Computerspiel "Evolve":Monster sind auch nur Menschen

Lesezeit: 3 min

Goliath ist das Einsteiger-Monster im Mehrspieler-Shooter "Evolve" (Foto: 2K Games/PR)

Warum der Multiplayer-Shooter "Evolve" zwar eines der besten Spiele ist, die es in diesem Genre gibt, aber trotzdem nicht so viel Spaß macht, wie er sollte.

Von Matthias Huber

Nach nur dreieinhalb Minuten ist es vorbei: Griffin, der Fallensteller, beglückwünscht das Team, der schwergerüstete Markov lädt ein neues Magazin in seine Waffe. Lazarus, der Sanitäter, ist enttäuscht, weil seine Dienste kaum gefragt waren. "Naja, vielleicht wird die nächste Runde besser", sagt der Spieler, der ihn steuert, im Online-Voicechat. "Ich bin raus, danke euch allen", verabschiedet sich der virtuelle Griffin. Die Jäger haben gewonnen, aber ein richtiges Erfolgserlebnis war es nicht. Der Multiplayer-Shooter "Evolve" ist eines der besten Spiele dieses Genres. Aber solche enttäuschenden Spielrunden kommen dennoch viel zu oft vor. Woran liegt das?

Evolutions-Stufe eins: die Jagd

Auf den ersten Blick ist "Evolve" ein einfaches Spiel: Vier Jäger ballern auf ein übermannsgroßes Monster, es wehrt sich mit Fäusten, Felsbrocken, Feueratem und Blitzen. Wer am Schluss noch steht, hat gewonnen. Das erinnert an die Bosskämpfe von Online-Rollenspielen wie "World of Warcraft" - nur dass in diesem Fall auch der Boss von einem Spieler gesteuert wird.

Vier gegen einen also, das klingt nach Unfairness per Design. Die Entwickler sprechen von einem "asymmetrischen Shooter". Anfangs sind die Vorteile bei den Jägern, später, wenn das Monster stärker geworden ist, werden sie zu den Gejagten. In einer idealen Welt haben Jäger und Monster aber genug Handwerkszeug, um ihre jeweiligen Nachteile durch eine geschickte Strategie auszugleichen. Doch die Entwickler von "Evolve" haben ihre Rechnung ohne die Ungeduld der Spielergemeinde gemacht.

Denn "Evolve" wird dann unfair, sobald unter den fünf Spielern einer ist, der das Spiel noch nicht ganz verstanden hat. Egal, ob er auf Monster- oder Jägerseite steht. Dann können die vier verbleibenden wenig ausrichten, um das Spiel noch zu retten.

Spiel als Jäger

Auf der Suche nach einem guten Team

1 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

Auch wenn das Monster zu Beginn einer Runde noch schwach ist: Es reicht, wenn einer der Jäger nicht mitspielt, und alles geht den Bach herunter. Jeder hat seine klar definierte Aufgabe, und bis man das Monster einmal gestellt hat, ist die des Fallenstellers die wichtigste. Er muss das Monster finden. Griffin und Abe platzieren dazu ein paar Fallen auf der Karte, die auslösen, wenn das Monster in der Nähe ist oder frisst. Maggie verlässt sich ganz auf den außerirdischen Jagdhund-Ersatz Daisy. So zumindest die Theorie. Die frustrierendsten Spiele sind aber jene, in denen der Spieler des Fallenstellers keine Ahnung hat, was er eigentlich zu tun hat. Dann würde die zuverlässige (und vom Computer gesteuerte) Daisy, die längst die Spur des Ungetüms gewittert hat, zwar gerne in eine Richtung rennen. Frauchen Maggie aber bemerkt das nicht - und rennt ganz woanders hin. Hat der betreffende Spieler nicht einmal Lust, den Voice-Chat zu aktivieren, bleibt den restlichen drei Jägern oft nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dem Monster zufällig über den Weg zu laufen. Oder zehn Minuten später auch noch eine Chance zu haben, wenn das mittlerweile auf Stufe 3 angewachsene Ungetüm den Spieß umdreht und freiwillig Jagd auf die ehemaligen Jäger macht. Im Bild: Markov (Schütze), Hank (Support), Maggie und Daisy (Fallensteller), Val (Sanitäter)

