Computerspiel "Call of Duty":Paris und Berlin in Schutt und Asche

In "Call of Duty: Modern Warfare 3" fällt ein ultranationalistisches Russland in die USA ein - und zerstört die halbe Welt. Trotz der hanebüchenen Story ist das Computerspiel das erfolgreichste Unterhaltungsprodukt aller Zeiten.

Michael Moorstedt

Krieg ist eben immer auch ein Geschäft. In langen Schlangen warteten die Fans der Computerspielreihe "Call of Duty" vergangene Woche auf den aktuellen Teil "Modern Warfare 3", bereits am ersten Tag der Veröffentlichung wurden mehr als 6,5 Millionen Exemplare verkauft. Die Firma Activision freut sich über 400 Millionen Dollar Umsatz.

So knüpft "Modern Warfare 3" nahtlos an den Erfolg der Vorgänger an. Bereits die beiden ersten Teile der Reihe, in der eine komplexe Verschwörung zwischen Militär und russischen Nationalisten schließlich im Dritten Weltkrieg mündet, haben inzwischen mehr als 30 Millionen Exemplare verkauft. Für manchen Kulturpessimisten mag es schwer zu verkraften sein, doch "Modern Warfare 3" ist das erfolgreichste Entertainmentprodukt aller Zeiten. Noch vor den Filmen "Titanic" und "Avatar".

Das Budget: etwa hundert Millionen Dollar

Auch in Sachen Produktionsaufwand können es Titel wie Modern Warfare längst mit dem handelsüblichen Hollywood-Blockbuster aufnehmen. In kein anderes Genre fließen so viel Geld und Know-how, um eine Spielwelt bis ins Detail zu gestalten, wie in die Ego-Shooter. Zwei Jahre lang arbeiteten im kalifornischen Encino etwa hundert Leute daran, den Krieg für die Spieler erfahrbar zu machen. Das Budget: etwa hundert Millionen Dollar.

Im Vorgänger "Black Ops" gab sich Hollywoods erste Garde die Ehre. Ed Harris, Gary Oldman und Sam Worthington liehen den Protagonisten ihre Stimme. Und auch bei der Deutschlandpremiere der aktuellen Folge ließ sich vergangene Woche Prominenz blicken, Schauspieler Ben Becker wurde als Synchronsprecher engagiert und zeigt keine Bedenken, mit dem vermeintlichen "Killerspiel" in Verbindung gebracht zu werden. Erfolg schafft Freunde.

Dabei sind visuelle Ästhetik und graphische Brillanz den Spielern wesentlich wichtiger als der Inhalt. Selbst in den Fachblättern der Videospielszene wird der Plot als vernachlässigbar angesehen. Und tatsächlich erzählt "Modern Warfare 3" eine hanebüchene alternative Realität, in der ein ultranationalistisches Russland in die Vereinigten Staaten einfällt und die halbe Ostküste in Schutt und Asche legt. Elitesoldaten bekämpfen sich in den Häuserschluchten von New York. Der Spieler wird zum Globetrotter der Krise, reist von Brennpunkt zu Brennpunkt, kämpft in den Straßen von Berlin und Paris gegen Panzer und Scharfschützen.

Massive Zerstörungsszenarien

Die Zerstörungsszenarien sind massiv, der Eiffelturm bricht zusammen, die Siegessäule liegt gefällt auf den Straßen. Während der gesamten Handlung bleibt der Protagonist stumm, der Gewehrlauf ist die alleinige Repräsentation des Spielers auf dem Bildschirm. Bei Spielen wie "Modern Warfare" geht es immer auch darum, den Krieg möglichst realistisch darzustellen.

Computerspiel "Call of Duty": Die Zerstörungsszenarien in "Modern Warfare 3" sind massiv - so bricht der Eiffelturm zusammen.

Die Zerstörungsszenarien in "Modern Warfare 3" sind massiv - so bricht der Eiffelturm zusammen.

(Foto: Activision)

Das mag man für geschmacklos halten, tatsächlich aber betreiben die Call of Duty-Studios die Entwicklung - zumindest abseits der Story - mit einer beinahe dokumentarischen Faktizität. "Es geht uns um den Spaß. Natürlich ist das Szenario fiktiv, trotzdem sollen die Waffen, die Uniformen und die Taktiken möglichst realistisch sein. Ich habe jede Waffe, die in diesem Spiel vorkommt, selbst abgefeuert", sagte Robert Bowling, Chefstratege des Entwicklungsstudios Infinity Ward der SZ.

Ehemalige Angehörige von Spezialeinheiten als Berater

"Wir haben ehemalige Angehörige von Spezialeinheiten als Berater in unserem Team, die Audioabteilung nimmt den Lärm von startenden Hubschraubern am realen Vorbild auf. All das wird zu einer Entertainmenterfahrung für Menschen ab 18 Jahren, wir halten uns an alle Regeln der Jugendschützer."

Angesichts mancher Szenen in "Modern Warfare 3" lassen sich allerdings Zweifel an Bowlings Aufrichtigkeit nur schwer unterdrücken. So entgleist in einem Level eine Londoner U-Bahn - ein Bild, durch das sich Teile des britischen Boulevards an die Terroranschläge vom Juli 2005 erinnert fühlten. Die zuständige Behörde, das British Board of Film Classification, sah jedoch keinen Grund, das Spiel zu indizieren.

So wird die mediale Empörung für die Entwickler vor allem zu einem prima Marketingvehikel. Schon beim Vorgänger "Modern Warfare 2" verursachte ein Level Empörung, in dem der Spieler als eingeschleuster Agent einer Terrorgruppe bei einem Anschlag auf den Moskauer Flughafen assistiert. Und bei dem Vorjahrestitel "Medal of Honor" sollte es laut Plänen des Herstellers auch möglich sein, Taliban-Figuren zu steuern - anstatt auf sie zu schießen. Erst nach Protestnoten von Armeeangehörigen und US-Generälen sowie der Ankündigung, diese Art von Entertainment-Subversion nicht bei Militäreinrichtungen verkaufen zu lassen, schwenkte man ein.

Doch kaum einem Spieler geht es wirklich um die martialische Inszenierung. Für die meisten Fans sind die Online-Mehrspieler-Optionen das wahre Verkaufsargument. Hier dreht sich alles um einen von manchen Spielern durchaus professionell betriebenen E-Sport. Nur dass sich die Punkte der Wettkämpfer eben durch der Anzahl ihrer Abschüsse ergeben. Und so zeigt sich, was "Modern Warfare" wirklich ist: eine gigantische Zeitvernichtungsmaschine. Innerhalb eines Tages nach Verkaufsstart haben die Spieler auf den Multiplayer-Servern von Call of Duty zusammengerechnet mehr als sieben Millionen Stunden zugebracht.

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