Computerspiel "Spore":Als Amöbe in der Ursuppe

Mit den "Sims" hat er eine virtuelle Parallelwelt geschaffen - und das meistverkaufte Computerspiel aller Zeiten. Jetzt hat Will Wright die Evolution zum Game gemacht.

Tobias Moorstedt

Am Anfang war der Code. Und die Festplatte war wüst und leer, und es war finster in der Bildröhre, und das Programm brauchte noch ein bisschen, um sich endlich hochzuladen. Dann klickte der Spieler auf Start, und Nullen und Eisen, die Grundelemente des virtuellen Universums, setzen sich zu Erde, Wasser und primitiven Zellen zusammen - das Leben begann.

Computerspiel "Spore": Einzeller in der Ursuppe: Es geht farbenfroh zu.

Einzeller in der Ursuppe: Es geht farbenfroh zu.

(Foto: Foto: Electronic Arts)

In "Spore", dem neuen und seit Jahren erwarteten Werk des legendären Spieledesigners Will Wright, steuert der Spieler die Evolution einer Spezies vom Einzeller bis ins Raumfahrt-Zeitalter.

"Eine Simulation von allem"

Computerspiele haben ihren Nutzern schon oft die Möglichkeiten eröffnet, fremde und komplexe Systeme zu steuern. Die Spieler waren Stadtplaner, Eisenbahnmogule, Heerführer, oder sie versuchten, wie in Will Wrights "Sims" auch nur dem Alltag einer Vorstadt-Familie so etwas wie Struktur und Sinn zu verleihen.

"Spore" soll jetzt mehr sein, sagt Will Wright: "a simulation of everything" - eine Simulation von allem. Und das glatte Gegenteil eines Ego-Shooters: "Ich will nicht zerstören. Viel spannender ist es doch, Dinge zu bauen." Der kreative Geist des Programmierers kommt auch während des Gesprächs nicht zur Ruhe. Während der Designer über die Evolution, die Chaos-Theorie und den Spaß beim Computerspielen doziert, zeichnet er mit Bleistift ununterbrochen seltsame Figuren und Formen auf einen Papierblock. Die Schöpfung kennt kein Ende.

SZ: Mr. Wright, die Entwicklung Ihres Genesis-Computerspiels "Spore" hat beinahe so lange gedauert wie die echte Schöpfung. Warum?

Will Wright: Aus Berufsehre muss ich betonen, dass wir keine Abgabetermine verpasst haben. Das Besondere an der Computerbranche ist aber, dass sich unser Werkzeug so schnell verändert. Ein Maler arbeitet mit Leinwand und Ölfarben und hat so gewisse materielle Konstanten. Während der fünf Jahre, in denen ich an "Spore " gearbeitet habe, hat sich die Prozessorleistung vervielfacht und es gab plötzlich Dinge wie WLAN und das Web 2.0. Das Gute daran ist: Wir konnten immer neue Features einbauen.

SZ: Eigentlich ist die Ungeduld der Fans ein Kompliment. In Weblogs wurde "Spore" schon mit ,,dem neuen Buch von J.D. Salinger'' verglichen oder dem Guns'n'Roses-Album "Chinese Democracy" verglichen - den anderen großen Vermissten der Popkultur.

Wright: Anders als Salinger halten wir über Web-Foren einen engen Kontakt zu den Fans. Viele haben uns Zeichnungen und Computer-Designs von Kreaturen geschickt, die sie gerne in "Spore" sehen würden. Wir haben die Skizzen später Astrobiologie-Experten gezeigt, die uns sagten, auf welchen Planeten solche Lebensformen entstehen könnten - die Spieler haben so die Ästhetik und Logik des Produkts ein wenig mitbestimmt.

SZ: In "Spore" steuert der Spieler die Evolution. Was bedeutet das?

Wright: Der Spieler startet als Einzeller, der nur einfachste Bedürfnisse und Funktionen kennt. Nahrung, Bewegung, Reproduktion. Im nächsten Level entwirft man dann eine Lebensform - Wo sitzen die Augen? Wie viele Beine hat es? Ist es Pflanzen- oder ein Fleischfresser? - und entwickelt sie über Millionen von Jahren weiter. Irgendwann wird die Lebensform intelligent, bildet soziale Gruppen und erfindet immer kompliziertere Werkzeuge. Für den Moment der Selbsterkenntnis haben wir eine Parodie von "2001: Odyssee im Weltraum": Die Lebensform springt herum wie Kubricks Affe und wirft einen Knochen in die Luft - da passt es ganz gut, dass man am Ende des Spiels auch den Weltraum erobert.

SZ: Haben Sie herausgefunden, was Lebensformen ausmacht, die sich im "Survival of the Fittest" der Ursuppe durchsetzen?

Wright: Bislang wurden in der Internet-Datenbank von "Spore" mehr als drei Millionen Lebensformen hochgeladen. Der Mensch kennt auf der Erde insgesamt etwa 1,6 Millionen Arten. Die virtuelle Vielfalt hat die Wirklichkeit also schon überholt. Es gibt verschiedene Strategien: Man kann einen Kämpfer bauen, ein kleines, schnelles Tier oder einen langsamen, großen Brummer, der aber gut gepanzert ist.

Als Amöbe in der Ursuppe

Primitives Leben ist zweidimensional: Am Anfang steuert der Spieler eine Amöbe durch die Ursuppe - und Spielprinzip und Ästhetik erinnern nicht zufällig an primitive Videospiele aus den 70er Jahren wie "Space Invaders" und "Pac Man".

