Communities: Tod im Netz:Ewig offline

Social Networks leben vom permanenten und lebendigen Austausch der Mitglieder. Doch was passiert mit Verstorbenen in Online-Communitys wie Facebook?

Johan Schloemann

Ein "Freund", nennen wir ihn Peter Schmidt, teilt in einem sozialen Online-Netzwerk wie Facebook regelmäßig seine Befindlichkeit mit. Peter Schmidt, heißt es da von Mal zu Mal, "... hat gerade die Schlüssel zur neuen Wohnung bekommen!", "... freut sich auf den Spanienurlaub" oder "... ist jetzt ein Fan von The Streets".

Stellen wir uns vor, die Nachricht auf seiner Internet-Pinnwand lautet plötzlich: "Peter Schmidt ... ist tot". Was soll man denn jetzt tun? Auf "Kommentieren" klicken? Oder etwa auf "Gefällt mir"?

Einblick in das vergangene Leben

Wenn die Nachricht ernst gemeint ist, dann stammt sie nicht aus dem Totenreich, nicht vom Verstorbenen selbst. Vielmehr muss ein Angehöriger in den Besitz des Benutzernamens und Passworts gekommen sein - etwa weil im Webbrowser die Passwort-Speicherung eingestellt war - und sich im Namen des Toten eingeloggt haben. Denn offiziell gibt das Unternehmen Facebook im Regelfall die Login-Daten von Gestorbenen nicht an Angehörige weiter.

Für die Trauernden, die nicht zu den registrierten Online-"Freunden" gehören, für Eltern eines verunglückten Jugendlichen beispielsweise, ist das sehr schwierig: Könnte ihnen nicht ein Einblick in das gerade vergangene Leben, das sich zu großen Teilen im Internet abgespielt hat, bei der Bewältigung ihres Verlustes helfen? Wäre es nicht gut, die Erinnerung mit Dingen aus diesem Internetleben des Toten anreichern zu können, mit Dingen, die anschaulicher machen, was ihm wichtig war?

Auf der anderen Seite fragt sich: Ist es wirklich zu wünschen, dass die Hinterbliebenen vollständigen Zugang erhalten zu allen digitalen Regungen des Gestorbenen - zu jeder erfolglosen Liebeswerbung also, zu jedem oberpeinlichen Partyfoto, zu jedem im elektronischen Archiv schal gewordenen Witz? Wäre hier nicht doch derselbe Abstand zum Intimen und Privaten geboten, den viele auch im herkömmlichen analogen Leben wahren - indem sie es vorziehen, nicht unmittelbar nach dem Tod den Schreibtisch zu durchwühlen oder das Tagebuch zu durchforsten, sondern mindestens eine gewisse Karenzzeit abzuwarten?

Virtuelle Nachwelt

Die sozialen Internetdienste, selbst noch recht jung, sind Hersteller oder doch Simulatoren von Lebendigkeit des Austauschs, von aktueller Anteilnahme, auch von jugendlicher Dynamik. Es zählt das Heute. Auf die Möglichkeit des Sterbens waren die Macher solcher Angebote und die meisten ihrer Nutzer bisher kaum vorbereitet.

Das ganze Internet hat zwar längst auch den Charakter einer gewaltigen virtuellen Nachwelt: Unermesslich viel Obsoletes wird dort inzwischen gespeichert. Es gibt allerlei "tote" Links, es wird unzählige Male virtuell gestorben (in Computerspielen), und auch schon unter den Lebendigen in gigantischen Freundeskreisen gibt es so manche Karteileiche, die sich niemals meldet.

Was aber, wenn der echte Tod kommt, der ewige Offline-Status? Wenn solche Netzwerke nicht nur rasant Millionen Mitglieder hinzugewinnen, sondern sich auch jeweils beim einzigen Nutzer die Online-Existenz immer weiter ausbreitet, und wenn längst nicht mehr nur Jugendliche mitmachen - was passiert dann nach dem Ableben mit all den (halb-)privaten Daten, Passwörtern und multiplen Identitäten?

Diese verteilen sich ja auf Freundschaftsseiten und digitale Fotoalben, auf virtuelle, also im Netz ausgelagerte Festplatten, auf Chat-Einträge oder E-Mail-Konten. Soll das alles, die persönliche digital legacy, verschwunden sein? Man mag darüber spotten, aber es könnte sogar einer trauernden Witwe helfen, unter der Identität ihres verstorbenen Mannes dessen Part im Online-Spiel "World of Warcraft" weiterzuspielen - weil sie vielleicht der festen Überzeugung ist, ihr Mann könne nicht erlöst werden, wenn er nicht den nächsten Level erreicht hat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie inzwischen eine virtuelle Bestattungsbranche entstanden ist.

