Nach nur dreieinhalb Minuten ist es vorbei: Griffin, der Fallensteller, beglückwünscht das Team, der schwergerüstete Markov lädt ein neues Magazin in seine Waffe. Lazarus, der Sanitäter, ist enttäuscht, weil seine Dienste kaum gefragt waren. "Naja, vielleicht wird die nächste Runde besser", sagt der Spieler, der ihn steuert, im Online-Voicechat. "Ich bin raus, danke euch allen", verabschiedet sich der virtuelle Griffin. Die Jäger haben gewonnen, aber ein richtiges Erfolgserlebnis war es nicht. Der Multiplayer-Shooter "Evolve" ist eines der besten Spiele dieses Genres. Aber solche enttäuschenden Spielrunden kommen dennoch viel zu oft vor. Woran liegt das?
Evolutions-Stufe eins: die Jagd
Auf den ersten Blick ist "Evolve" ein einfaches Spiel: Vier Jäger ballern auf ein übermannsgroßes Monster, es wehrt sich mit Fäusten, Felsbrocken, Feueratem und Blitzen. Wer am Schluss noch steht, hat gewonnen. Das erinnert an die Bosskämpfe von Online-Rollenspielen wie "World of Warcraft" - nur dass in diesem Fall auch der Boss von einem Spieler gesteuert wird.
Vier gegen einen also, das klingt nach Unfairness per Design. Die Entwickler sprechen von einem "asymmetrischen Shooter". Anfangs sind die Vorteile bei den Jägern, später, wenn das Monster stärker geworden ist, werden sie zu den Gejagten. In einer idealen Welt haben Jäger und Monster aber genug Handwerkszeug, um ihre jeweiligen Nachteile durch eine geschickte Strategie auszugleichen. Doch die Entwickler von "Evolve" haben ihre Rechnung ohne die Ungeduld der Spielergemeinde gemacht.
Denn "Evolve" wird dann unfair, sobald unter den fünf Spielern einer ist, der das Spiel noch nicht ganz verstanden hat. Egal, ob er auf Monster- oder Jägerseite steht. Dann können die vier verbleibenden wenig ausrichten, um das Spiel noch zu retten.
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Auch wenn das Monster zu Beginn einer Runde noch schwach ist: Es reicht, wenn einer der Jäger nicht mitspielt, und alles geht den Bach herunter. Jeder hat seine klar definierte Aufgabe, und bis man das Monster einmal gestellt hat, ist die des Fallenstellers die wichtigste. Er muss das Monster finden. Griffin und Abe platzieren dazu ein paar Fallen auf der Karte, die auslösen, wenn das Monster in der Nähe ist oder frisst. Maggie verlässt sich ganz auf den außerirdischen Jagdhund-Ersatz Daisy.
So zumindest die Theorie. Die frustrierendsten Spiele sind aber jene, in denen der Spieler des Fallenstellers keine Ahnung hat, was er eigentlich zu tun hat. Dann würde die zuverlässige (und vom Computer gesteuerte) Daisy, die längst die Spur des Ungetüms gewittert hat, zwar gerne in eine Richtung rennen. Frauchen Maggie aber bemerkt das nicht - und rennt ganz woanders hin. Hat der betreffende Spieler nicht einmal Lust, den Voice-Chat zu aktivieren, bleibt den restlichen drei Jägern oft nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dem Monster zufällig über den Weg zu laufen. Oder zehn Minuten später auch noch eine Chance zu haben, wenn das mittlerweile auf Stufe 3 angewachsene Ungetüm den Spieß umdreht und freiwillig Jagd auf die ehemaligen Jäger macht.
Im Bild: Markov (Schütze), Hank (Support), Maggie und Daisy (Fallensteller), Val (Sanitäter)
Bild: 2K Games/PR -
30 Sekunden, die darüber entscheiden, ob man überhaupt eine Chance hat. So viel beträgt der Vorsprung, mit dem der Spieler des Monsters in eine Partie startet. Es beginnt das Spiel schwach, auf Stufe eins, ein Goliath, das vor der Schleuder der vier Jäger-Davids noch gehörigen Respekt haben sollte.
Deshalb muss es das Zentrum des Spielareals so schnell wie möglich verlassen. Aber: Je schneller es sich bewegt, umso mehr Spuren hinterlässt es auch. Ist es aber zu vorsichtig, ist der Abstand zu den Jägern womöglich zu klein. Gelingt diese Balance, gewinnt das Monster genug Zeit, um Wildtiere zu töten und zu fressen und die nächste Stufe seiner Evolution zu erreichen. Dann hat es gegen die Jäger und ihre Hightech-Schleudern vielleicht eine Chance.
Im Bild: Der Goliath
Bild: 2K Games/PR
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In den ersten Minuten entscheidet sich also, ob eine Partie spannend oder langweilig wird. Weil "Evolve" schmerzhaft deutlich macht, wie wichtig es für das Spielerlebnis ist, sich auf alle Teilnehmer verlassen zu können. Aber warum ist es auch heute noch, sechs Wochen nach Veröffentlichung, so schwer, ein halbwegs verlässliches Jäger-Team oder einen fähigen Monster-Spieler zu finden?
Anderen Mehrspieler-Titeln gelingt es, ihren Spielern innerhalb einer Partie etwas beizubringen, sie bilden die Lernkurve im Miniaturformat im Spielablauf einzelner Runden nach. Beispielsweise beginnt jedes "Starcraft"-Match mit einer nur rudimentär vorhandenen Basis. Mit jedem neuen Gebäude und jeder neuen Figur steigt für den Spieler die Komplexität, bis er nach 15 oder 20 Minuten eine Hundertschaft an Figuren gleichzeitig steuern muss. Die nächste Partie fängt wieder von vorne an.