubierring in Köln in einem Büro gearbeitet. Zwei Monate vor der Reichspogromnacht sind meine Eltern mit mir und meiner Schwester in die USA. Sämtliche meiner Verwandten auf der Seite meines Vaters sind später ermordet worden.

Paschitnow: Ich bin in Moskau aufgewachsen. Und ich war schon immer fasziniert von Puzzlen, mathematischen Rätseln und Brettspielen. So kam es, dass ich an einer Art nationaler Olympiade für Mathematik teilnahm, als ich 18 Jahre alt war. Diesen Wettbewerb gibt es heute noch. Nach meinem Abschluss 1972 arbeitete ich als Computerwissenschaftler, vor allem an einer Software für Spracherkennung. Aber in meinem Kopf war immer noch alles voller Puzzles und Rätsel. Und sobald ich meinen ersten eigenen Computer hatte, habe ich abends nach der Arbeit ein paar kleine Spiele und Rätsel programmiert. Meine Chefs hat das nicht interessiert.

SZ: War es im kapitalistischen Amerika einfacher, Erfolg mit Spielen zu haben?

Baer: Überhaupt nicht! Als ich anfing, meine Konsole zu entwickeln, hat mein Arbeitgeber nichts verstanden. Niemand dachte, dass daraus jemals etwas werden würde. Na ja, zehn Jahre später kam eine Menge dabei herum, vielleicht 300 Millionen Dollar. Erst dann kam der Zeitpunkt, als die Firma mir dankbar war.

Paschitnow: Erst wenn der Hype beginnt, fragen sich die Leute: Moment mal, wie hat das alles angefangen?

SZ: Und dann beginnt der Geldregen?

Paschitnow: Nein, bei mir nicht. Damals war der Schutz geistigen Eigentums in Russland unterentwickelt. Alles gehörte der kommunistischen Regierung. Als ich Tetris programmiert hatte, stand ich vor der Entscheidung: Soll ich für den Rest meines Lebens kämpfen oder soll ich das Spiel veröffentlichen und die Rechte weggeben?

Ich hab' mir dann gesagt: Wenn du was dafür bekommst, super. Wenn nicht, auch egal. Hauptsache, Tetris ist veröffentlicht. Dann habe ich einen Vertrag unterschrieben, der alle Rechte am Spiel für zehn Jahre an die Regierung abtrat. Mein Glück war, dass das Spiel zehn Jahre später immer noch populär war. Und so sind die Rechte und ein bisschen Geld schließlich doch noch zu mir gekommen.

Baer: Du wirst nicht automatisch reich als Spieleentwickler. Ich wäre nichts gewesen, wenn ich keinen gehabt hätte, der meine Erfindungen für mich verkauft. Ich habe mal "GI-Joe"-Spielzeugfiguren gebaut, die Geräusche machen - sie können schießen oder lassen einen Panzer explodieren. Und ich hatte diesen Typen, der geht zu Hasbro (dem Spielwarenhersteller, die Red.), kommt zurück und hat 50.000 Dollar Vorschuss.

Wenn ich dorthin gehe, bekomme ich vielleicht 5000 Dollar. Oder gar nichts. Und wie machen diese Marketingleute das? Sie spielen jeden Sonntag Golf mit dem Management! Deshalb fahren sie Cadillac, und ich fahre Ford. Das ist in Ordnung für mich. Denn ohne Marketing würde ich Fahrrad fahren.

Zensur ist etwas grundsätzlich Schlechtes!

SZ: Tetris wurde in der Anfangszeit kaum geschützt. Heute gibt es so viele Klone, ähnliche Versionen für Handys, Gameboys, alles Mögliche, tausendmal kopiert. Hat der geringe Schutz zur Verbreitung der Software beigetragen?

Paschitnow: Die Situation ist nicht so schlecht. In ganz Amerika habe ich zum Beispiel alle Raubkopien gerichtlich entfernen lassen. Aber wenn das Wort Tetris nicht verwendet wird, sind mir Klone fast immer egal. Die meisten Programmierer verdienen ja kein Geld damit, viele sind noch Kinder.