Spiel als Monster

Mini-Goliath gegen vier Davids

2 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

30 Sekunden, die darüber entscheiden, ob man überhaupt eine Chance hat. So viel beträgt der Vorsprung, mit dem der Spieler des Monsters in eine Partie startet. Es beginnt das Spiel schwach, auf Stufe eins, ein Goliath, das vor der Schleuder der vier Jäger-Davids noch gehörigen Respekt haben sollte. Deshalb muss es das Zentrum des Spielareals so schnell wie möglich verlassen. Aber: Je schneller es sich bewegt, umso mehr Spuren hinterlässt es auch. Ist es aber zu vorsichtig, ist der Abstand zu den Jägern womöglich zu klein. Gelingt diese Balance, gewinnt das Monster genug Zeit, um Wildtiere zu töten und zu fressen und die nächste Stufe seiner Evolution zu erreichen. Dann hat es gegen die Jäger und ihre Hightech-Schleudern vielleicht eine Chance. Im Bild: Der Goliath

In den ersten Minuten entscheidet sich also, ob eine Partie spannend oder langweilig wird. Weil "Evolve" schmerzhaft deutlich macht, wie wichtig es für das Spielerlebnis ist, sich auf alle Teilnehmer verlassen zu können. Aber warum ist es auch heute noch, sechs Wochen nach Veröffentlichung, so schwer, ein halbwegs verlässliches Jäger-Team oder einen fähigen Monster-Spieler zu finden?

Anderen Mehrspieler-Titeln gelingt es, ihren Spielern innerhalb einer Partie etwas beizubringen, sie bilden die Lernkurve im Miniaturformat im Spielablauf einzelner Runden nach. Beispielsweise beginnt jedes "Starcraft"-Match mit einer nur rudimentär vorhandenen Basis. Mit jedem neuen Gebäude und jeder neuen Figur steigt für den Spieler die Komplexität, bis er nach 15 oder 20 Minuten eine Hundertschaft an Figuren gleichzeitig steuern muss. Die nächste Partie fängt wieder von vorne an.

Auch deshalb sind Spiele wie "Starcraft", "League of Legends" oder "Dota 2" zu erfolgreichen E-Sportarten herangewachsen. Bei "Evolve" starten dagegen zumindest die Jäger-Spieler in Vollausstattung in jede einzelne Runde. Die Fortschritte, die das Monster während eines Spiels macht, sind zwar größer, aber für die Motivation immer noch marginal. Spieler lernen bei "Evolve" nur zwischen den Matches dazu - wenn dann nicht der Frust wegen einer erlittenen Niederlage überwiegt.

Spiel als Jäger

Der Goliath steckt im Detail

1 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

"Das Monster hat Stufe zwei erreicht", steht auf dem Bildschirm. Die Jäger waren zu langsam, haben ihren Anfangsvorteil verspielt. Einmal haben sie das fliegende Tentakelwesen zu Gesicht bekommen, es beim Fressen erwischt. Aber ein übereifriger Jagdkollege hat es mit ein paar ungezielten Schüssen aufgeschreckt. Wenn ein Monster unter Beschuss ist, setzt es Adrenalin frei, es regeneriert dann seine Kräfte schneller und kann den Jägern leichter entkommen. Ein paar Treffer aus der Ferne, die ohnehin höchstens Kratzer anrichten, schaden also mehr, als sie nützen. Bis der Fallensteller seine mobile Arena - ein riesiges Energieschild, dass Jäger und Monster auf einem kleinen Kartenabschnitt einschließt - setzen konnte, ist der Kraken dann längst wieder verschwunden. Jetzt ist das Vieh keine leichte Beute mehr. Es ist stärker geworden, die Jäger sind aber immer noch die gleichen. Das Kräfteverhältnis hat sich deutlich zu ihren Ungunsten verschoben. Das wird noch schlimmer, wenn sich einer der Jäger bereits aus Unachtsamkeit mit einem der zahlreichen Wildtiere des Planeten angelegt hat oder in eine fleischfressende Pflanze getappst ist. Ist ein Jäger einmal K.O. gegangen, so dass ihm ein Teamkamerad wieder auf die Beine helfen musste, hält er ab sofort weniger aus. Nach dem dritten dieser sogenannten "Strikes" ist es gar nicht mehr möglich, den Jäger wiederzubeleben, er ist für zwei volle Minuten aus dem Spiel. Nur der Sanitäter Lazarus kann das mit seiner Spezialfähigkeit verhindern - wenn ihm nicht übereifrige Kollegen zuvorkommen. Im Bild: Bucket (Support), Hyde (Schütze), Griffin (Fallensteller), Lazarus (Sanitäter)