Computerspiel "Spore": Will Wright ist der Erfinder der "Sims".

Will Wright ist der Erfinder der "Sims".

(Foto: Foto: Electronic Arts)

In höheren Levels wird das Spiel dann in 3-D dargestellt, simuliert immer komplexere Prozesse und tritt irgendwann ins High-Definition-Zeitalter ein. "Spore" simuliert nicht nur die Entwicklung des Lebens auf der Erde, sondern auch die Evolution des Videospiels selbst, das sich in den letzten 40 Jahren von der Jahrmarkt-Groschenfalle in eine Milliardenindustrie verwandelt hat.

Branche ohne Stars

Die Videospiel-Industrie ist eine Unterhaltungsbranche ohne Stars. Die Spiel-Designer bleiben hinter den bunten Pixeloberflächen und lauten Soundeffekten verborgen. Will Wright ist eine der wenigen Ausnahmen - die Spielefirmen drucken den Namen in großen Buchstaben auf die Spiele-Verpackung. Wright bekam als erster Videospiel-Designer den Ehrenpreis der Britischen Akademie der Film- und Fernsehkunst verliehen, mit dem zuvor auch schon Alfred Hitchcock, Charlie Chaplin oder Steven Spielberg geehrt wurden.

"The Sims" ist mit 70 Millionen verkauften Kopien das erfolgreichste Spiel aller Zeiten. Wright stammt aus der letzten Designer-Generation, die ohne Videokonsole aufgewachsen ist und noch mit Modellflugzeugen und Chemie-Baukasten spielte. "Ich lernte, dass Komplexes durch Ausprobieren und Experimentieren interessant wird", sagt er.

Man sieht ihm an, dass er viel Zeit in geschlossenen Räumen unter Neonlicht verbringt. Er sieht seinen Gesprächspartner mit ruhigen, neugierigen Augen an, als würde er das Verhalten und die Beschaffenheit seiner Umgebung analysieren und in Algorithmen umrechnen.

Als Amöbe in der Ursuppe

Computerspiel "Spore": Wenn das Leben spannend wird, wird die Grafik dreidimensional.

Wenn das Leben spannend wird, wird die Grafik dreidimensional.

(Foto: Foto: Electronic Arts)

SZ: Wie muss man sich die Recherchen für das Spiel vorstellen?

Wright: Ich habe vor allem gelesen. Bücher über den Ursprung des Lebens, über Kosmologie, Astrologie, Soziologie. Und ich habe viele Wissenschaftler besucht.

SZ: Wie reagieren Wissenschaftler, wenn Sie sagen: Ich möchte eine Simulation über alles machen?

Wright: Das Wissen über Videospiele ist nicht besonders groß. Wissenschaftler interessieren sich dafür, wenn sie so die Aufmerksamkeit auf ihre Disziplin lenken können. Computer-Simulationen sind Teil ihres beruflichen Alltags. Viele sind aber sehr erstaunt, wenn wir ihnen zeigen, was unsere Computer alles können.

SZ: Computer-Simulationen können komplexe Phänomene wie das Weltklima oder den Autobahn-Verkehr darstellen - wie machen sie ein Spiel daraus?

Wright: Wissenschaftler wollen wissen, wie ein Stern funktioniert: Sie geben Parameter und Rechenformeln ein, drücken auf den Start-Knopf und schauen, was passiert. Wir bauen die Spielzeug-Version eines Sterns - ein Modell, mit dem man interagieren kann. Dabei muss man vor allem eine gute Balance zwischen Chaos und Vorhersehbarkeit herstellen. Wenn das Spiel immer den gleichen Verlauf nimmt, wird es langweilig. Die Luftströmung über einem Flugzeugflügel etwa ist ein zu statisches System. Die interessantesten Systeme sind ziemlich chaotisch: Biologie, Wirtschaft, und natürlich unser Zusammenleben.

SZ: Sie haben "Spore" ein "philosophisches Spiel" genannt. Verfolgen Sie einen Bildungsauftrag?

Wright: Mein Ziel war, dass man während des Spielens einige Wendepunkte des menschlichen Denkens streift - aber ich wollte keine Infotafeln einbauen, sondern die Philosophie-Revolution wie den Kopernikus-Satz oder das Entropie-Prinzip erlebbar machen. Wenn man am Ende des Spiels den Weltraum erobert, merkt man, dass der Planet, auf den man so viele Stunden seine Aufmerksamkeit konzentriert hat, nur einer von Millionen von belebten Welten im Universum ist, dass man eigentlich nur ein winziger Teil des Spiel-Universums ist und es auch ganz und gar nicht kontrolliert.

SZ: Wie groß kann der Lerneffekt eines Computerspiels sein?

Wright: "Spore" vermittelt kein Faktenwissen, vielleicht motiviert es aber den einen oder anderen Spieler dazu, sich mit der Evolution oder dem Kosmos auseinanderzusetzen. Ich würde mir wünschen, dass die Spieler lernen, in einem anderen Zeitrahmen zu denken. Sie verfolgen die Geschichte des Lebens über Millionen von Jahren und sehen die langfristigen Folgen von Entscheidungen. Eines der größten Probleme der Gegenwart ist doch, dass wir immer nur in Schritten von zehn oder maximal zwanzig Jahren denken. Wenn wir alle eine Lebenserwartung von 500 Jahren hätten, würden wir nicht so viel Auto fahren.

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