Terror in Christchurch:Im Netz radikalisiert, auf Facebook gestreamt

Neuseeland Anschlag Christchurch

In Christchurch reagieren Polizisten auf den Terroranschlag.

(Foto: video obtained by Reuters)
  • Der Australier, der in Christchurch Dutzende Moscheebesucher erschossen hat, kündigte seine Morde vorher online an und streamte das Massaker live auf Facebook.
  • Ein rechtsradikales, rassistisches Manifest gibt Hinweise auf seine Gesinnung und nennt Terroristen wie den Norweger Anders Behring Breivik als Vorbilder.
  • Um Nachahmer zu verhindern, sollten Nutzer und Medien dem Täter keine Plattform bieten.

Von Simon Hurtz

Es war ein Verbrechen mit Ansage. Um 13:28 Uhr Ortszeit kündigt ein anonymer Account auf dem Online-Forum 8chan an: "Ich werde die Invasoren angreifen, und ich werde den Angriff auf Facebook live streamen." Kurz darauf erschießt ein Terrorist Dutzende Menschen in einer Moschee in der neuseeländischen Stadt Christchurch. Die Morde werden in Echtzeit bei Facebook und anderen sozialen Medien übertragen.

Vieles spricht dafür, dass die Nachricht in dem Forum tatsächlich von dem Schützen stammt. Wenig später überträgt der Australier 17 Minuten lang live in die ganze Welt, wie er unschuldige Menschen umbringt. 8chan-Nutzer feuern den Mörder an und feiern ihn. Einer postet das Bild eines salutierenden Mannes, ein anderer antwortet mit Hakenkreuzen.

Das passt zur Gesinnung des mutmaßlichen Täters. Der 8chan-Post verlinkt nicht nur auf die Facebook-Seite eines Australiers, auf dem das Video später auftaucht, sondern auch auf ein 73-seitiges Manifest. Es steckt voller rechtsradikaler Aussagen und Symbole, Muslime werden darin als "Invasoren" bezeichnet, die Terroristen Anders Behring Breivik und Dylann Roof als Vorbilder genannt.

Das zeigt zwei Dinge: Erstens radikalisieren sich Menschen im Netz. Oft sind es junge, weiße Männer, die sich in kruden Foren gegenseitig aufstacheln. Amokläufer und Terroristen werden dort als Helden verehrt, die handeln und nicht nur reden. Es ist eine Welt voller hasserfüllter Meme und Aufrufen zur Gewalt. Teilweise ziehen sich die Fremdenfeinde in geschlossene Gruppen zurück, teilweise nutzen sie öffentliche Imageboards wie 8chan, wo sie anonym posten. Die Betreiber werten diese Posts als Meinungsäußerung und übernehmen keine Verantwortung für Inhalte.

Zweitens vernetzen sich die Rassisten zwar in den Nischen des Internets, suchen dann aber die größtmögliche Bühne für ihre Taten - und die finden sie in sozialen Medien. Facebook hat den bestialischen Livestream gelöscht, Twitter hat den Account des mutmaßlichen Täters entfernt, und die neuseeländische Polizei versucht, das Video aus dem Netz zu tilgen. Doch dafür ist es zu spät. Andere Nutzer laden den Film erneut hoch, und wer die Aufnahmen sucht, der findet sie. Dazu tragen auch zahlreiche Medien bei, die trotz der Aufforderung zur Zurückhaltung Teile des Videos zeigen und dem Täter damit noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Die Süddeutsche Zeitung hat sich entschieden, weder das Video noch Standbilder daraus zu zeigen, um sich nicht die Bildsprache des Täters zu eigen zu machen.

Auf Facebook werden Vergewaltigungen, Morde und Terroranschläge live gestreamt

Wie ist es überhaupt möglich, dass Morde live gestreamt werden? Warum tun die Plattformen nichts dagegen? Seit etwa drei Jahren gibt es Facebook Live. Damit können Nutzer jederzeit Videos streamen. Es ist unmöglich, all diese Aufnahmen vorab zu überprüfen. Also kann Facebook immer nur auf Hinweise reagieren und Videos nachträglich sperren oder löschen.

Früher hatten Medien eine Gatekeeper-Funktion inne. Sie entschieden, was wichtig war. Sie setzten die Themen, über die am kommenden Tag gesprochen wurde. Das ist längst vorbei. Milliarden Menschen können Fotos und Videos veröffentlichen oder sogar live auf Sendung gehen. Immer seltener sind Journalisten die Ersten vor Ort. Immer öfter verbreiten sie bloß Augenzeugenvideos von Tatorten - oder sogar Livestreams der Täter.

Manche Menschen missbrauchen diese Macht. In den vergangenen Jahren wurden mehrfach Massenvergewaltigungen, Morde und Suizide gestreamt. Auch Terroristen nutzen das aus und lassen die Welt in Echtzeit an ihren Taten teilhaben. "Menschen machen das, was möglich ist", sagte Kriminalpsychologe Rudolf Egg. "Also zeigen sie auch eine Vergewaltigung im Livestream."

Im Mittelpunkt sollten nicht die Täter, sondern die Opfer stehen

Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass diese Möglichkeiten wieder eingeschränkt werden müssen. Denn die Demokratisierung der Öffentlichkeit bietet auch Chancen - für diskriminierte Minderheiten zum Beispiel, etwa für Afroamerikaner in den USA. "Gott sei Dank gibt es Apple, Google und Microsoft", sagte der Anwalt eines Schwarzen, der von Polizisten erschossen worden war. Minderheiten können sich gegen Polizeigewalt wehren - nicht mit der Waffe, sondern mit dem Smartphone in der Hand. Auch in Ländern, wo Menschen unter staatlicher Willkür leiden, Demonstrationen blockiert und Protestierende eingeschüchtert werden, schreckt das gezückte Handy knüppelnde Beamte womöglich eher ab als eine geballte Faust.

Auch deshalb wäre es voreilig zu fordern, dass Facebook und andere Plattformen ihre Livestream-Funktion abschalten sollen. Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen. Mörder wie Anders Behring Breivik wollen zu Vorbildern werden und andere junge Männer anstiften.

Wichtiger als die Täter sind die Opfer: In Christchurch sind mindestens 49 unschuldige Menschen gestorben. "Neuseeland ist ihre Heimat", sagte Premierministerin Jacinda Ardern. "Sie hätten sich hier sicher fühlen sollen."

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