Spiel als Monster

Dschungelkampf nach Maß

2 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

Einfach drauflos oder doch lieber aus dem Hinterhalt angreifen? Je nachdem, welches Monster die Dschungel von Shear gerade unsicher macht, gerät das Spiel sehr unterschiedlich. Der Goliath ist als Monster für Einsteiger noch verhältnismäßig unkompliziert zu spielen. Er setzt auf Muskelkraft und Nahkampf, speit Feuer oder wirft mit Felsbrocken um sich. Ungewöhnlicher ist der Kraken: Das von den Cthulhu-Geschöpfen H.P. Lovecrafts inspirierte Ungetüm kann zwar über dem Schlachtfeld schweben und aus verhältnismäßig sicherer Entfernung die Jäger mit Blitzen und allerlei explodierenden Geschossen traktieren. Selbst auf Stufe eins hat der Kraken daher noch die besten Chancen, gegen einen Trupp Jäger zu bestehen. Aber das ist auch nötig: Haben sie ihn einmal im Fadenkreuz, fällt es ihm deutlich schwerer, die Verfolger wieder abzuschütteln. Ganz anders das weibliche Monster, die Wraith. Sie ist zwar im offenen Kampf verhältnismäßig schwach, aber dafür eine Meisterin im Verstecken. Sie kann aus Hunderten Meter Entfernung an einen einzelnen Jäger heranschnellen, ihn packen und in Sekundenbruchteilen von seinen Teamkameraden wegzerren. Oder sich im Notfall für kurze Zeit unsichtbar machen, während eine Attrappe die Jäger in einen Kampf verwickelt. Im Bild: Der Kraken

Dabei ist das Lernen nötig, um mit "Evolve" Spaß zu haben. Hinter der Oberfläche eines simplen Ego-Shooters verbirgt sich eine Fülle an spielmechanischen Details: Schon bei der Auswahl der Spielfigur hilft es, die Fähigkeiten der Teammitglieder aufeinander abzustimmen.

So kann der Support-Roboter Bucket eine Erkundungsdrohne in die Luft schicken und damit die Nachteile ausgleichen, unter denen Fallensteller Griffin und Abe zu Beginn einer Spielrunde leiden, ehe sie die Karte mit ihren Sensoren gespickt haben. Sind hingegen Hank und die Sanitäterin Val im Spiel, ist das Team dank Schild-Generator und Heilungsstrahl im offenen Kampf kaum zu bezwingen, dafür könnte es an Feuerkraft mangeln. Ist das Monster der Krake, dürfte der Sanitäter Lazarus es besonders schwer haben, seine Wiederbelebungsfähigkeit erfolgreich einzusetzen.

Auch im Spiel selbst steckt der Goliath im Detail - unter anderem deshalb, weil "Evolve" einige Feinheiten kaum erklärt: Es gibt wenig Hinweise darauf, wie das Verhalten des außerirdischen Jagdhunds Daisy zu lesen ist. Oder dass Lazarus' Wiederbelebungsfähigkeit auch bei Wildtieren funktioniert und die Jäger damit verhindern können, dass das Monster bestimmte Vorteile erhält.

Turtle Rock Studios, die Macher von "Evolve", haben sich redlich Mühe gegeben, ihr Spiel der Maxime "Leicht zu lernen, schwer zu meistern" folgen zu lassen. Diese Spieldesign-Philosophie soll dafür sorgen, dass Anfängern der Einstieg leicht fällt, und man noch zig oder gar hunderte Stunden damit zubringen kann, neues über das Spiel zu lernen. Das Langziel vieler solcher Spiele ist, eine Profi-Szene aufzubauen, die das Spiel zur E-Sport-Disziplin heranwachsen lässt. Nur schade, dass "Evolve" die eigene Spieltiefe so erfolgreich verbirgt, dass manche Spieler schon nach wenigen Stunden abgeschreckt werden, weil sie glauben, kein funktionierendes Produkt vor sich zu haben.

