Süddeutsche Zeitung

Computerkultur:Bloggen über Blogger

Auf der re:publica treffen sich die Bewohner des Internets offline. Sie reden über Blogs, Open Software, File-Sharing. Und, obwohl Nerds eigentlich als asexuell gelten: sogar über Pornos.

Daniel Steinmaier, Berlin

Es gibt viele verschiedene Nerds: Schwäbische Nerds, Nerds mit Brillen, Nerds mit Kontaktlinsen, Nerds im Anzug und Nerds mit Nietengürteln. Alle treffen sie sich auf der re:publica- Bloggerkonferenz in Berlin. Um was es ihnen geht, ist für Außenstehende nicht leicht zu verstehen: Um Blogs als alternativen Journalismus, über den Unterschied von Open Source und freie Software, um Internet-Medien und Medienmacht, und dieses Jahr um "kritische Masse". Also geht es den Bloggern hier vor allem um sich selbst.

Zu Dutzenden sitzen auf den Sofas in der Berliner Kalkscheune, in der das Nerd-Festival stattfindet, und jeder zweite hat einen Laptop auf dem Schoß. Aber gerade ist das drahtlose Internet ausgefallen, deshalb kommt man jetzt ins Gespräch. Mit Sachar Kriwoj zum Beispiel, einem jungen Mann mit großer Brille und kleinem Bauch unterm schwarzen Poloshirt.

Sachar Kriwojs Blog nennt sich "Massenpublikum". Eine Anspielung darauf, was sich seiner Meinung nach alle Blogger wünschen. Gerade war Kriwoj auf der Veranstaltung "Geld verdienen mit Blogs", mit den Profi-Bloggern Robert Basic und Sascha Lobo. Um Geld geht es Kriwoj aber nicht. "Ich schreibe einfach für mich und jeden der das lesen möchte", sagt er. Er genieße, dass er sich über Kleinigkeiten auslassen kann, die in keiner Zeitung Platz finden würden.

Daher sei vieles in der Blogszene ziemlich "geekig", wie er sagt, also sehr speziell. Das sieht man auch an den angebotenen Veranstaltungen. In einer geht es um "ICANN, Internet Governance und neue Top-Level-Domains", in einer anderen um "Beten per Mausklick." Die re:publica habe eben "etwas von Klassentreffen", meint Kriwoj. Ein Klassentreffen, bei dem fast nur die Jungs gekommen sind. Frauen sieht man hier wenig.

Das Pusteblumenprinzip

Dem Vorurteil, Nerds seien prinzipiell asexuell, wirkt die diesjährige "re:publica" dennoch entgegen. Das Kongress-Programm verspricht Sex. Virtuellen Sex natürlich. Aber bevor die Veranstaltung mit dem Titel "Porno 2.0" beginnt, gibt es noch einen "Live-Podcast": zwei Menschen, die sich auf einem Podium unterhalten. Weil das nicht so spannend ist, haben auch hier zwei Drittel des Publikums einen Laptop auf dem Schoß und schreiben vermutlich gerade einen "Thread" in ihren Blog. Oder schicken SMS, die auf der Leinwand hinter dem Podium eingeblendet werden.

Auf dem Podium spricht Schriftsteller und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs Peter Glaser über die Blogwelt. In der wird viel geschrieben, was nie jemand liest. "Das ist das Pusteblumenprinzip", sagt Glaser. Wie auf einer Pusteblume tausende Samen seien, damit eines übrig bleibe, so sei es heute mit den Medien: "Es gibt unzählig viele, und nur wenige überleben."

"Das hat so bisschen was Spermatoides", sagt Moderator Tim Pritlove, und kommt damit langsam zum Thema. Auf der Leinwand hinter ihm wird eine SMS eingeblendet: "Wartet ihr auch auf den Porno 2.0-Vortrag?" Ja, darauf warten alle: Sex, der der Nerd-Gemeinde dem Vorurteil nach so fremd und doch nahe ist. Porno ist der "Triebmotor des Internets", behauptet die Ankündigung für den Vortrag Porno 2.0.

