Computerspiel "Die Sims 4":Eingesperrt zwischen Bierplautzen

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In "Die Sims 4" haben die Spielfiguren kaum noch Grund, das Haus zu verlassen. (Foto: Electronic Arts)

Psychokrise statt großer weiter Welt: In "Die Sims 4" soll sich der Spieler ganz auf die Emotionen der simulierten Menschlein konzentrieren. Dafür verzichten die Entwickler auf die wichtigste Revolution, die den Vorgänger in der Sims-Reihe ausgemacht hat.

Von Saskia Aleythe

Ich will den ganzen Tag nur schreien. Kinder anbrüllen, andere beleidigen, ihre Mütter mit Lamas vergleichen, sie mit Getränken überschütten - und im besten Falle verprügeln oder bloßstellen. Doch erstmal knurrt mir der Magen, ich stehe in der Küche und versuche, Grillkäse zuzubereiten. Der Herd fängt nach wenigen Minuten Feuer - logisch, ich kann noch nicht kochen. Meine Hände brennen, meine Arme, mein Kopf. Würde mich der Befehl zum Selberlöschen nicht erreichen, loderten die Flammen noch stundenlang. So wie gestern schon. Mein Name ist Kreide, Olga Kreide - und ich soll der intelligenteste Sim sein, den es je gegeben hat.

Verrückter, trauriger, glücklicher denn je sollten die Sims im vierten Teil der Computerspielreihe werden, alles in einem: emotionaler. Electronic Arts setzt beim neuen Basisspiel vor allem auf das Innenleben der selbstgebastelten Geschöpfe, auf klügere Interaktionen mit anderen Sims, Begrüßen und Plaudern und Tanzen und Zanken. Klingt nach viel Liebe zum Detail, aber nicht gerade wie eine Generalüberholung - und es kommt noch viel schlimmer.

Ich bin verrußt, von oben bis unten, mein Hygiene-Bedürfnis ist nach der Herdflammerei enorm, der Schock wird noch ein paar Stunden anhalten. Ich dusche, meine Mundwinkel heben sich mit meiner Laune. Noch besser wäre ein bisschen Spaß. In der Nachbarschaft suche ich nach anderen Sims, ich laufe zum angrenzenden Grundstück, um mich vorzustellen. Das Haus kann ich sehen, ja beinahe berühren, doch Klingeln klappt nicht. Ich bin auf meinem eigenen Grundstück fast so gefangen wie zuletzt bei Sims 2. Also dem Vorvorgänger. Also dem Spiel von 2004.

Der Sim verpasst kaum etwas, wenn er den ganzen Tag zuhause bleibt

EA hat es tatsächlich gewagt, das wieder abzuschaffen, was Sims-Spieler einst als Revolution feierten: Die offene Welt. Zum Park laufen? In die Bar gehen? Ins Museum? Durch die Stadt joggen? Geht nur noch mit Ladezeiten, 20 Sekunden verplempert der Spieler mindestens, Ladebildschirm, neues Grundstück. Da ist es fast tröstlich, dass der Sim zu Hause ohnehin kaum etwas verpasst: EA hat es sich gespart, die Welten so attraktiv zu gestalten wie bisher. Die Städte sind verkleinert, Kinos, Rathäuser, Friedhöfe und Schwimmbäder gestrichen. Weniger soll mehr sein, ist hier aber nur eins. Weniger nämlich.

Nach 20 Minuten Lebenszeit und dem Wechsel aufs neue Grundstück kommt die ernüchternde Gewissheit: Meine Nachbarn sind gar nicht zu Hause. Fußgänger wie in einer Großstadt passieren die Wege, immerhin. Die Vielfalt ist so groß wie nie: Bierplautzen, Hängebrüste, Muskelpakete, Segelohren in Jogginghosen, Cocktailkleidern, Hochzeitsoutfits, Shorts und Flipflops. Sogar die Ethnie ist erkennbar wie nie. Ich bin blau und gleiche einem Alien.

Von der Buchhalterin zur Staatsfeindin

Die Gestaltung der Sims samt Charaktereigenschaften und Lebenszielen oder das Erstellen von neuen Gebäuden mit Inneneinrichtungs-Tool ist tatsächlich individueller als zuvor. Im Livemodus kommt allerdings nur der auf seine Kosten, der das Motto Entschleunigung lebt: Nix mehr mit Fastforward-Modus und dabei die Karriereleiter von der Buchhalterin zur Staatsfeindin absolvieren (mit dem Ausbau sämtlicher Fähigkeiten wie Hackertalent oder Charisma).

Stattdessen einfach mal die Sekunden verstreichen lassen, die Gesichtsmuskeln beim Mampfen von Cornflakes beobachten, den geschmeidigen Hüftschwung beim Tanzen zu Pop-Musik. Das sieht tatsächlich realer aus als bei den Vorgängern (und Stimmungen und Bedürfnisse werden im Menü nützlicher angezeigt). Das kann amüsant sein. Ob sich reihenweise Gamer damit die Zeit vertreiben wollen, ist allerdings fraglich.

Auf dem Rasen meiner Nachbarn habe ich Hansi Pocke kennengelernt, ihn erst angebrüllt und ihm dann einen Polizistenwitz erzählt. Er fand das okay und ist mit zu mir gekommen. Ich stelle mich wieder an den Herd und versuche mich an einem neuen Gericht. Meine Arme brennen zuerst, mein Kleid sowieso. Früher wäre jetzt die Feuerwehr gekommen. Die gibt es nicht mehr. Und noch viel schlimmer: ES. GIBT. KEINEN. POOL. Ja, ganz richtig. Kein Pool mehr. Weder zum Löschen noch zum Schwimmen. Das Geld für einen Bikini investiere ich dann wohl lieber in einen neuen Herd.

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