Baer: Genau wie du, Ralph, als du Tetris entwickelt hast.

Paschitnow: Na ja, ich war damals 28 oder 29 Jahre alt.

Baer: Ich war schon doppelt so alt, als ich Odyssey erfunden habe! 45 oder 46 oder so... (Zum Journalisten:) Sagen Sie, nimmt Ihr Computer noch alles auf? Welches Programm benutzen Sie dafür?

SZ: Es heißt Audacity.

Baer: Ah, das verwende ich auch! Machen Sie sich keine Sorgen, es funktioniert sehr gut.

SZ: Danke. Wenn Sie sich den Spielemarkt heute anschauen, welche Spiele interessieren Sie?

Baer: Ich spiele eigentlich nicht. Obwohl... doch, ich spiele Nintendo Wii. Das ist genau meine Geschwindigkeit.

Paschitnow: Ich würde gerne eine Wii kaufen. Aber mein Sohn bittet mich, damit zu warten. Er muss noch viel für die Uni lernen und hat Angst, dass die Wii ihn zu stark ablenken würde. In sechs Monaten hat er seinen Abschluss. Und ich spiele nach wie vor viele Puzzlespiele. Außerdem spiele ich das Online-Rollenspiel World of Warcraft.

SZ: Rollenspiele sind eine Sache - etwas ganz anderes sind sogenannte Killerspiele. Das glauben zumindest deutsche Politiker, die solche Spiele gerne verbieten würden. Was halten Sie davon?

Baer: Meine Enkel spielen so was. Ich selber würde das nicht spielen. Warum muss man Blut in einem Spiel haben? Auf der anderen Seite leben wir 600 Jahre nach Gutenberg. Und alle möglichen brutalen Bücher sind gedruckt worden. Warum verbieten wir die nicht? Wo beginnt Zensur? Wo sollte man besser aufhören?

Paschitnow: Ich möchte die Debatte nur ungern von der moralischen Seite her führen. Aber wir wissen doch alle: Niemals wurde bewiesen, dass diese Spiele schaden. Meine persönliche Vermutung ist eher, dass die Leute in einer harmlosen Art ihren inneren Stress abbauen, wenn sie brutale Spiele spielen. Ich glaube sogar, dass dies ihre Hauptmotivation ist. Klar, es gibt auch Fälle, bei denen die Aggression auf den Spieler zurückfällt. Aber solche Leute waren doch vorher schon krank. Man sollte deshalb nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, irgendetwas zu verbieten.

Baer: Zensur ist etwas grundsätzlich Schlechtes!

Paschitnow: Ich spiele die brutalen Spiele aber selber nicht. Ich schieße doch nicht auf Figuren, die irgendjemand mühevoll programmiert hat. Aber wenn jemand Killerspiele spielen will, ist das total in Ordnung für mich.

SZ: Viele Programmierer sind bis heute große Fans von Ihnen. Wie groß ist Ihr Einfluss auf die Industrie?

Baer: Die Elemente der Spieleentwicklung sind dieselben wie zu unserer Zeit. Ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel. Es muss etwas geben, das den Spieler einbindet. Meiner Meinung nach sollten Spiele ein Familiending sein. Wie Fernsehen in den Fünfzigern und Sechzigern. Und dahin geht die Entwicklung auch. So hatte ich das auch vor vielen Jahren angepeilt.

SZ: Hielten Sie es damals für möglich, dass die Spieleindustrie größer als Hollywood werden wird?

Paschitnow: Absolut, ja. Bis heute ist der Spielemarkt eigentlich zu klein. Spiele sind soviel cooler als Filme, man benutzt sein Hirn, alle Sinne sind beim Spielen dabei. Bei einem Film ... (zieht eine Grimasse).

SZ: Sie gucken wie ein Schimpanse im Zoo nach 40 Jahren hinter Glas.

Paschitnow: Na ja, ich mache Witze. Ich liebe Filme. Aber für die große Masse, für einen ganzen Markt sind Spiele hundertprozentig besser. Und die Industrie ist noch so jung. Für den Spielemarkt gibt es eine großartige Perspektive. Tetris und Odyssey waren nur der Anfang.

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