Todesbewältigung im Web 2.0

Die verschiedenen Anbieter gehen bisher noch sehr unterschiedlich mit diesen Problemen um. Manchmal wird der ganze Account gelöscht, wenn die Inaktivität eines Nutzers zweifelsfrei auf seinen Tod zurückzuführen ist, und er nicht etwas anderes verfügt hat. Manchmal wird Angehörigen der Zugang mit Zugangsdaten zur Verfügung gestellt (was theoretisch erlaubt, unter dem Namen des Toten weiter Nachrichten zu verschicken), manchmal nur eine CD mit dem Inhalt eines Accounts gegen den Toten- beziehungsweise Erbschein ausgehändigt.

Rundmail, Betreff: verschieden

Uneinheitlich wird auch gehandhabt, ob alle, die mit dem Verstorbenen in elektronischem Kontakt standen, von seinem Tod benachrichtigt werden oder nicht. Denn woher können sie wissen, warum derjenige nicht mehr antwortet, der gerade noch permanent Lebenszeichen durch die Leitungen geschickt hat? Und: Wollen und sollen sie es überhaupt wissen? Rundmail, Betreff: verschieden?

Wegen dieser Unübersichtlichkeit der Lage sind schon diverse Internetfirmen für Todesbewältigung im Web 2.0 entstanden. Diese Dienstleister - sie heißen in den USA legacylocker.com oder deathswitch.com (Slogan: "Bridging Mortality") oder lastmessage.de in Deutschland - übernehmen es auf verschiedene Weise, die Online-Hinterlassenschaft im Sinne des Verstorbenen und seiner Angehörigen zu organisieren. Das ist nicht ganz unproblematisch, weil man dafür nicht nur Geld bezahlen, sondern auch zu Lebzeiten seine sämtlichen Passwörter der Firma überlassen muss.

Bei Facebook werden die Zugangsdaten, wie gesagt, nicht an Angehörige gegeben. Aber das Profil des Verstorbenen bleibt erst einmal online, einsehbar nur für die von ihm einst bestätigten "Freunde" (anders als bei allgemein zugänglichen Gedenkgruppen wie zum Tod von Michael Jackson oder zum Amoklauf von Winnenden).

Dem Toten kann ein "Memorial"-Status zugewiesen werden. Die Online-Bekannten nutzen dann das Netzwerk als gemeinsame Trauer- und Erinnerungsplattform. Allerdings gibt es hier auch Bedenken: Die kanadische Datenschutzbehörde hat vor kurzem gerügt, dass Facebook nicht nur in den Nutzungsbedingungen, sondern auch in seiner Privacy Policy klar erkenntlich machen müsse, dass ein Account auch nach dem Tod des Nutzers noch aktiv bleibt.

Neuartige Trauergemeinde

Doch ist das Sterben im Internet keineswegs bloß eine praktisch-rechtliche Frage. Die einseitige Fortsetzung der Interaktivität, das elektronische Aufsuchen und "Anstupsen" des Toten erinnert an alte Ahnenrituale, bei denen Speis und Trank ans Grab gebracht wurden. Der Gestorbene wird geisterhaft präsent gemacht. Es entsteht gerade eine neue Art der Trauergemeinde, ein neuer Begriff von Nachlass und Nachleben, und wie im Online-Leben, so auch im Tod eine neuartige Zwischenform von Privatheit und Öffentlichkeit.

Inzwischen gibt es schon viele "virtuelle Friedhöfe", etwa unsereliebsten.de - Gedenkseiten mit Kerzen, Tauben und hallender Pianomusik, die, wenn auch nicht immer geschmackssicher, die Tradition der Epitaphien in mittelalterlichen Kirchen aufgreifen. Man sucht damit Permanenz in der Mobilität, das Bleibende im Ungewissen: "Unvergessen!" Überhaupt verknüpft sich im Netzsterben ein säkularisiertes platonisch-christliches Erbe mit der spezifisch modernen Verschwisterung von Tod und Medium.

Die Kulturwissenschaft hat nämlich herausgearbeitet, wie sehr die neuen Medien der Moderne der Totenbeschwörung zuneigen: vom Telegraphen zum Poltergeist im rauschenden Fernseher, von der "Geisterfotografie" der frühen Fotografiegeschichte bis zum Grammophon in Thomas Manns "Zauberberg", dem "Musiksarg" , der in den Stimmen abwesender oder toter Sänger eng mit den spiritistischen Séancen des Romans verbunden ist.

Das immer wachsende Internet ist, so gesehen, eine einzige spiritistische Veranstaltung, ein riesiger Schwebezustand halb gegenwärtiger, halb abwesender Seelen. Oder, um es mit einem Status zu sagen, den sterbliche Facebook-Mitglieder zur Beschreibung ihrer selbst verwenden können: "Es ist kompliziert."

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