Süddeutsche Zeitung

Computerspiel-WM:Kampf der Starzocker

Schnelle Reaktionen, kreischende Fans und Preisgeld in Millionenhöhe: Die "World Cyber Games" in China beweisen, dass Sport künftig durchaus virtuell ausgetragen werden könnte.

Jürgen Schmieder, Chengdu

Manuel Schenkhuizen wird belagert: Tausende Fans jubeln ihm zu und betteln um ein Autogramm, junge Mädchen kreischen und wollen mit ihm fotografiert werden - eine fällt gar in Ohnmacht, als der Niederländer den Arm um sie legt. Für den 30 Meter langen Weg von der Bühne zur Umkleidekabine benötigt er 45 Minuten, erst dann ist der 23-Jährige einen Moment allein und schnauft erleichtert durch. Schenkhuizen ist nicht etwa Sänger einer Rockband oder Fußballstar. Er ist ein professioneller Computerspieler, der das Strategiespiel Warcraft III wie kein anderer beherrscht.

In der chinesischen Stadt Chengdu ermitteln derzeit 700 Computersportler aus 65 Nationen beim Finale der World Cyber Games die Weltmeister im virtuellen Sport. Im Century City Exhibition Center geht es zu wie bei einer Mischung aus Champions-League-Finale und Tokio-Hotel-Konzert. Die Halle ist so groß, dass sieben Fußballfelder hineinpassen würden, und doch kommt man kaum einen Schritt vorwärts, weil sich derart viele Zuschauer um die einzelnen Spielfelder drängeln.

2,7 Millionen Dollar Preisgeld

Die Akteure selbst kämpfen nicht nur um den schnellsten Weg zur Umkleidekabine, sondern auch um ein Gesamtpreisgeld von etwa 2,7 Millionen US-Dollar. Der Rummel, der um sie herum herrscht, zeigt, dass ihre Tätigkeit in Asien als Sport akzeptiert ist - eine Einsicht, die sich in Ländern wie Deutschland noch nicht durchgesetzt hat.

Auf den ersten Blick hat das, was die virtuellen Zocker da betreiben, mit Sport nur wenig gemein. Das ist zumindest der Eindruck des unkundigen Beobachters, wenn er ein wenig verwirrt an leichtbekleideten Hostessen und überaus freundlichen Polizisten vorbeischlendert, während überall junge Menschen mit beinahe regungslosen Oberkörpern vor Bildschirmen sitzen und mit ihren Fingern auf eine Tastatur einhämmern.

"Es ist eine Mischung aus Konzentration, Technik und Reaktionsvermögen", sagt Anton Emmerich. Mit 14 Jahren ist er der jüngste Teilnehmer, der es jemals ins Finale der besten Spieler geschafft hat. "Zuerst war es nichts Besonderes, der Jüngste zu sein. Als ich aber mein erstes Autogramm gegeben habe, da habe ich mich schon ein bisschen wie ein Star gefühlt."

Fünf Befehle pro Sekunde

Es braucht einige Zahlen, um Emmerichs sportliche Leistung zu verdeutlichen: Beim Science-Fiction-Strategiespiel Starcraft gibt er während seiner 30-minütigen Erstrundenpartie mehr als 9000 aktive Befehle ein, das sind mehr als fünf pro Sekunde. Seine Hand-Augen-Koordination übertrifft die von Tornado-Piloten, seine Reaktionszeit und taktisches Verständnis sind für sein Alter außergewöhnlich.

"Für Außenstehende ist schwer zu begreifen, was die Spieler leisten", sagt Thomas von Treichel, Manager der deutschen Mannschaft. "Sie müssen das Spiel lesen und oft fünf Dinge gleichzeitig beachten. Es ist Konzentration, Organisation und Multitasking - also alles, was sich ein Chef von einem Mitarbeiter wünscht."

