Computer:Chinesische Verhältnisse

Wie darf man über Musik-Downloads berichten? Das Oberlandesgericht München entscheidet im Streit zwischen Heise-Verlag und den Plattenriesen.

Von Matthias Spielkamp und Till Kreutzer

Der "Link", also der Verweis von einer Seite im World Wide Web zu einer anderen, genießt keinen Status innerhalb des Presserechts. Das könnte sich ändern: Am heutigen Donnerstag beschäftigt sich das Oberlandesgericht München mit der Frage, ob die Musikindustrie Journalisten verbieten darf, auf Seiten hinzuführen, die sie für rechtswidrig hält.

Angefangen hatte alles mit einer Abmahnung, die am 28. Januar beim Heise-Verlag in Hannover einging. Absender: die Münchner Kanzlei Waldorf - im Auftrag von sechs großen Musikkonzernen. Heise gibt seit mehr als zwei Jahrzehnten die erfolgreiche Computerzeitschrift c't heraus und veröffentlicht im Internet den Heise-Newsticker. Dort war am 19. Januar ein Artikel zu lesen, in dem über das Programm AnyDVD berichtet wurde - damit können PC-Nutzer auch DVDs kopieren, die vom Hersteller mit einem Kopierschutz versehen sind.

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Derartige Programme verbietet in Deutschland das Urheberrechtsgesetz: Es ist untersagt, "Vorrichtungen zur Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen" herzustellen oder zu verbreiten, derartige Soft- und Hardware zu bewerben oder Dienstleistungen anzubieten, die das Umgehen ermöglichen. Dagegen soll Heise verstoßen haben.

Im Newsticker sei, so die Kanzlei Waldorf, eine "Anleitung zur Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen" gegeben worden. Weiterhin sei es bereits ein Verstoß gegen das Gesetz, einen Link auf die Eingangsseite des Online-Angebots zu setzen, auf dem man die im Artikel besprochene DVD-Kopiersoftware herunterladen kann.

Berufung gegen erstes Urteil

Das Landgericht München I entschied in der ersten Instanz für und gegen beide Seiten. Heise durfte weiter berichten - das Gericht hatte in dem umstrittenen Artikel keine Werbung für das rechtswidrige Produkt gesehen. Allerdings musste der Verlag den Link entfernen.

Beide Seiten legten Berufung ein. Der Heise-Verlag ist der Ansicht, dass angemessener Journalismus im Internet nur möglich sei, wenn auf die Objekte der Berichterstattung verlinkt werde. Die Musikindustrie meint, dass schon die Berichterstattung über einen Kopierschutzknacker Werbung sei und verboten gehöre.

Erst kürzlich verschickte die Musikindustrie weitere Abmahnungen an Online-Anbieter, die zum russischen Musikdownload-Dienst allofmp3.com verlinkten. Nach Einschätzung des Landgerichts München I ist dieses Angebot in Deutschland illegal. Auf der Basis dieser Entscheidung fordert die Kanzlei Waldorf nun zahlreiche Anbieter auf, ihre Links zu entfernen, darunter die Zeitschrift Chip und den öffentlich-rechtlichen SWR.

Pressefreiheit berührt - oder nicht?

Der Stuttgarter Sender hat die Links ebenso gelöscht wie die Zeitschrift. Verlags-Justiziar Roman Miserre sagt allerdings: "Die Musikfirmen argumentieren, dass ein Link bereits eine Beihilfehandlung ist. Eine solche Auffassung würde unserer Ansicht nach zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung der Pressefreiheit führen."

Hartmut Spiesecke, Sprecher der deutschen Phonoverbände, findet den Verweis auf die Pressefreiheit hingegen populistisch. "Natürlich brauchen wir eine freie Presse, aber auch eine, die sich an Recht und Gesetz hält. Es gibt eine zulässige Berichterstattung - aber Heise macht sich dadurch, dass der Verlag einen Link setzt, das Angebot zu Eigen."

Dabei hat der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr entschieden, dass Links zur Online-Berichterstattung gehören. Sie stellten nur dann eine Rechtsverletzung dar, wenn der Journalist einer "sich aufdrängenden Erkenntnis entzogen hätte", dass der verlinkte Inhalt rechtswidrig sei.

Thomas Dreier, Jurist an der Universität Karlsruhe und Verfasser eines Standardkommentars zum Urheberrechtsgesetz, glaubt denn auch, dass der Link an sich noch nicht anzeige, "dass man für ein Angebot wirbt oder es sich zu Eigen macht". Es gehöre "im Gegenteil wesensmäßig zur Pressefreiheit im Sinne des Internets, dass man verlinkt, und es kann nicht sein, dass Journalisten über rechtswidrige Dinge nicht mehr umfassend informieren können".

"Chinesische Verhältnisse" für die Pressefreiheit im Internet in Deutschland befürchtet denn auch Udo Raaf, Chef des Online-Musikmagazins tonspion.de, falls die Musikindustrie gewinnen sollte. "Aber ich habe so viel Vertrauen in den Rechtsstaat, dass ich denke, ein Gericht wird das auch so sehen", sagt er. In München dürfte man bald Näheres wissen, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war.

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