"Porno 2.0"

"Ich bin kein professioneller Porno-Gucker", sagt Torsten Kleinz, der den Vortrag hält. Der Blogger, der sonst vor allem über Blogger und andere Internetmenschen bloggt, rechtfertigt sein Interesse mit der Relevanz des Pornos für die Mediengeschichte. Nicht nur das Internet habe sich durch Pornos entwickelt. Schon die ersten Daguerotypien, die Vorläufer der Fotographien, seien meist Sexbildchen gewesen. Auch die VHS-Kasette hätte sich ohne die Pornoindustrie nie durchgesetzt, meint Kleinz.

Im Medium Internet sei neu, dass alle mitmachen könnten. Für das "Web 2.0", das auf die Partizipation der User setzt, sei Porno idealer "Content". "Jede Familie hat alles daheim, was man für einen Porno braucht", sagt Kleinz und grinst. Er blendet auf der Leinwand Screenshots aus dem Internetportal "YouPorn" ein, bei dem alle User ihre selbstgedrehten Heimpornos hochladen können. Nach und nach legen die Nerds ihre Laptops weg.

YouPorn ist eine "Copycat", wie Kleinz sagt, ein Sex-Verschnitt von YouTube. Denn auf YouTube darf man keine Filme mit explizitem Sex hochladen. Solche "Copycats" wie YouPorn kennt Torsten Kleinz viele. Etwa "Rotlicht-VZ", eine Kopie von Studi-VZ. Oder "Chikipedia", das "Wiki der heißen Frauen". Und "Boobpedia". Ein "Verzeichnis bemerkenswerter Frauen", wie Kleinz sagt. Die Menge lacht.

Aber bei all den Angeboten bemängelt der Experte, dass die Potentiale des Web 2.0 nicht ausgereizt würden. Auf YouPorn könne man zwar als User Filme hochladen, ansehen und bewerten. Man könne aber nicht mit den anderen Nutzern kommunizieren, wie das wie das bei YouTube oder StudiVZ der Fall ist. "Es gibt keine richtige Community, etwa mit Passbildern und Profilen". Als sei das erstaunlich.

"Wer im Publikum konsumiert Internetpornos?" fragt Kleinz am Ende die Zuhörer. Nach langem Schweigen heben fünf Leute die Hand. "Dann haben wir heute hier fünf Pornokonsumenten und 200 Lügner", lacht Kleinz.

Ein Mann will wissen, ob es auch Angebote im Internet gebe, die sich an Frauen richten. "Ja, das sind aber nur Nischen ohne große Trefferzahlen", sagt Kleinz, "Porno ist eine Männerdomäne." Wer einen Tipp für Internetpornos habe, die sich an Frauen richten, könne die ja per SMS an die SMS-Leinwand schicken. Macht aber niemand. Wie die Pornokultur ist auch die Nerdkultur noch immer Männerdomäne.

"Advocacy 2.0"

Bei der Veranstaltung "Advocacy 2.0" sitzt aber zumindest eine Frau unter den vier Männern auf dem Podium. Auch geht es hier um ernsteres: Wie kann das Internet die Welt verbessern? Wie können Organisationen wie Greenpeace das Internet für ihre Arbeit nutzen? Und wie wirken die virtuellen Kampagnen in der realen Welt?

Markus Beckedahl, der die re:publica organisiert und das Blog Netzpolitik.org betreibt, spricht über die Internet-Kampagne gegen die Vorratsdatenspeicherung. "Viele denken immer noch, dass Netz-Kampagnen in der Realität nichts bewirken", sagt er. "Gut," sagt er, "wir haben uns gedacht, dann machen wir das jetzt eben auch mal offline". Also jenseits des Netzes, auf dem echten Asphalt.

Tausende kamen zu den Demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straßen. Insofern ist das Motto "kritische Masse", mit dem sich das nerdige Klassentreffen dieses Jahr schmückt, doch nicht ganz unangemessen. Jedenfalls so lange es um Datenpolitik geht.

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