Sportlich interessant wird es vor allem dann, wenn man das Ergebnis des Fingerhämmerns auf einer der überdimensionalen Leinwände betrachtet. Da überschlägt sich ein Auto mehrmals und bleibt am Straßenrand liegen, das Publikum johlt. Der Pilot bleibt unversehrt, er sitzt ja auf seinem sicheren Stuhl am Computer.

Auf einem anderen Bildschirm erzielt ein Fußballer gerade ein wunderbares Tor per Fallrückzieher. Derjenige, der den Torschützen steuert, läuft nicht an die Eckfahne und lässt sich feiern. Er ballt kurz die Faust, winkt den Fans zu - und spielt weiter. Auf einem weiteren Monitor ist zu sehen, wie sich zwei Männer im virtuellen Billard duellieren und dabei recht filigrane Stöße vollführen. Der Kulturpessimist fragt sich: Kann diese virtuelle Zockerei tatsächlich der Sport der Zukunft sein?

Die Akteure freilich wissen, wie sie zu argumentieren haben: Wo genau liegt der Unterschied zwischen einem Formel-1-Piloten und dem virtuellen Rennfahrer? Beide steuern eine Maschine möglichst schnell durch einen Parkour. "Wir unterscheiden uns darin, dass sich ein Formel-1-Fahrer in Lebensgefahr begibt", sagt der Koreaner Won-Joon Lee, einer der besten Piloten weltweit. "Wir verbrauchen kein Benzin, wir benötigen keine teuren Rennstrecken und wir fahren auch keine Autos zu Schrott."

Es gebe auch keine Verletzungen wie beim Boxen oder Fußball; Reisekosten könnten auch gespart werden, weil im Internet jederzeit jeder gegen jeden spielen kann - und per Livestream alle dabei zusehen könnten. Nur zu den großen Events treffen sich die besten Spieler wie derzeit in Chengdu.

In der Kunst wird Sport in der Zukunft meist als brutales Gemetzel gezeichnet. Im Film "Rollerball" aus dem Jahr 1975 etwa geht es nicht um die Ertüchtigung des Körpers, sondern um dessen Zerstörung. Im Spiel Speedball von 1988 erhält der Akteur nicht nur Punkte für Tore, sondern auch, wenn er seinen Gegner ins Krankenhaus tritt. Und selbst das Trimagische Turnier aus den Harry-Potter-Büchern weißt eine auffällig hohe Sterblichkeitsrate auf.

Gemetzel nur noch virtuell

Die World Cyber Games in Chengdu zeigen derzeit, dass es auch in eine komplett andere Richtung gehen könnte: Das Gemetzel und die Verletzungen finden nur noch virtuell statt, danach geben sich die Protagonisten die Hand oder umarmen sich, von Aggression ist nichts zu sehen.

In Asien und Nordamerika hat sich diese Erkenntnis bereits durchgesetzt, der virtuelle Sport gehörte im vergangenen Jahr zum Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in Peking, namhafte Unternehmen treten als finanzkräftige Sponsoren auf und Spieler wie Manuel Schenkhuizen verdienen Millionen US-Dollar mit Preisgeld, Werbung und Lehrbüchern. "Wir sind keine Konkurrenz zum wirklichen Sport", sagt Hyoung Seok Kim, der Chef der World Cyber Games. "Wir sind eine Erweiterung und Bereicherung."

Hierzulande wird der virtuelle Sport zwar noch kritischer betrachtet, doch verwies die Bundesregierung kürzlich im Koaltionsvertrag auf die kulturelle Bedeutung von Computerspielen. Und einer aktuellen Studie zufolge spielen mehr deutsche Jugendliche vor dem Computer als auf dem Fußballplatz. Um die Zukunft muss sich der Computersport also kaum Sorgen machen. Eher darum, dass Stars wie Manuel Schenkhuizen rechtzeitig zu den Spielen kommen.

Unser Autor Jürgen Schmieder bloggt von den World Cyber Games. Aktuelle Eindrücke finden Sie hier.

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