Spiel als Jäger

Die letzte Chance

1 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

Es fing an als ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem vier Katzen eine Maus gejagt haben. Jetzt, in Phase drei, ist das Monster zur Katze geworden, und nur vier sehr gut zusammenspielende Mäuse haben überhaupt noch eine Chance. Nur: Die Zeit des Versteckspiels ist jetzt vorbei. Das Monster hat es auf den Generator abgesehen, der die Kolonie auf dem Dschungelplaneten mit Strom versorgt. Das Schlachtfeld steht also mehr oder weniger fest - und gibt den Jägern immerhin Gelegenheit, den Ort mit allerlei Fallen zu präparieren, um so den Größennachteil wenigstens ein Stück weit auszugleichen. Der Schütze Markov legt ein paar Tretminen aus, um das Monster in eine Engstelle zu treiben. Dort wartet bereits Hank, um den Befehl für die Bombardierung aus der Luft zu geben. Und dann ertönen die dumpf stampfenden Schritte des nahenden Goliath in der Ferne... Im Bild: Cabot (Support), Caira (Sanitäter), Parnell (Schütze) und Abe (Fallensteller)

Spiel als Monster

Der Gejagte wird zum Jäger

2 / 2
(Foto: 2K Games/PR)

Das Blatt hat sich gewendet: Das Monster hat genug gefressen um Stufe drei zu erreichen. Die Jäger haben aufgegeben, ihren Vorteil von Vier-gegen-Einen noch ausspielen zu können, und stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand. Oder genauer: Mit dem Rücken zum Stromgenerator, der die Kolonie auf dem Dschungelplaneten Shear versorgt und vor der feindlichen Umwelt schützt. Hat der Monster-Spieler die dritte Phase erreicht, kann er das Spiel auch gewinnen, wenn er den Generator zerstört, selbst wenn noch Jäger am Leben sind. Sterben also ein oder mehrere Jäger, können sich die Überlebenden nicht wie zuvor einfach zurückziehen, bis ihre Kameraden wieder da sind. Es kommt zum unausweichlichen Showdown - und aus dem ehemals Gejagten ist jetzt endgültig der Jäger geworden. Im Bild: Die Wraith

Die Idee und Umsetzung von "Evolve" hätten den Erfolg verdient. Eine Monsterjagd unter Anleitung eines fachkundigen Fallenstellers gehört zu den schönsten Mannschafts-Erlebnissen, die ein Computerspieler online haben kann. Und kaum etwas schlägt die intensive Spannung, wenn die Jäger direkt am Versteck des Stufe-eins-Monsters vorbeiziehen, ohne zu bemerken, was da im Gebüsch lauert.

Aber für diese perfekten Spielerlebnisse braucht es perfekte Spieler. "Evolve" scheitert bisher daran, genügend von ihnen auszubilden. Im Gegensatz zu Singleplayer-Spielen, die einmal gekauft und dann getrost vergessen werden, werden Multiplayer-Titel tatsächlich besser, je erfolgreicher sie sind. Ihre Community braucht Zeit, zu wachsen und das Spiel in all seinen Untiefen zu erforschen.

Auch wenn die Geschäftszahlen von "Evolve" bislang höchstens in Ordnung sind (in den ersten zwei Wochen nach Start wurden weltweit etwa 750 000 Stück verkauft), hat die Monsterhatz also noch Chancen. Wenn die Spielergemeinde die Jagd nicht vorher aufgibt.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Computerspiel "Evolve"
:Streit um teure Monster

Unfairness als Prinzip: Der Mehrspieler-Shooter "Evolve" wird von Presse, Fans und Branche schon vor der Veröffentlichung für seine Spielidee gefeiert. Aber auch der Ärger ist jetzt schon groß.

Von Matthias Huber

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: